Spenderorganmangel: Deutsche Herzstiftung befürwortet Initiative zur Widerspruchslösung

Herzstiftungs-Vorstand Jan Gummert. Foto: ©HDZ NRW

Organspenden scheitern zu oft an fehlender Zustimmung. Zum Tag der Organspende am 1. Juni betont die Deutsche Herzstiftung, dass die Einführung der Widerspruchslösung dringend notwendig sei, um die Lücke an Spenderherzen zu verringern und Leben zu retten.

„Wir befürworten ausdrücklich die Initiative des Bundesrats, der die Bundesregierung durch einen Entschließungsantrag aufgefordert hat, die Widerspruchslösung in das Transplantationsgesetz aufzunehmen“, betont Prof. Jan Gummert, Herzstiftungs-Vorstand und Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Herz- und Diabeteszentrum NRW, Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum, Bad Oeynhausen. Man sehe weiterhin die Einführung der Widerspruchslösung – auch aufgrund der Erfolge anderer europäischer Länder nach deren Einführung – als die entscheidende Maßnahme, um endlich in Deutschland die Situation der Organspende nachhaltig zu verbessern, erläutert der Herzchirurg in einer aktuellen Mitteilung der Herzstiftung. Versuche der Bundesregierung, den aktuellen Missstand von benötigten und gespendeten Organen zu ändern und eine spürbare Zunahme an Spenderorganen zu bewirken, seien bislang fehlgeschlagen.

Zahl der Spenderherzen gesunken

Die Deutsche Herzstiftung und Herzchirurgen wie Gummert, der das größte Herztransplantationszentrum in Deutschland leitet, sehen die geringe Zahl der Spenderherzen in Deutschland mit äußerster Besorgnis, denn diese bewegt sich seit Jahren auf einem sehr niedrigen Niveau. Bei den postmortal gespendeten Herzen sank sie laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) um 2,9 Prozent von 312 (2022) auf 303 im Jahr 2023. Entsprechend dramatisch ist die Kluft zwischen der Zahl verfügbarer Organe für eine Transplantation und der Zahl herzkranker Menschen auf den Wartelisten. Für ein Herz befanden sich 2023 insgesamt 1.094 Personen auf der Warteliste (davon 2023 auf die Warteliste aufgenommen: 485 Menschen), nur 330 Herztransplantationen wurden durchgeführt; ein Jahr zuvor waren es noch 358 Herzverpflanzungen. Bei Kindern unter 16 Jahren wurden 32 Herztransplantationen (2023) durchgeführt. 27 Herztransplantationen der insgesamt 330 kamen dank importierter Herzen aus Ländern des Eurotransplant-Verbunds –alles Länder mit Widerspruchslösung – zustande. „Schwer herzkranke Patienten mit einer Herzinsuffizienz auf den Intensivstationen verbleiben daher ohne die dringlich benötigte Herztransplantation auf der Warteliste“, erklärt Gummert.

Organmangel auch wegen fehlender dokumentierter Zustimmungen

In Deutschland gilt die Zustimmungslösung. Organe oder Gewebe dürfen nur entnommen werden, wenn die verstorbene Person dem zu Lebzeiten zugestimmt hat. Nach dem Tod der Person können stellvertretend die nächsten Angehörigen ihre Zustimmung geben, wenn der oder die Verstorbene zu Lebzeiten keine Entscheidung getroffen oder dokumentiert hat. Ein Problem, das die DSO für den Rückgang der Organspenden anführt: Es fehlt häufig an eindeutigen Einwilligungen der Verstorbenen. Und nach dem Tod ist es ethisch auch sehr schwer, direkt bei den Angehörigen nach der Organspende zu fragen. Nach einer aktuellen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) befürworten zwar rund 84 Prozent der Bundesbürger zwischen 14 und 75 Jahren eine Organ- und Gewebespende und immerhin rund 44 Prozent dokumentieren ihre Spendebereitschaft sogar schriftlich. Untersuchungen zeigen allerdings, dass ihr Wille im Krankenhaus dennoch vielfach unbekannt bleibt, „weil Ausweise oder andere Dokumente nicht auffindbar sind“, berichtet die DSO. Eine Untersuchung in sieben Unikliniken habe ergeben, dass der schriftliche Wille nur in zehn Prozent der Fälle vorlag. „Wenn bei fehlender schriftlicher Willensbekundung der verstorbenen Person die Angehörigen in einer seelisch ohnehin sehr schwierigen Situation selbst über die Spende entscheiden müssen, lehnen sie häufig ab“, berichtet Gummert. Laut DSO ist die fehlende Zustimmung durch Angehörige einer der Hauptgründe, warum eine Spende bei potenziellen Organspendern nicht stattgefunden hat.

Organspende-Register: „Kein nennenswerter Effekt, weil zu kompliziert“

Ob das im März gestartete Organspende-Register zu einer Trendumkehr beitragen und für eine Zunahme der Spenderorgane sorgen kann, bleibt abzuwarten. Ab dem 1. Juli 2024 sollen Entnahmekrankenhäuser online in der Lage sein, im Register hinterlegte Erklärungen zu suchen und abzurufen. Experten wie Klinikdirektor Gummert sind allerdings skeptisch. Seiner Einschätzung nach wird das Register „keinen nennenswerten Effekt“ auf die Spenderorganzahlen haben, „weil es auf freiwilliger Basis läuft und zu kompliziert ist“, so Gummert. Letzteres betrifft besonders die technisch wenig affinen Menschen, da für die Eingabe der Willensbekundung ein Personalausweis mit Onlinefunktion und Pin benötigt wird. „Was nützt ein Register mit nur 20-prozentiger Vollständigkeit bei der Entscheidung der Bevölkerung für oder gegen eine Organspende?“, gibt der Herzchirurg zu bedenken. „Jeder sollte auf alle Fälle weiterhin seinen Organspendeausweis bei sich tragen und auch seine nächsten Angehörigen über seine Entscheidung und deren Dokumentation informieren“, empfiehlt der Herzstiftungs-Vorstand.

„Wir brauchen einen Kulturwandel bei der Organspende“

Deutschland, das seit Jahren mehr Organe importiert als exportiert, profitiert von den verhältnismäßig höheren Spendezahlen der Nachbarländer. Während 490 Organe aus Ländern des Eurotransplant-Verbundes im Jahr 2023 importiert wurden, erhielten diese nur 384 Organe aus Deutschland (DSO). „Daran sehen wir, dass sich unter den derzeitigen Bedingungen nur mit Hilfe von Spenderorganen aus dem Ausland – wohlgemerkt alles Länder mit Widerspruchslösung – auch die Zahl der transplantierten Herzen erhöhen lässt“, so Gummert. Dieser Organ-Import sei moralisch fragwürdig, solange sich Deutschland gegen eine Widerspruchslösung entscheide, so der Herzchirurg. Deutschland hat als einziges Mitgliedsland von Eurotransplant keine Widerspruchslösung. „In vielen Teilen der Bevölkerung fehlt leider das Selbstverständnis dafür, dass eine Organspende nach dem Tod eines Menschen das Leben eines anderen Menschen rettet. Wir brauchen daher in Deutschland einen Kulturwandel bei der Organspende. Die Widerspruchslösung wäre ein möglicher Schritt dahin.“