Sektorenübergreifende Versorgung – „Aus Sicht der Betroffenen wünschenswert“

Diskutierten über sektorenübergreifende Versorgung auf der Pressekonferenz der AWMF: Andreas Bechdolf, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Vivantes Klinikum Am Urban und am Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Rolf-Detlef Treede, Präsident der AWMF, Moderatorin Sabrina Hartmann, Tom Bschor, Leiter und Koordinator der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung am Bundesministerium für Gesundheit und Ralf W. Schmitz, Ärztlicher Leiter des MVZ Chirurgie Kiel. Foto: AWMF/Katharina Lenz

Im Vorfeld ihres Berliner Forums sprachen Experten der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) darüber, wie sektorenübergreifende Versorgung gelingen kann.

Die reibungslose Versorgung von Patientinnen und Patienten erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Arztpraxen, Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen. Doch in der Realität stellen die Übergänge zwischen ambulanter und stationärer Behandlung oft Hürden dar. Die AWMF fordert deshalb, die Zusammenarbeit zwischen den Sektoren im Gesundheitswesen durchlässiger zu gestalten. Ziel müsse es sein, die Trennung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung aufzulösen, um eine ganzheitlichere und effektivere Patientenbetreuung zu ermöglichen. Bei ihrem Berliner Forum diskutierte die AWMF mit Expertinnen und Experten über wissenschaftlich basierte Schritte auf dem Weg zu einer sektorenübergreifenden Versorgung.

„Eine umfassende sektorenübergreifende Versorgung im deutschen Gesundheitswesen ist dringend notwendig, um die Betreuung von Patientinnen und Patienten effektiver, sicherer und reibungsloser zu gestalten“, betonte Prof. Rolf-Detlef Treede, Präsident der AWMF. Viel zu stark sei die Trennung zwischen ambulanten, stationären und rehabilitativen Versorgungsbereichen im deutschen Gesundheitswesen. „Diese Trennlinien erschweren die Behandlung gerade von Patientinnen und Patienten mit komplexen oder chronischen Erkrankungen erheblich“, erklärte Treede, der betonte: „Für die Betroffenen ist eine sektorenübergreifende Versorgung wünschenswert.“

 In der Versorgungsrealität kommt es an den Übergangen oft zu Hürden. Beispielsweise, wenn Informationen verloren gehen und deshalb unnötige Doppeluntersuchungen stattfinden oder falsche Medikationen erfolgen. „Dies führt zu unnötigen Mehraufwänden beim ohnehin schon überlasteten Personal und ließe sich durch regulatorische Maßnahmen vermeiden. Gleichzeitig würde dies die Patientensicherheit und die Effizienz des gesamten Gesundheitssystems steigern“, so der AWMF-Präsident.

Best practice-Beispiel: Kieler Kooperation zwischen MVZ und Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie

Bereits bestehende Modellprojekte – etwa in der Inneren Medizin, Chirurgie oder Psychiatrie – zeigen, wie erfolgreich sektorenverbindende Ansätze sein können. So arbeiten beispielsweise das Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) Chirurgie in Kiel und die Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) bei der Organisation der ärztlichen Weiterbildung zusammen. Wie Dr. Ralf Schmitz, Leiter des MVZ erklärte, sei die Zusammenarbeit bei der Weiterbildung vor 15 Jahre der Hauptmotivator gewesen, die Kooperation zu initiieren. Viele Eingriffe würden in den großen Kliniken nicht mehr durchgeführt, sondern fänden im vertragsärztlichen Bereich statt – der chirurgische Nachwuchs müsse diese Eingriffe aber erlernen.

Die Kooperation funktioniere gut dank fester Ansprechpartner. Ärzte der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am UKSH hätten im MVZ ambulante Sprechstunden. Das sei Schmitz zufolge ein großer Vorteil für die Patienten, die ihren Operateur dann schon kennen würden, es gebe ein Vertrauensverhältnis. Auch die Organisation von OP-Terminen klappe so besser. Noch nicht reibungslos sei der Austausch von Informationen, so Schmitz. Grund seien unterschiedliche IT-Systeme. Im Moment nutze man eine zertifizierte App. Informationverluste bei Einweisung und Entlassung können trotzdem vermieden werden. Aber: „Das Ziel ist eine gemeinsame Fallakte“, so Schmitz. Von der elektronischen Patientenakte erwartet er diesbezüglich wenig Vorteile, da diese patientengesteuert sei. Der Arzt habe so keine Sicherheit, dass die Akte auch vollständig ist.

Ein weiteres Beispiel für sektorenübergreifende Versorgung aus der Praxis: Die „Stationsäquivalente Behandlung“ (StäB) ist in der Psychiatrie eine Alternative zur stationären Versorgung. Dabei werden Patientinnen und Patienten für die Behandlung in deren häuslichem Umfeld aufgesucht. Studien belegen eine höhere Patientenzufriedenheit, reduzierte Wiederaufnahmen und eine gleichbleibende Behandlungsqualität. „Diese Ansätze zeigen beispielhaft: Eine patientenzentrierte Versorgung kann gelingen und institutionelle Barrieren überwinden“, hob Treede hervor.

Stärkt die Krankenhausreform die ambulant-stationäre Zusammenarbeit?

Dennoch wird ihr Potenzial bislang nicht ausreichend in die Regelversorgung übernommen. Hier setzen die jüngst beschlossenen Reformen, einschließlich der Krankenhausreform, an. „Mit den neuen Hybrid-DRGs, die erstmals eine sektorengleiche Vergütung für ambulante und stationäre Leistungen ermöglichen, sowie der Schaffung tagesstationärer Behandlungsmöglichkeiten, werden wichtige Grundlagen geschaffen. Diese Ansätze sollen die Grenzen zwischen den Versorgungsbereichen weiter abbauen“, erläutert Prof. Tom Bschor, Leiter und Koordinator der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung am Bundesministerium für Gesundheit.

Ein zentrales Ziel der Reform sei zudem, kleinere Krankenhäuser zu sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen auszubauen. Diese sollen in Regionen mit Versorgungslücken sowohl ambulante als auch stationäre Behandlungen anbieten. „Langfristig sind jedoch weitere Schritte notwendig. Wir brauchen eine gemeinsame Planung von ambulanten und stationären Leistungen auf regionaler Ebene, um die Bedarfe vor Ort besser abzustimmen“, so Bschor. Ein funktionierendes Primärarztsystem, das den wohnortnahen Zugang zu haus- und fachärztlichen Leistungen sicherstellt, bilde die Basis für eine effektive sektorenübergreifende Versorgung.

Wissenschaftliche Expertise beim Reformprozess miteinbeziehen

Auch die AWMF hat im Reformprozess immer wieder betont, dass eine Krankenhausreform, die eine wissenschaftlich begründete, patientenzentrierte und ressourcenbewusste Gesundheitsversorgung zum Ziel hat, nur durch eine sektorenübergreifende und regionale Versorgungsplanung gelingen kann. Die AWMF appelliert daher an Politik und alle Akteure im Gesundheitswesen, die sektorenübergreifende Versorgung weiter zu stärken. „Letztlich profitieren die Patientinnen und Patienten von einer engeren Verzahnung der Versorgung. Wichtig ist dabei, die wissenschaftliche Expertise der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften unter dem Dach der AWMF einzubeziehen“, resümierte Treede. Bei ihrem Berliner Forum erarbeitete die AWMF gemeinsam mit relevanten Akteurinnen und Akteuren aus Medizin und Wissenschaft konkrete Handlungsempfehlungen, die in einer Publikation zusammengefasst werden. (AWMF/ja)