Smarter Schlafen – Schlaf-Gadgets für einen besseren Schlaf?22. Juni 2022 Foto: Monkey Business/stock.adobe.com Insomnie ist eine der häufigsten Erkrankungen in unserem Gesundheitssystem und mit zahlreichen Einschränkungen verbunden. Inzwischen gibt es viele Apps und Gadgets – die wenigsten sind wissenschaftlich evaluiert, darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) hin. Epidemiologische Studien zeigen, dass zwischen 6 und 10 % der Bevölkerung an einer behandlungsbedürftigen Insomnie leiden. Nach internationalen Studien leiden mehr als 70 % der Betroffenen länger als ein Jahr und fast 50 % länger als drei Jahre an dieser Erkrankung. Das sind mindestens 5 Millionen Bundesbürger, je nach Studie nehmen zwischen 1,1 und 1,9 Millionen Menschen in Deutschland Schlafmittel ein und haben sich an diese gewöhnt. Insomnien sind mit zahlreichen Einschränkungen in Bezug auf das psychosoziale Leistungsvermögen, die Gesundheit und die Lebensqualität verbunden. Es konnte gezeigt werden, dass bis zu 1,6 Prozent des Bruttosozialproduktes in Deutschland (ca. 50 Milliarden Euro) infolge von Insomnien als volkswirtschaftlicher Schaden jährlich entstehen. Die Insomnie ist weiterhin assoziiert mit einer erhöhten Anzahl von Arbeits- und Verkehrsunfällen. Die chronische Insomnie ist ein Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Störungen und in unbehandelter Form stellt sie bei Depressionen und Alkoholabhängigkeit ein erhöhtes Rückfallrisiko dar. Weiterhin geht die Insomnie mit einem ungünstigeren Krankheitsverlauf bei chronischen Schmerzen einher. Chronische Insomnien erhöhen zudem das Risiko für körperliche Volkskrankheiten, wie z.B. Herz-Kreislauf und Stoffwechselerkrankungen. Viele Menschen erhoffen sich Hilfe auf dem breiten Markt für technische Schlafhilfen. Bei der Crowdfunding Plattform Kickstarter sind über 1400 Projekte mit dem Thema „Sleep“ gelistet. Diverse Sleeptracker und Apps auf dem Markt werden zur Vermessung des eigenen Schlafes angeboten. Manche sollen die Diagnose von Schlafstörungen, wie beispielsweise Schlafapnoe ermöglichen. Zu den Gadgets, die für einen besseren Schlaf sorgen sollen, gehören Kuschel-Schlafroboter, die synchron mit den Schlafenden atmen, Gewichtsdecken, Lichtmetronome, Stirnbänder zur Stimulation der Gehirnströme, intelligente Schlafmatten und vieles mehr. Alle suggerieren den Käufer:innen die Auflösung von Schlafproblemen, einen tiefen und festen Schlaf sowie mehr Leistungsvermögen am Tage. Das Marktforschungsinstitut Global Market Insights schätzt die weltweiten Ausgaben dafür auf bis zu 27 Milliarden in fünf Jahren. Was ist dran am Versprechen eines besseren Schlafes? Die allerwenigsten dieser Gadgets sind wissenschaftlich erprobt und in ihrer Wirksamkeit evaluiert. Viele Nutzerinnen und Nutzer sind nach dem Kauf enttäuscht. „Bei vielen Schlaftrackern und Apps handelt es sich im eigentlichen Sinne um Steinzeitmethoden der Schlafforschung“, so Hans-Günter Weeß, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Sie vermitteln aufgrund ihrer Erscheinungsform einen hochtechnischen und wissenschaftlichen Charakter. Viele beruhen aber im eigentlichen Sinne auf der Analyse der Bewegungshäufigkeit und nutzen oft als einziges Biosignal den Puls. „Würde es sich dabei um valide Parameter zur Analyse des Schlafes handeln, würden wir diese längst in der schlafmedizinischen Praxis einsetzen“, so Weeß. In gewisser Weise bergen diese Methoden auch Risiken in sich, wie die DGSM hervorhebt: Zum einen verstärken sie bei Patienteninnen und Patienten mit Schlafstörungen die Selbstbeobachtung des eigenen Schlafvermögens und wirken in der Konsequenz häufig schlafstörungsverstärkend. Weiterhin verlassen sich viele Menschen nicht mehr auf das eigene Körpergefühl am Morgen, sondern schauen erst auf das Ergebnis des Schlaftrackers und fühlen sich dann entsprechend. Darüber hinaus können die Geräte aufgrund ihrer fehlenden Genauigkeit Menschen mit Schlafstörungen einen gesunden Schlaf attestieren, sodass diese keine weitere Hilfe in Anspruch nehmen. Anderseits ist es möglich, dass Menschen mit einem gesunden Schlaf ein nicht erholsamer Schlaf attestiert wird, was diese wiederum verunsichern kann. „Wenn man den Schlafgadgets einen Vorteil zuschreiben möchte, dann die Tatsache, dass sie darauf aufmerksam machen, wie wichtig und bedeutsam der Schlaf für den Menschen ist“, so Christoph Schöbel, Vorstandsmitglied der DGSM. „In unserer Gesellschaft wird der Schlaf häufig viel zu wenig geschätzt, was man an Schimpfwörtern wie Schnarchnase und Schlafmütze ablesen kann.“ Grundsätzlich können digitale Methoden mit Anwendung in der heimischen Umgebung durchaus die Behandlung von Menschen mit Schlafstörungen wirksam unterstützen, deshalb fordert die DGSM Grunde moderne wissenschaftlich evaluierte Methoden, welche medizinischen, diagnostischen und therapeutischen Standards für die Behandlung von Menschen mit Schlafstörungen entsprechen. DGSM empfiehlt wissenschaftlich erprobtes Vorgehen im Stufenmodell Für die Behandlung von Menschen mit Schlafstörungen schlägt die DGSM ein gestuftes Vorgehen auch mittels telemedizinischer Methoden zur Behandlung der großen Zahl von Patientinnen und Patienten mit Schlafstörungen in Deutschland vor. Dieses Stepped-Care Modell orientiert sich an internationalen Empfehlungen zur gestuften Behandlung der großen Zahl an Menschen in den modernen 24/7- Gesellschaften. In wissenschaftlichen Studien konnte die Wirksamkeit der einzelnen Behandlungsstufen bereits belegt werden. Durch die Indikationsstellung eines in der Schlafmedizin geschulten Arzt oder Therapeuten werden zur Schonung von Personal- und Finanzressourcen auf einer ersten Behandlungsstufe evidenzbasierte selbstwirksame Techniken über Onlineprogramme, Selbsthilfebücher (Bibliotherapie), Lehrvideos (Psychoedukationsvideos) und Selbsthilfegruppenvermittelt. Mittlerweile setzt hier auch eine von den Krankenkassen finanzierte „App auf Rezept“ – Digitale Gesundheitsanwendung – verhaltenstherapeutische Elemente zur Insomnie-Therapie digital um. Patienten, die von diesen Angeboten nicht profitieren, werden in einer zweiten Behandlungsstufe Gruppenangeboten von geschultem medizinischen Fachpersonal zugeführt. Erst auf einer weiteren dritten Behandlungsstufe kommen Psychotherapeuten mit Gruppen- und Einzelangeboten auf den Behandlungsplan. Alle Patientinnen und Patienten, die von den zuvor genannten Behandlungsstufen nicht profitieren, muss dann eine Behandlung in einem schlafmedizinischen Zentrum im Rahmen einer obersten Behandlungsstufe angeboten werden. Bei diesem Vorgehen kommt dem Hausärzt:in neben seiner Behandlungs- auch eine Steuerungsfunktion für die Patienten durch das Stepped-Care Modell zu. Er schließt organische Ursachen der Schlafstörung aus und verordnet im Bedarfsfall kurzfristig zur Erhaltung des Leistungsniveaus und der Arbeitsfähigkeit ein Schlafmittel. Wesentlich ist aber die Lotsenfunktion durch die gestuften Insomnie- Behandlungsangebote. In diesem Rahmen führt er die Patientinnen und Patienten durch die verschiedenen Behandlungsangebote und evaluiert deren jeweilige Wirksamkeit.
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