Seide als vielversprechendes Material für die Reparatur verletzter Nerven

Dank ihrer Eigenschaften besonders wertvoll für die biomedizinische Forschung: Die Seide der Goldenen Radnetzspinne aus Tansania ist reißfester als Nylon, dehnbarer als Stahl, extrem hitzestabil sowie wasserfest und wirkt antibakteriell. (Foto: © MedUni Wien/Radtke)

Die Behandlung von Nervenverletzungen mithilfe von Nervenleitschienen führt inzwischen in manchen, aber längst nicht allen Fällen zum gewünschten Erfolg. Im Rahmen einer aktuell publizierten Studie hat ein Forschungsteam der MedUni Wien und der University of Oxford Spinnseide als vielversprechendes Material für die Reparatur durchtrennter Nerven entdeckt. 

Auf der Suche nach verbesserten Therapieoptionen bei Nervenverletzungen stellte das Team um Christine Radtke, Leiterin der Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie der MedUni Wien, in Zusammenarbeit mit Kollegen der University of Oxford Nervenleitschienen aus zwei verschiedenen Seidenarten her: Die Seide von Seidenraupen wurde für die Röhrchen, die Seide von Spinnen für deren Füllung verwendet. Untersucht wurde die Funktion dieser Instrumente im Tiermodell.

Wie die Experimente zeigten, passten sich die durchtrennten Nerven an die neuartigen Nervenleitschienen aus Seide an und wuchsen entlang der Seidenfäden über die Defektdistanz, bis die durchtrennten Nervenenden wieder erfolgreich miteinander verbunden waren.

„Im Rahmen unserer Studie ist es uns nicht nur gelungen, eine Nervenreparatur herbeizuführen, wir konnten auch die Komponenten des Heilungsprozesses im Detail analysieren“, fasst Erstautor Lorenz Semmler von der Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie der MedUni Wien wesentliche Studienergebnisse zusammen.

So bestätigten die Untersuchungen, dass die Röhrchen aus Seidenraupenseide mit einer porösen Wand ausgestattet sind, um den für die Funktionalität der Nerven notwendigen Austausch von Nähr- und Abfallstoffen zu gewährleisten. Darüber hinaus wurden Informationen über die molekulare Struktur der Röhrchen gewonnen, die für deren Stabilität und das Vermeiden von Knicken und Brüchen verantwortlich ist. Außerdem konnten die Wissenschaftler zeigen, dass für die Nervenregeneration entscheidende Zellen an beiden Seidenarten haften, was eine Voraussetzung für den Fortgang der Regeneration ist.

„Unsere Studie ist ein wichtiger Schritt in der regenerativen Neurowissenschaft“, betont Studienleiterin Christine Radtke im Vorfeld klinischer Studien, die die aktuellen Ergebnisse bestätigen sollen.

Spinnenseide bei Regeneration bevorzugt

Nervenleitschienen aus verschiedenen Materialen wie zum Beispiel Chitosan oder Kollagen stellen seit etwa drei Jahrzehnten ein wichtiges chirurgisches Instrument für die Nervenreparatur dar. Dabei handelt es sich um Röhrchen, die an beiden Enden eines verletzten Nervs angenäht werden, um den durchbrochenen Nervenkanal zu überbrücken. Unter optimalen Bedingungen können diese Röhrchen bereits jetzt das Wachstum von Nervenfasern und -zellen unterstützen, dabei aktuell aber lediglich kleine Distanzen überbrücken.

Zur Verbesserung der Methode wurde in der medizinischen Wissenschaft die Verwendung von Füllmaterial als Leitstruktur im Inneren der Röhrchen diskutiert. Diese sollen dem geschädigten Nerven gleichsam als „Handlauf“ dienen, an dem sich das regenerierende Gewebe orientieren und entlangwachsen kann. „In unserer Studie stellte sich heraus, dass periphere Nerven gut funktionieren, wenn solche Fäden aus Seide bestehen, wobei Spinnenseide bei den Führungsschienen offenbar bevorzugt wird“, sagt Semmler.

Deshalb arbeitet das wissenschaftliche Team im nächsten Schritt bereits daran, den möglichen Einsatz von Spinnenseide bei peripheren Nervenverletzungen des Menschen zu erforschen.