Selen schützt Nervenzellen im Gehirn

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Genau 200 Jahre nach der Entdeckung des Spurenelements Selen haben Forscher des Helmholtz Zentrums München erstmals gezeigt, warum das chemische Element essenziell für das Überleben von Säugetieren ist: Als Bestandteil des Enzyms GPX4 schützt Selen bestimmte Nervenzellen im Laufe der Entwicklung vor dem Zelltod.


Vor genau 200 Jahren entdeckte der schwedische Wissenschaftler Jöns Jacob Berzelius das Spurenelement Selen, das er nach der Mondgöttin Selene benannte. Neben seiner industriellen Anwendung (chemische Industrie, Herstellung von Halbleitern und Tonern), ist es auch ein essenzielles Spurenelement und somit überlebenswichtig für den Menschen, viele Tiere und manche Bakterien. Warum das so ist, konnte nun ein Team um Dr. Marcus Conrad, Gruppenleiter am Institut für Entwicklungsgenetik (IDG) des Helmholtz Zentrums München, erstmalig zeigen.

Wissenschaftlicher ‚Beifang‘ löst Jahrzehnte altes Rätsel

Die Wissenschaftler beschäftigen sich seit Jahren mit der Ferroptose. In diesem Zusammenhang spielt das Enzym GPX4 eine wichtige Rolle, das normalerweise Selen in Form der Aminosäure Selenocystein enthält.

„Um die Rolle von GPX4 besser zu beschreiben, hatten wir Mausmodelle etabliert und untersucht, bei denen das Enzym verändert war“, erklärte Studienleiter Conrad. „Dabei fiel uns vor allem ein Modell auf, bei dem GPX4 nicht mit Selen, sondern mit Schwefel gebildet wird.“ Den Wissenschaftlern zufolge waren die betroffenen Tiere aufgrund neurologischer Komplikationen nicht länger als drei Wochen lebensfähig.

Auf der Suche nach den Ursachen stießen die Forscher auf bestimmte Nervenzellen im Gehirn, die ohne selenhaltiges GPX4 fehlten. „In weiteren Untersuchungen konnten wir zeigen, dass diese Nervenzellen während der Entwicklung durch Ferroptose zugrunde gegangen waren, wenn kein selenhaltiges GPX4 vorlag“, erklärte Erstautorin Irina Ingold vom IDG.

Weiterhin konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die Ferroptose vor allem durch starken oxidativen Stress ausgelöst wird, wie er durch hohe Stoffwechselaktivität und bei der Signalübertragung in Nervenzellen typisch ist. „Unsere Studie belegt zum ersten Mal, dass Selen ein essenzieller Faktor für die postnatale Entwicklung eines ganz bestimmten Typs von Nervenzellen ist“, ordnete IDG-Wissenschaftler Dr. José Pedro Friedmann Angeli die Ergebnisse ein. „Selenhaltiges GPX4 schützt die Nervenzellen vor oxidativem Stress und dem dadurch bedingten Absterben.“

Damit erklärt die Studie, warum Selenoenzyme in manchen Organismen wie den Säugern essenziell sind, wohingegen sie bei anderen Organismen wie Pilzen und höhere Pflanzen entbehrlich sind. Künftig will Conrad mit seinem Team untersuchen, wie und wo genau in der Zelle die Ferroptose ausgelöst wird. Langfristig gehe es ihm darum, die Rolle der Ferroptose bei verschiedenen Erkrankungen zu verstehen, um derzeit noch nicht oder nur schwer therapierbare Erkrankungen wie Krebs oder Neurodegeneration lindern zu können.

Originalliteratur:
Ingold I. et al.: Cell, 16. Dezember 2017