Studie belegt Mängel bei Antibiotikaverschreibungen in deutschen Krankenhäusern15. November 2024 Foto: Yakobchuk Olena/stock.adobe.com Eine Untersuchung an zehn Kliniken zeigt Optimierungsbedarf bei Antibiotika-Auswahl, Infektions-Diagnostik und Therapie-Dokumentation auf. Autoren sehen „dringenden Bedarf“ an Infektiologen und strukturierten Antibiotikaprogrammen. Eine aktuelle Studie des Universitätsklinikums Freiburg zeigt deutliche Defizite bei der Antibiotikaverordnung in nichtuniversitären Krankenhäusern in Deutschland. In zehn Kliniken unterschiedlicher Größe, die zehn Prozent der Krankenhausbetten Baden-Württembergs ausmachen, wurden im Jahr 2021 über 8500 Patientinnen und Patienten untersucht. Anhand von 14 Qualitätskriterien wurde die Qualität des Antibiotikaverordnung bewertet. Ein zentrales Ergebnis: Häufig entsprechen Antibiotikaverschreibungen nicht den empfohlenen Qualitätsstandards. Die Studie erschien im Fachmagazin „Eurosurveillance“ und wurde kurz vor der Weltwoche für den verantwortungsvollen Gebrauch von Antibiotika (WAAW) veröffentlicht, mit der die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 18. bis 24. November auf das globale Problem von Antibiotikaresistenzen hinweist. „Unsere Ergebnisse verdeutlichen den dringenden Bedarf an nachhaltigen Antibiotikaprogrammen und Fachärztinnen und Fachärzten für Infektiologie, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern“, betont Studienleiter Prof. Siegbert Rieg, Leiter der Abteilung Infektiologie der Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikums Freiburg und Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI). „Nur so können wir langfristig Resistenzen vorbeugen und die Behandlungsqualität steigern.“ Große Unterschiede in der Versorgungsqualität Etwa ein Drittel der untersuchten Patientinnen und Patienten erhielt mindestens ein Antibiotikum, meist zur Therapie, in selteneren Fällen zur Prävention. Es zeigte sich insgesamt eine große Streuung der Verordnungsqualität, auf alle Verordnungen bezogen waren jedoch ein Viertel der Therapien nicht adäquat, bei ungefähr der Hälfte der Patientinnen und Patienten wäre der Einsatz eines Antibiotikums mit schmalerem Wirkspektrum möglich gewesen. Weitere Qualitätsindikatoren wie die rechtzeitige Dokumentation der Behandlungsdauer oder die Überprüfung der Antibiotikatherapie nach zwei bis drei Tagen wurden nur in circa einem Drittel der Fälle erfüllt. Auch die Umstellung von intravenösen auf orale Antibiotika fand nur bei etwa der Hälfte der Patient*innen statt, bei denen das eigentlich sinnvoll gewesen wäre. Kritisch ist zudem, dass nur in 45 Prozent der Fälle eine Blutkulturanalyse und bei etwa 60 Prozent der Patientinnen und Patienten ausreichende mikrobiologische Proben vor Beginn der Antibiotikatherapie entnommen wurden, obwohl diese Untersuchungen wesentliche Erkenntnisse zur Therapiesteuerung liefern. „Neben optimierungsbedürftiger Antibiotika-Auswahl beeinträchtigen fehlende Diagnostik und mangelhafte Dokumentation die Qualität der Versorgung erheblich. Diese Defizite gefährden nicht nur die Wirksamkeit der Behandlung, sondern tragen auch zur Entstehung von Resistenzen bei“, hebt Rieg hervor. „Von besonderer Bedeutung ist deshalb auch der Befund, dass Standardantibiotika aus der WHO-Kategorie „Access“ zu selten eingesetzt wurden, dafür sogenannte „Watch“-Antibiotika, die eigentlich speziellen Anwendungen vorbehalten bleiben sollten, zu oft“, kritisiert Rieg. Auch im europäischen Vergleich bestehe somit deutlicher Verbesserungsbedarf, so der Infektiologe. Strukturierte Programme dringend nötig Die Studie zeigt den Bedarf an strukturierten Programmen auf, die für eine sachgemäße Verschreibung und Anwendung von Antibiotika sorgen. „Solche Antimicrobial Stewardship-Programme könnten erheblich dazu beitragen, unnötige Antibiotikatherapien zu reduzieren und die Qualität der Behandlungen zu erhöhen“, erklärt Rieg. Derzeit fehlen jedoch solche Programme und spezialisiertes Fachpersonal in Form von Fachärztinnen und Fachärzten für Innere Medizin und Infektiologie in den meisten nichtuniversitären Krankenhäusern. „Mit dem Wissen, das seit mehr als 15 Jahren an unserer Klinik zu Antibiotic Stewardship und zum infektiologischen Konsiliarservice aufgebaut wurde, können wir anderen Krankenhäusern eine wichtige Unterstützung bieten. Dass diese erforderlich ist, zeigen unsere Befunde“, ergänzt Prof. Robert Thimme, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikums Freiburg. Zukünftige Schritte „Ein flächendeckender Einsatz von Antimicrobial Stewardship und die breite Verfügbarkeit spezialisierter Infektiologinnen und Infektiologen sind entscheidende Maßnahmen, um die Versorgungsqualität zu verbessern. Deutschland hat hier Nachholbedarf“, so Rieg. Weitere Untersuchungen sollen nun im Rahmen der ID-Roll-out-Studie zeigen, wie die Einführung von AMS-Programmen genau strukturiert sein sollte und wieviel spezialisiertes Personal erforderlich ist, um den größtmöglichen Effekt auf die Qualität der Antibiotikatherapie in nicht-universitären Krankenhäusern zu erzielen. Die aktuelle Publikation umfasst den ersten Teil der ID ROLL OUT Studie, bei der der Ist-Zustand unter Normalbedingungen in zehn außeruniversitären Kliniken erhoben wurde. In der sich anschließenden Interventionsphase, die derzeit noch ausgewertet wird, wurden dann gezielte AMS-Maßnahmen ergriffen, und in der Hälfte der Kliniken zusätzlich Fachärzte oder Fachärztinnen für Infektiologie involviert. Innerhalb dieser zweiten Phase soll untersucht werden, wie die Einführung von AMS-Programmen genau strukturiert sein muss, und wieviel spezialisiertes Personal erforderlich ist, um die infektiologische Versorgung und den Einsatz von Antibiotika zu optimieren. Infektiologische Expertise „in die Breite tragen“ Gerade das außeruniversitäre Setting macht die Daten besonders wertvoll. „Die große Mehrzahl der stationären Behandlungen findet nicht in Unikliniken statt“, sagt Prof. Maria Vehreschild, Präsidentin der DGI. Die Daten aus ID ROLL OUT seien daher von großer Relevanz und lieferten Hinweise für konkrete Verbesserungsmöglichkeiten – bis hinunter auf die Ebene der einzelnen Klinik. „Die Untersuchung zeigt, wie wichtig es ist, dass wir infektiologische Expertise und Antibiotic Stewardship-Initiativen weiter in die Breite tragen – gleichzeitig wirft sie aber auch ein Schlaglicht auf den Umstand, dass mit der Einführung des Facharztes für Innere Medizin und Infektiologie vor zwei Jahren zwar die Ausbildung in der Infektionsmedizin deutlich professionalisiert wurde – jedoch an kleineren Häusern entsprechend ausgebildete Ärztinnen und Ärzte weiterhin fehlen“, so Vehreschild. Die Studie wurde als Kooperationsprojekt von der Abteilung Infektiologie, Klink für Innere Medizin II, und der Sektion Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung (SEVERA) des Universitätsklinikums Freiburg sowie der AOK Baden-Württemberg und zehn nicht-universitären Krankenhäusern durchgeführt. Die Förderung erfolgte im Rahmen der Ausschreibungen des GBA-Innovationsfonds im Projekt ‚ID (Infectious Diseases) ROLL OUT – Infektiologische Konsiliar- und Beratungstätigkeit in Kombination mit Antibiotic Stewardship-Aktivitäten in nicht-universitären Krankenhäusern‘.
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