Sehforschung: Wie Netzhautzellen wissen, wann sie Abstand halten müssen

Zapfenmosaikmuster bei erwachsenen Zebrafischen, das eine gitterartige regelmäßige Anordnung von vier Zapfenzelltypen zeigt (li Abb.). Zapfenmosaikmuster bei Fischen, denen das Dscamb-Gen auf einem oder beiden homologen Chromosomen fehlt (re Abb.). Dscamb reguliert die Anordnung der roten Zapfenzellen. Der Verlust von Dscamb führt zu einer Anhäufung roter Zapfen und damit zu einer Störung des regelmäßigen Zapfenmosaikmusters. Illustration.©Hu et al., 2025

Japanische Forscher haben ein Schlüsselmolekül identifiziert, das für die präzise Organisation der Photorezeptoren in Zebrafischen zuständig ist.

In den Netzhäuten von Wirbeltieren ordnen sich die Zapfenzellen in Mustern an, die als „Zapfenmosaik“ bekannt sind. Forscher des Okinawa Institute of Science and Technology (OIST), Okinawa, Japan, haben herausgefunden, dass ein Protein namens Dscamb als „Selbstvermeidungs-Vollstrecker“ für die farbempfindlichen Zellen in der Netzhaut von Zebrafischen fungiert und dafür sorgt, dass sie den perfekten Abstand für optimale Sicht einhalten. Die Ergebnisse der Arbeit wurden in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.

Die Lösung eines Rätsels in der Sehwissenschaft

Zapfenzellen funktionieren bei hellem Licht und ermöglichen das Farbensehen. Die Zapfen selbst werden je nach den spezifischen Lichtwellenlängen, die sie erkennen, weiter in verschiedene Typen unterteilt. Beim Zebrafisch gibt es vier Typen: rote, grüne, blaue und UV-Zapfen.

Auf der Oberfläche der Netzhaut sind diese verschiedenen Zapfentypen hochgradig organisiert räumlich angeordnet. Anstatt wahllos verteilt zu sein, halten Zapfenzellen desselben Typs bestimmte Abstände zueinander ein und bilden erkennbare Muster mit anderen Zapfentypen. Dadurch entsteht ein mosaikartiges Erscheinungsbild, wenn die Netzhaut von der Oberfläche aus betrachtet wird. 

Beim Zebrafisch sind die vier Zapfentypen so zusammengesetzt, dass sie ein gitterartiges regelmäßiges Zapfenmosaikmuster bilden. Über dieses komplizierte Zapfenmosaikmuster bei Fischen wurde bereits im späten 19. Jahrhundert berichtet. Die Moleküle, die die Bildung des Zapfenmosaikmusters direkt steuern, waren jedoch nicht bei allen Wirbeltierarten identifiziert worden.

Schaffung von Zebrafisch-Mutanten mit Zapfenmosaikdefekt

DSCAM (Down-Syndrom-Zelladhäsionsmolekül) ist ein Protein, das die korrekte Verbindung von Nervenzellen während der Entwicklung unterstützt. Es wurde erstmals beim Menschen auf Chromosom 21 gefunden, das mit dem Down-Syndrom in Verbindung gebracht wird. DSCAM-Proteine kommen in vielen Tieren vor und helfen den Nervenzellen, neuronale Schaltkreise zu bilden, ohne sich ineinander zu verheddern. Zebrafische haben drei Versionen dieses Proteins: Dscama, Dscamb und DscamL1. Nur Dscamb findet sich in den lichtempfindlichen Zellen des sich entwickelnden Zebrafischauges.

„Da DSCAM einen Selbstvermeidungsmechanismus in der Entwicklung des Nervensystems steuert, haben wir Zebrafische genetisch so verändert, dass ihnen das funktionelle Dscamb-Protein fehlt, um unsere Hypothese zu testen, dass dieses Protein an der Bildung des Zapfenmosaiks beteiligt ist“, erklärt Dr. Dongpeng Hu, ehemaliger Doktorand an der Abteilung Entwicklungsneurobiologie des OIST und Erstautor. „Wir fanden heraus, dass das Zapfenmosaikmuster, insbesondere die Anordnung der roten Zapfen, bei Dscamb-Mutanten im Zebrafisch gestört ist.“ 

Erkennung der gleichen Zelle prägt das Sehen

In der frühen Phase der Photorezeptordifferenzierung im Zebrafisch wurde berichtet, dass die Zapfenphotorezeptoren dünne Fortsätze, so genannte Filopodien, aus ihren apikalen Regionen ausfahren. Ihre physiologische Rolle bei der Photorezeptordifferenzierung war bislang jedoch unbekannt. Um die Rolle von Dscamb bei der Bildung von Zapfenmosaiken zu klären, setzten die Forscher Fluoreszenzmarkierungstechniken ein. Sie nutzen diese Technik, um sichtbar zu machen, wo sich die Dscamb-Proteine in den Zellen befinden. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Dscamb-Proteine in den apikalen Regionen, einschließlich der Spitzen der filopodienähnlichen Fortsätze der Zapfenphotorezeptoren, lokalisiert sind. 

Zudem untersuchten die Forscher das Verhalten der Filopodien des roten Zapfens. Mit Hilfe von Zeitrafferaufnahmen entdeckten sie, dass rote Zapfen diese Filopodien zu benachbarten roten Zapfen ausfahren, kurz Kontakt aufnehmen und sich dann bei wilden Zebrafischen wieder zurückziehen. Andererseits wurde ein solches kontaktabhängiges Zurückziehen der Filopodien roter Zapfen bei benachbarten nichtroten Zapfen nicht beobachtet. Durch diesen dynamischen Prozess wurde allmählich der richtige Abstand zwischen roten Zapfen desselben Typs hergestellt. Bei Dscamb-Mutanten beobachteten die Forscher, dass sich die Filopodien der roten Zapfen nach dem Kontakt mit demselben roten Zapfentyp nicht ordnungsgemäß zurückzogen, sondern haften blieben oder sogar in die apikale Oberfläche benachbarter roter Zapfen eindrangen. Dies führte zu einer anormalen Anhäufung roter Zapfen und gestörten Mosaikmustern.

Die Wissenschaftler schlossen daraus, dass die apikalen Filopodien der Zapfen als Antennen fungieren, um ihre Umgebung zu sondieren und festzustellen, ob die benachbarten Zapfen vom gleichen Typ sind oder nicht. Wenn die Filopodien eines roten Zapfens mit einem anderen roten Zapfen in Kontakt kommen, interagieren die Dscamb-Proteine und lösen eine Abstoßungsreaktion aus. Diese führt dazu, dass sich die Filopodien zurückziehen. Dieser Selbstvermeidungsmechanismus sorgt den Forschern zufolge dafür, dass die roten Zapfen den richtigen Abstand zueinander einhalten.  

Dieser Selbstvermeidungsmechanismus ist laut den Wissenschaftlern spezifisch für Interaktionen zwischen Zapfen desselben Typs: rote Zapfen erkennen andere rote Zapfen und reagieren auf diese. Ähnlich verhält es sich bei blauen Zapfen mit anderen blauen Zapfen. Interessanterweise fanden die Forscher heraus, dass Dscamb speziell den Abstand zwischen roten Zapfen reguliert, während der Mechanismus für ähnliche Abstände zwischen blauen Zapfen offenbar unabhängig von Dscamb ist. Dscamb fungiert nach Annahme der Wissenschaftler als Sensor zur Erkennung desselben roten Zapfentyps während der Bildung des Zapfenmosaiks im Zebrafisch. 

Auswirkungen auf die Sehforschung

„Unsere Computeranalyse und Modellierung bestätigte, dass dieser Erkennungs- und Abstoßungsmechanismus für dieselben Zelltypen die beobachteten Zapfenmosaikmuster erklären könnte. Dies ist die erste Identifizierung eines molekularen Mechanismus, der die Bildung des Zapfenmosaiks bei einer Spezies direkt reguliert, was potenzielle Wege zum Verständnis ähnlicher Prozesse bei anderen Wirbeltieren eröffnet“, betonte Prof. Ichiro Masai, Leiter der Abteilung Entwicklungsneurobiologie des OIST.

Die Entdeckung der Rolle von Dscamb bei der Bildung des Zapfenmosaiks im Zebrafisch habe wichtige Auswirkungen auf die Sehforschung. Sie zeigt, so die Forscher, die molekulare Grundlage für den präzisen Abstand der Photorezeptoren, der für optimales Sehen entscheidend ist. Zudem schaffe sie Möglichkeiten für die Untersuchung ähnlicher Mechanismen bei menschlichen Netzhauterkrankungen. Dieses Wissen könnte diagnostische Ansätze, Behandlungsmöglichkeiten und Netzhautregenerationsstrategien voranbringen.