Spätes Essen ist mit gestörtem Glukosestoffwechsel verbunden

Der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme im Tagesverlauf beeinflusst den Glukosestoffwechsel und die Insulinempfindlichkeit. David Ausserhoffer / DIfE

Bisher war wenig darüber bekannt, wie der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme den Glukosestoffwechsel beeinflusst. Dies haben Forscher des Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) nun untersucht.

Bisherige Studien zeigen, dass spätes oder nächtliches Essen mit einem erhöhten Risiko für Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden ist. Dennoch ist bislang wenig darüber bekannt, wie genau der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme im Zusammenspiel mit dem individuellen zirkadianen Rhythmus den Glukosestoffwechsel und das Diabetesrisiko beeinflusst. Zudem ist unklar, welche Mechanismen das individuelle Essverhalten bestimmen, da hierbei kulturelle, persönliche, physiologische und genetische Einflüsse zusammenwirken.

Vor diesem Hintergrund hat Prof. Olga Ramich, Heisenberg-Professorin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und am DIfE untersucht, wie der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme im Tagesverlauf mit dem Glukosestoffwechsel und der Insulinempfindlichkeit zusammenhängt. Außerdem wollte Ramich, die auch am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) forscht, herausfinden, welchen Einfluss genetische und umweltbedingte Parameter auf die individuellen Essgewohnheiten haben. Die Forschungsergebnisse wurden im Journal „eBioMedicine“ veröffentlicht.

Zwillinge geben Aufschluss

Dafür nutzten sie Daten aus der NUtriGenomics Analysis in Twins (NUGAT)-Studie, an der 46 eineiige und zweieiige Zwillingspaare ohne Diabetes teilnahmen. Die Probanen führten fünf Tage lang Ernährungstagebuch über ihre Essenszeiten und -mengen. Die Wissenschaftler ermittelten den individuellen Schlaf-Wach-Rhythmus (Chronotyp) der Teilnehmenden und führten verschiedene Stoffwechseltests, wie z. B. einen Blutzuckerbelastungstest, durch. Darüber hinaus bestimmten sie das zirkadiane Timing des Essens, also wann jemand im Verlauf des Tages isst – und zwar in Bezug auf den individuellen biologischen Tagesrhythmus und nicht auf die Uhrzeit.

Ein wichtiger Parameter, den die Wissenschaftler ermittelten, war der zirkadiane kalorische Mittelpunkt (CCM) der Probanden. Dieser beschreibt jenen Zeitpunkt am Tag, zu dem rechnerisch die Hälfte der Tageskalorienmenge aufgenommen wurde. Ein späterer CCM bedeutet demnach, dass jemand hauptsächlich später am Tag isst – in Bezug auf den individuellen Chronotyp.

„Menschen, die ihre Hauptkalorien früher im Tagesverlauf zu sich nahmen, hatten eine bessere Insulinempfindlichkeit“, erklärt Ramich. „Auf der anderen Seite zeigten Probanden, die ihre Hauptkalorien erst spät am Tag aufnahmen, eine schlechtere Insulinempfindlichkeit, was mit einem höheren Risiko für Typ-2-Diabetes einhergeht.“ Darüber hinaus hatten sie einen höheren Body-Mass-Index und einen größeren Taillenumfang.

Gene beeinflussen, wann wir essen

Um den Einfluss der Gene auf die Essenszeiten zu untersuchen, verglichen die Forschenden das Essverhalten der eineiigen Zwillinge (100 Prozent identische Gene) mit dem der zweieiigen Zwillinge (ca. 50 Prozent identische Gene). Mit speziellen mathematischen Modellen konnten sie abschätzen, wie stark der Zeitpunkt des Essens auf Gene, gemeinsame Umwelt oder individuelle Erfahrungen zurückzuführen ist. Die Studie belegt, dass verschiedene Parameter des täglichen Essenszeitmusters bis zu 60 Prozent genetisch beeinflusst werden.

Eine Verlagerung der Hauptkalorienaufnahme auf frühere zirkadiane Zeiten könnte den Glukosestoffwechsel verbessern sowie vor Typ-2-Diabetes und Übergewicht schützen. „Da die Essenszeiten jedoch teils erblich bedingt sind, dürfte es einigen Menschen schwerfallen, ihre Gewohnheiten zu ändern“, gibt Ramich zu bedenken. „Um die Wirksamkeit von Interventionen, die auf der Essenszeit basieren, besser zu verstehen, sind weitere Validierungsstudien und klinische Untersuchungen nötig.”

Zirkadianes Timing des Essens

Wann jemand im Tagesverlauf bezogen auf den individuellen biologischen Tagesrhythmus isst, wird als Abstand zwischen der Essenszeit und dem Mittelpunkt des Schlafs gemessen. Der Mittelpunkt des Schlafs beschreibt die Zeit, die genau in der Mitte zwischen Einschlafen und Aufwachen liegt. Er gilt als ein Maß für den Chronotyp – also ob jemand eher Frühaufsteher oder Nachtmensch ist.

Zum Hintergrund der NUtriGenomics Analysis in Twins (NUGAT)-Studie: Die von Prof. Andreas F. H. Pfeiffer initiierte und konzipierte NUGAT-Studie wurde 2009 bis 2010 am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) durchgeführt. Die ein- und zweieiigen Zwillingspaare wurden entweder aus einem Zwillingsregister (HealthTwiSt, Berlin, Deutschland) oder über öffentliche Anzeigen rekrutiert. Die 92 Teilnehmenden (46 Zwillingspaare) durchliefen dabei zwei Ernährungsinterventionen, die innerhalb der hier gezeigten Studienergebnisse jedoch keine Relevanz hatten. Die Teilnehmenden unterzogen sich einer detaillierten Stoffwechselphänotypisierung, die eine körperliche Untersuchung, eine Anamnese, anthropometrische Messungen und einen Glukosetoleranztest umfasste. Der individuelle Chronotyp wurde mittels eines Fragebogens bestimmt. Zudem füllten alle 92 Probanden handschriftlich Ernährungsprotokolle aus, in denen sie den Beginn und das Ende jeder Mahlzeit sowie die Menge und Art der verzehrten Lebensmittel an fünf aufeinander folgenden Tagen notierten. Darunter waren drei Arbeitstage und zwei freie Tage, um die Ernährungsgewohnheiten der Zwillingspaare widerzuspiegeln.