Streeck will Umdenken bei Versorgung Älterer – Widerspruch auf breiter Front

Operation gelungen, Patient tot? Foto: StreetOnCamara – stock.adobe.com

Mit einer Aussage zu teuren Medikamenten für sehr alte Menschen hat der CDU-Gesundheitspolitiker Hendrik Streeck für Wirbel gesorgt. Bundesregierung und Opposition distanzieren sich. Nun legt der Virologe vom Universitätsklinikum Bonn nach – und erntet überwiegend Ablehnung.

In der Debatte um die Gesundheitsversorgung alter Menschen hat Streeck seinen kritisierten Vorstoß nochmals präzisiert. „Es geht nicht ums Sparen, sondern darum, Menschen etwas zu ersparen“, schrieb Streeck in einem Gastbeitrag in der „Rheinischen Post“. Es gehe darum, wie man Menschen in ihren letzten Lebensphasen verantwortungsvoll begleite, statt sie aus falschen Anreizen überzuversorgen.

Streeck, der auch Drogenbeauftragter der Bundesregierung ist, hatte bereits für Wirbel gesorgt, als er die Frage aufwarf, ob man sehr alten Menschen noch besonders teure Medikamente verordnen sollte. Es brauche in der medizinischen Selbstverwaltung „klarere und verbindliche Leitlinien, dass bestimmte Medikamente auch nicht immer ausprobiert werden sollten – es gibt einfach Phasen im Leben, wo man bestimmte Medikamente auch nicht mehr einfach so benutzen sollte“, sagte er in der Talksendung „Meinungsfreiheit“ des Senders Welt TV.

Ablehnung aus Regierung und Opposition

Gesundheitsministerin Nina Warken stellte in der „Bild“-Zeitung klar: „Im Ministerium wird diese Zielrichtung nicht verfolgt.“ Auch der stellvertretende Regierungssprecher Steffen Meyer sagte, es sei klar, „dass das nicht die Haltung der Bundesregierung ist“. Gerade bei sehr emotionalen Themen und im Bereich Gesundheit sei es sicherlich ratsam, „die Dinge zunächst vernünftig vorzubereiten, anstatt dazu eine öffentliche Diskussion – die wir hier jetzt beenden konnten – zu führen“.

Noch deutlichere Ablehnung kam aus der Opposition. Linksfraktionschef Sören Pellmann sagte der „Rheinischen Post“: „Solche Gedankenspiele von einem CDU-Gesundheitspolitiker sind nur noch beschämend. Diese Debatte zu eröffnen, sägt weiter am gesellschaftlichen Zusammenhalt. Streeck muss seinen Vorstoß mal ausbuchstabieren: Ab welchem Alter soll denn ein Leben aus seiner Sicht nicht mehr schützenswert sein – ab 85, 90, 95?“

Streeck: Menschen werden „tot operiert“

Streeck führte nun aus, Reflex sei oft, dass die Lebensverlängerung immer das höchste Ziel sei. Dabei sei nicht alles, was medizinisch möglich sei, auch menschlich vertretbar. „In Deutschland aber werden ältere, hochfragile Menschen nicht selten ‚tot operiert‘ – nicht aus Böswilligkeit, sondern weil unser System falsche Anreize setzt.“ Ein minimalinvasiver Herzklappenersatz oder eine fünfte Hüftprothese würden allzu oft durchgeführt, ohne dass die entscheidende Frage gestellt werde: Verbessert das das Leben? Oder verlängert es nur Leiden? „Manchmal ist die größere Fürsorge, nicht alles zu tun, was man kann.“

Streeck zufolge steigen die Gesundheitskosten im letzten Lebensquartal exponentiell. „Nur steigt nicht immer die Lebensqualität“, schrieb der CDU-Politiker. „Wenn die Wahrscheinlichkeit zu sterben größer ist, als die zu genesen, dürfen weder Kosten noch theoretische Möglichkeiten entscheiden. Sondern der Wunsch des Menschen. Seine Würde. Sein Frieden.“

Patientenschützer: Voraussetzungen für würdige Alternative nötig

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz widersprach Streeck zunächst: „Das Grundgesetz garantiert jedem die Menschenwürde“, monierte Vorstand Eugen Brysch. „Hendrik Streeck diskriminiert mit seinen Äußerungen unverhohlen alte Menschen. Jeder hat den gesetzlichen Anspruch auf eine bestmögliche Medikamentenversorgung.“

Nach Streecks neuerlicher Klarstellung heißt es jetzt, der Politiker fordere zu Recht, dass sterbenskranken Menschen nicht mehr alle möglichen Therapien zugemutet würden. Dann müsse die Koalition aber auch die Voraussetzungen schaffen, dass das Gesundheitssystem den schwerstkranken und sterbenden Patienten eine würdige Alternative biete, so Brysch.

Geriater wehren sich gegen Altersdiskriminierung

Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) warnt in einer aktuellen Mitteilung vor pauschalen Überlegungen, hochbetagten Menschen bestimmte – auch teure – Therapien vorzuenthalten. „Das kalendarische Lebensalter allein darf niemals über medizinische Entscheidungen bestimmen“, betont Prof. Michael Denkinger, Präsident der DGG. Streecks Äußerungen verdeutlichen für ihn die Notwendigkeit, die Rolle der Altersmedizin in Deutschland zu stärken. „Die Geriatrie ist die Schlüsseldisziplin für eine angemessene medizinische Versorgung alternder Gesellschaften“, unterstreicht er.

Denkinger hebt die Bedeutung des geriatrischen Assessments hervor. Dadurch würden neben den Erkrankungen konsequent auch die Funktionalität, Selbständigkeit und Lebensqualität berücksichtigt, sodass eine differenzierte Abwägung zwischen kurativen, rehabilitativen und palliativen Behandlungsoptionen möglich werde. „Ökonomische Erwägungen sind wichtig, dürfen jedoch einer längst überwunden geglaubten Altersdiskriminierung keinen Vorschub leisten“, so der Chefarzt und Ärztliche Direktor der Agaplesion Bethesda Klinik Ulm.

(ms/BIERMANN mit dpa)