Streit um Krankenhausreform sorgte für Unregelmäßigkeiten im Bundesrat

Ursula Nonnemacher (Grüne) opferte für die Krankenhausreform ihr Amt als Gesundheitsministerin in Brandenburg. An ihrer Entlassung zerbrach dann die Koalition. Foto: MSGIV Brandenburg

Eine Länderstimme wurde nicht gezählt, ein Ministerpräsident entließ sogar während laufender Sitzung seine Gesundheitsministerin. Grund waren Unstimmigkeiten innerhalb der Länder über die Abstimmung zur bundesweiten Krankenhausreform.

Bayern stellte im Bundesrat den Antrag, die Krankenhausreform in den Vermittlungsausschuss zu überweisen. Letztlich kam das Land damit nicht durch. Über die Frage, ob sie für den Antrag stimmen oder die Reform unverändert passieren lassen wollten, waren die Angeordneten der Länder Brandenburg und Thüringen unter sich uneinig. In Brandenburg führte der Zwist sogar zum Bruch der Koalition.

Vor der Sitzung im Bundesrat kam es in der Brandenburger Koalitionsrunde zum Konflikt mit dem Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) über das Abstimmungsverhalten zur Krankenhausreform. Die Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) machte klar, dass sie sich nach erreichten Verbesserungen im Klinikgesetz gegen die Anrufung des Vermittlungsausschusses stellen werde, sie sah sich dabei mit ihren Fachleuten auf einer Linie. Die für die Krankenhäuser zuständige Fachministerin warnte: „Das führt zu einer Versenkung dessen, was hier in zwei Jahren mühsam ausgehandelt worden ist.“ Anders als der Ministerpräsident wollte die Ministerin nicht für den Vermittlungsausschuss stimmen und sich auch in ihrer geplanten Rede für die Reform aussprechen.

Daraufhin habe der Ministerpräsident gedroht, sie vor der Sitzung zu entlassen, schilderte die Grünen-Politikerin. „Solange ich keine Entlassungsurkunde in den Händen halte“, werde sie ihre Rede halten, habe sie gesagt.

Ministerin entlassen – Länderstimme gültig

Dann kam es um 10.00 Uhr zum Showdown. Noch auf dem Bundesrats-Flur in Berlin bekam Nonnemacher nach eigener Schilderung ihr Entlassungspapier. Die 67-jährige Ärztin sprach von einem „Tiefpunkt der politischen Kultur“.

Der Regierungschef verhinderte mit der Entlassung eine Enthaltung Brandenburgs in der Länderkammer. Die rot-schwarz-grüne Koalition hatte vereinbart, dass sie sich im Bundesrat enthält, wenn sie sich nicht einig ist. Mit einem „divergierenden Abstimmungsverhalten“ wären Brandenburgs Stimmen in der Länderkammer ungültig gewesen. Das hatte das Bundesverfassungsgericht 2002 für den Fall entschieden, dass ein Bundesratsmitglied dem Stimmenführer seines Bundeslandes widerspricht. Damals hatte es ebenfalls in der Landesregierung Brandenburgs Streitigkeiten gegeben.

Nonnemacher spricht im Rückblick von „Vertrauensbruch“. Das Verhältnis zwischen Woidke und Nonnemacher galt schon länger als angespannt. In der Corona-Krise verlagerte er die Zuständigkeit für das Impfen zwischenzeitlich von ihrem Ministerium zum Innenressort.

Im März enthielt sich der Ministerpräsident im Bundesrat bei der Entscheidung über eine Teil-Legalisierung von Cannabis nicht wie in Streitfällen der Koalition, sondern setzte sich für ein Nachschärfen der Gesetzespläne ein und rief den Vermittlungsausschuss an.

Entlassung sorgt für Bruch der Brandenburger Koalition

Innerhalb der Brandenburger Koalition kam es nach der Entlassung Nonnemachers zum Nachbeben: Aus Solidarität trat Nonnemachers Parteifreund, Agrarminister Axel Vogel, zurück. Woidkes Koalitionspartner sieht keine Basis mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Damit ist die rot-schwarz-grüne Koalition in Brandenburg in der Schlussetappe zerbrochen. Die Regierung aus SPD, CDU und Grünen war nur noch geschäftsführend im Amt bis zur Bildung einer neuen Regierung. SPD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wollen eine neue Koalition schmieden und sind im Endspurt ihrer Verhandlungen.

Der Rücktritt von Agrarminister Vogel sei eine Konsequenz „aus dem respektlosen Umgang des Ministerpräsidenten mit der bisherigen Gesundheitsministerin“, heißt es in einer Mitteilung der Grünen. Eine Zusammenarbeit sei nicht mehr möglich.

Woidke sagte zur Entlassung Nonnemachers im Interview mit RTL/ntv: „Ich kann mir da nicht auf der Nase rumtanzen lassen.“ Das Rücktrittsgesuch von Vogel nahm Woidke an.

Thüringens Stimme wegen Uneinigkeit nicht gezählt

Was der Brandenburger Ministerpräsident verhindern wollte, ist in Thüringen passiert: Für Thüringen stimmte Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) für die Anrufung des Vermittlungsausschusses – Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) widersprach und erklärte, dies entspreche nicht dem festgelegten Stimmverhalten des Landes. Die Stimme wurde als ungültig gewertet und nicht gezählt.

Normalerweise enthält sich Thüringen im Bundesrat, wenn es keine einheitliche Meinung in der Landesregierung gibt. Dieses Mal votierte Linke-Mann Hoff bei der Abstimmung mit „Ja“. Kurz darauf meldete sich Tiefensee und sagte: „Frau Präsidentin, ich stimme mit Nein. Das Ja entspricht nicht den Festlegungen im Vorfeld.“ Hoff entgegnete, nach den Weisungen und in Übereinstimmung mit Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) zu handeln. 

„Ein solcher Fall ist in der langen Geschichte des Bundesrats, soweit wir wissen, bisher nur ein einziges Mal vorgekommen“, sagte ein Sprecher von Tiefensee. Es gebe verbindliche Regularien, wonach sich ein Land bei unterschiedlichen Positionen im Bundesrat zu enthalten habe. Das sei nicht geschehen. Deshalb habe Tiefensee ein anderslautendes Votum abgegeben. 

Zuvor hatte es schon im Landes-Kabinett am 19. November keine Einigkeit gegeben. Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) hatte die Pläne von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) schon länger kritisiert und die Anrufung des Vermittlungsausschusses empfohlen. Bei der SPD traf das offenbar auf Widerstand. 

Uneinigkeit in Thüringen besteht weiter

Eine Sprecherin von Gesundheitsministerin Werner sagte zu der Entscheidung gegen den Vermittlungsausschuss im Bundesrat: „Die Chance, noch ernsthafte und notwendige Verbesserungen zum Gesetz herbeizuführen ist nun vertan.“ Die fachliche Kritik gelte nach wie vor. 

Werner hatte unter anderem mehr Geld für die Krankenhäuser gefordert, dabei ging es etwa um eine Refinanzierung der Kostensteigerungen in den Jahren 2022 und 2023. Hier habe es kein Entgegenkommen vom Bundesgesundheitsministerium gegeben. Außerdem gebe es nach wie vor kein aussagekräftiges Analysetool des Bundes, um die Folgen der Reform abzuschätzen, so die Sprecherin.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag, Cornelia Urban, sagte hingegen: „Der heutige Tag ist ein guter Tag für das deutsche Gesundheitssystem und für die stationäre Versorgung der Patienten in Thüringen.“ Mehr finanzielle Unterstützung vom Bund wäre natürlich wünschenswert, „aber es ist fünf vor zwölf, wenn es um die Überlebensfrage unserer Krankenhäuser geht“. 

Scharfe Kritik kam von der parteilosen Landrätin des Ilm-Kreises, Petra Enders, die bei den Kommunalwahlen von SPD und Linke unterstützt wurde. „Es ist eine Unverschämtheit von Tiefensee, sich nicht an die Weisung des derzeit geschäftsführenden Ministerpräsidenten zu halten und Parteipolitik vor fachliche Kompetenz und Vernunft zu stellen.“ Sie warnte vor einem Kliniksterben und sprach von einem schwarzen Tag für die Krankenhauslandschaft. 

Klinikreform kommt – Lauterbach lobt Nonnemachers „Verdienst“

Am Ende ließ die Länderkammer das Gesetz für eine grundlegende Neuordnung der Kliniken in Deutschland passieren (wir berichteten). So konnte die entlassene Brandenburger Ministerin – anders als ihr Ministerpräsident – zumindest mit dem Ergebnis der Abstimmung zufrieden sein. Und auch mit einer gültigen Thüringer Stimme für einen Vermittlungsausschuss hätte es dafür knapp nicht gereicht.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach würdigte den Einsatz seiner Brandenburger Kollegin für die Reformpläne: „Sie hat sich insbesondere dafür eingesetzt, dass in Brandenburg die Notfallversorgung in dem Umfang erhalten bleiben kann, wie sie notwendig ist. Das ist ihr Verdienst.“

Die Grünen-Bundesspitze kritisierte den Thüringer Ministerpräsidenten scharf. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck nannte Woidkes Vorgehen „unfassbar“. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte Habeck: „Egal, wie sehr man politisch auseinander liegt, man sollte immer einen menschlichen Umgang miteinander pflegen. Die Entlassung ist ein Alarmzeichen: Das passiert, wenn sich ein SPD-Ministerpräsident im Vorgriff auf eine Koalition schon mal Sahra Wagenknechts Bündnis andient.“

(dpa/ms)