Sequenzier-Test verbessert Diagnose bei Hirnhautentzündungen14. November 2024 Foto: © Mopic – stock.adobe.com Moderne Sequenziermethoden können die wichtige Suche nach Erregern bei einer Entzündung des zentralen Nervensystems verbessern. Zu diesem Schluss kommt eine US-amerikanische Studie, die knapp 5000 Hirnwasser-Proben über sieben Jahre lang mit dem Verfahren ausgewertet hat. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Nature Medicine“ veröffentlicht. Infektionen des zentralen Nervensystems (ZNS) – beispielsweise eine Hirnhautent- oder eine Hirnentzündung – sind oft schwere und manchmal tödlich verlaufende Erkrankungen. Deswegen ist es entscheidend, den auslösenden Erreger schnell zu identifizieren. Entzündungen durch Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten können dann schnell und gezielt mit Medikamenten behandelt werden, sodass der Schaden am Nervensystem möglichst klein gehalten wird. In vielen Fällen kann mittels herkömmlicher Untersuchungen des Hirnwassers wie Bakterienkultur, PCR- oder Antikörpertests allerdings kein Erreger gefunden werden. Außerdem kann man mit diesen Methoden nur auf Erreger testen, die man auch vermutet. Bei der in der aktuellen Studie untersuchten Testmethode, dem metagenomischen Next-Generation-Sequencing (mNGS), wird das komplette genetische Material im Liquor identifiziert und mit Datenbanken abgeglichen, in denen die genetischen Informationen von Menschen, Bakterien, Viren und Pilzen gespeichert sind. Dadurch können auch Erreger gefunden werden, die man nicht vermutet hätte. Die Methode ist allerdings, mit etwa 2000 US-Dollar, teuer und noch nicht flächendeckend verfügbar. An der University of California in San Francisco, USA, ist mNGS seit 2016 etabliert. Forschende werteten dort in einem Zeitraum von sieben Jahren 4828 Liquorproben vor allem aus den USA aus und ziehen nun eine Bilanz: In 697 Proben fand das mNGS insgesamt 797 Erreger: 574-mal Viren, 132-mal Bakterien und 68-mal Pilze und 23-mal Parasiten, in einzelnen Fällen auch seltene Erreger, die man nie vermutet hätte. Das mNGS erreichte eine Sensitivität von 63,1 Prozent – das heißt, dass bei 63,1 Prozent der tatsächlich Infizierten auch ein Erreger gefunden wurde. Das ist eine höhere Sensitivität als die herkömmlichen einzeln angewendeten Test erreichen. Bei gut jeder dritten infizierten Person wurde der Erreger ausschließlich oder zuerst durch mNGS identifiziert. Die Spezifität lag bei 99,6 Prozent: Bei nichtinfizierten Personen wurde also mittels mNGS in 99,6 Prozent der Fälle auch kein Erreger identifiziert. Die Autoren plädieren für einen breiteren Einsatz von mNGS als Ergänzung zur herkömmlichen Diagnostik. Hoher Nutzen bei vulnerablen Patientengruppen Prof. Nicole Fischer, Universitätsprofessorin am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), sieht den klinischen Nutzen der Methode derzeit vor allem bei immunsupprimierten Patienten, bei denen eine große Anzahl von Erregern auslösend für eine akute Infektion sein kann. „Eine frühzeitige Diskussion in einem interdisziplinären Board kann eine Chance sein, diesen Test frühzeitig bei bestimmten Patientengruppen anzuwenden, um auch schwer anzüchtbare Erreger nachzuweisen und in diesem Fall auch unerwartete Erreger nachweisen zu können. Die Kosten des Tests sind relativ hoch, aber bei vulnerablen Patientengruppen bedarf es oft einer Vielzahl an diagnostischen Tests. Somit wäre hier der Kostenaufwand für diesen Test in einem vergleichbaren Bereich“, erklärte Fischer. Im Preis der Methodik sieht auch Prof. Matthias Klein, Leiter der Zentralen Notaufnahme und Oberarzt der Neurologischen Klinik, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), keinen Hinderungsgrund für ihren Einsatz. Da sich auch die Kosten für Einzeltestungen auf seltene Erreger schnell aufsummieren, müsse der Einsatz von mNGS nicht zwingend teurer sein als die Durchführung vieler Einzeltests, argumentiert der federführende Autor der Leitlinie „Ambulant erworbene bakterielle Meningoenzephalitis im Erwachsenenalter“. Hinzu komme, dass ZNS-Infektionen insgesamt selten sind und es sich bei Patienten mit ZNS-Infektionen ohne Erregernachweis in der ‚Standarddiagnostik‘ um schwer kranke und häufig intensivpflichtige Patienten handelt. „Der finanzielle Aufwand für die Durchführung eines mNGS scheint aus ärztlicher Sicht dann im Vergleich zu den sonstigen Kosten der Behandlung und dem Mehrwert der Chance auf eine definitive Diagnosestellung, die dann häufig zu einer gezielteren Behandlung des Patienten führt, vertretbar“, erklärte Klein. Sinnvolle Ergänzung, kein Ersatz Als Einschränkung sieht der Experte eher, dass die Zeit vom Eingang der Probe im Labor bis zur Fertigstellung der mNGS-Ergebnisse im Fall von positiven Befunden mit mehreren Tagen relativ lang ist. Viele aktuell in der Diagnostik etablierte direkte Testverfahren, wie die PCR, erlaubten hingegen eine Analyse von Proben auf die häufigsten Erreger einer Hirnhautentzündung oder Hirnentzündung in wenigen Stunden und kürzer. Infolgedessen sei eine Stufendiagnostik bei vermuteter ZNS-Infektion sinnvoll, die sich zunächst nach der klinischen Konstellation und dem vermuteten Erregerspektrum richten müsse, empfiehlt Klein. „Bei Patienten mit schwerer ZNS-Infektion ohne Erregernachweis mittels konventioneller Diagnostik ist der Einsatz eines mNGS allerdings sehr sinnvoll, was durch die Ergebnisse der Studie unterstrichen wird. Leider wurden nicht alle Liquorproben mit den verschiedenen herkömmlichen Tests verglichen, sodass die Ergebnisse nur begrenzt zur Erstellung eines Leitfadens zur gestuften mikrobiologischen Diagnostik inklusive mNGS geeignet sind“, bedauert der Experte. Dass durch das mNGS andere Nachweisverfahren ausgedient haben, sieht Klein nicht. „Die Sensitivität von mNGS lag in der Studie insgesamt bei nur 63,1 Prozent. Das bedeutet, dass eine relevante Anzahl der Erreger nicht mittels mNGS gefunden werden konnte. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da die Methode das Vorliegen von mikrobieller DNA oder RNA in der untersuchten Liquorprobe voraussetzt. Dies ist aber nicht immer zwingend der Fall – zum Beispiel bei viraler Hirnentzündung, Hirnabszessen oder Pilzerkrankungen, wo der Erreger oft nicht im Liquor vorliegt – und damit ist dies keine eigentliche Schwäche der Methodik. Allerdings zeigt die eingeschränkte Sensitivität, dass der Einsatz von mNGS kein genereller Ersatz für andere – auch indirekte – Nachweisverfahren sein kann.“
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