Signale Frühgeborener erkennen und verstehen

Die ersten Wochen und Monate des „Kennenlernens“ sind für Eltern Frühgeborener eine herausfordernde Zeit. (Foto: © Iryna – stock.adobe.com)

Die App SIGNAL-Train erklärt, mit welchen Signalen Frühgeborene ihre Empfindungen ausdrücken. Damit unterstützt die kostenlose Anwendung die Eltern‐Kind‐Interaktion frühzeitig und präventiv.

Jedes zehnte Neugeborene in Deutschland benötigt wegen einer zu frühen Geburt eine stationäre Behandlung. Die Eltern sind gerade in dieser Zeit eine wichtige Stütze, ihre Anwesenheit hat einen wesentlichen Einfluss auf die kindliche Entwicklung. Um Eltern während der Behandlung intensiv in die Versorgung des Kindes einzubeziehen, benötigen sie Wissen und entsprechende Anleitung. Nur so kann die elterliche Kompetenz gestärkt und die langfristige Entwicklung der Kinder positiv beeinflusst werden. Denn vergleichbar ist die Versorgung von Frühgeborenen mit Kindern, die termingerecht geboren wurden, nicht.

Ein multiprofessionelles Team aus Psychologinnen des FamilieNetz im Fachbereich Neonatologie und aus der Pädiatrischen Intensivmedizin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden unterstützen Eltern in dieser Situation mit einem speziellen Training. Sie haben ein in Australien entwickeltes Feinfühligkeitstraining an deutsche Bedingungen angepasst. Die daraus entstandene App steht nun bundesweit kostenfrei zur Verfügung. „Die Überführung von medizinischer Expertise in digitale Tools ist ein Schlüssel für die Herausforderungen in der Krankenversorgung in der Zukunft. Dabei ist es enorm wichtig, den Zugang so einfach und barrierefrei zu ermöglichen. Dies ist hier beispielhaft gelungen“, erklärt Prof. Uwe Platzbecker, Medizinischer Vorstand am Universitätsklinikum Dresden.

Ein auf die Entwicklungssignale Frühgeborener spezialisiertes Feinfühligkeitstraining wird den Eltern frühgeborener Kinder, die am Uniklinikum betreut werden, bereits seit 2012 durch das FamilieNetz angeboten. Im Rahmen der Corona-Pandemie haben Psychologinnen des Zentrums für feto/neonatale Gesundheit das analoge Angebot mit finanzieller Unterstützung des Kurt-Goldstein-Instituts digitalisiert und auf lokalen Servern für die Eltern verfügbar gemacht. In einer wissenschaftlichen Begleituntersuchung konnte ergänzend gezeigt werden, dass durch das digitalisierte Trainingsangebot SIGNAL-Train elterliches Wissen und die Selbstwirksamkeit verbessert werden.

„Frühgeborene können wie reifgeborene Kinder nicht sprechen. Sie kommunizieren mit Lauten, aber auch mit Mimik und Gestik. Diese zu verstehen, ist für die Eltern enorm wichtig, um adäquat auf ihr Kind reagieren zu können. Empfinden Frühgeborene zum Beispiel Stress, strecken sie die Hände wie bei einem Stoppzeichen den Eltern entgegen“, erklärt Dipl.-Psychologin Josephin Jahnke, Leiterin FamilieNetz. 

SIGNAL-Train macht auf diese Zeichen aufmerksam und gibt Tipps, wie sich Eltern in der entsprechenden Situation verhalten können. „Konkret können sie beispielsweise ihre Hand großflächig auf den Bauch des Kindes legen oder auf eine andere Art für Begrenzung sorgen und so im besten Fall das Kind beruhigen“, erklärt die Psychologin. Je mehr die Eltern die Interaktion mit und durch ihre Kinder verstehen, desto besser entwickeln sich diese während der Zeit auf Station und auch danach.

Um dieses Angebot auch Eltern in den Partnereinrichtungen des Zentrums für feto/neonatale Gesundheit verfügbar zu machen, steht nun ein Online-Kurs zur Verfügung. Die Überführung ist mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Kranke Neugeborene (DSKN) gelungen. Die DSKN hatte bereits vor zwei Jahren mit dem NEODIARY ein digitales Tagebuch für Eltern entwickeln lassen. Dieses Tagebuch können Eltern bundesweit als App kostenlos benutzen. Sie dokumentieren damit ihre Erlebnisse, Gedanken, Gefühle und Erfolge mit ihren Neugeborenen. „Das sensibilisiert für die kleinen und großen Erfolge und macht auch im Nachhinein sichtbar, welchen Weg die Eltern zusammen mit ihren Kindern bewältigt haben. Gerade im oft wochenlangen Alltag eines Klinikaufenthalts ist so etwas wichtig“, weiß Prof. Mario Rüdiger, Gründungsdirektor des Zentrums für feto/neonatale Gesundheit.

Das NEODIARY wurde bereits modular konzipiert und durch die Firma aiddev so programmiert, dass jetzt eine Erweiterung um das Trainingsangebot SIGNAL-Train möglich war. Auf der vom 21. bis 24. Mai in Lübeck stattfindenden Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin werden Expertinnen und Experten des Zentrums für feto-neonatale Gesundheit über ihre Erfahrungen mit dem NEODIARY berichten und aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse zur Wirksamkeit des Trainingsangebots SIGNAL-Train vorstellen. Das SIGNAL-Train Tool ist dann für die kostenlose Nutzung bundesweit verfügbar.