Studie enthüllt überraschende Nebenwirkungen hochdosierter Strahlentherapie

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In einer neuen, in „Nature“ veröffentlichten Studie untersuchte ein internationales Forscherteam ein überraschendes Phänomen: Hohe Strahlendosen verursachen Wachstum in bestehenden metastasierten Tumoren, die nicht direkt mit Strahlung behandelt wurden.

Wissenschaftler hatten bereits zuvor beobachtet, dass Strahlung entfernte Tumoren nach der Bestrahlung schrumpfen lassen kann, was als „Abscopal-Effekt“ bezeichnet wird. Die Forscher der UChicago nannten die neue, gegenteilige Reaktion daher „Badscopal-Effekt“, ein Wortspiel für das Wachstum unzusammenhängender Metastasen nach der Bestrahlung. Sie vermuten, dass diese unerwartete Reaktion darauf zurückzuführen ist, dass hochdosierte Strahlung die Produktion des Proteins Amphiregulin in Tumorzellen erhöht, die direkt mit Strahlung behandelt werden. Hohe Konzentrationen von Amphiregulin schwächen die Fähigkeit des Immunsystems, Krebs zu bekämpfen, und verbessern die Selbstschutzfähigkeit der Krebszellen. Die Ergebnisse deuten auf vielversprechende neue Therapiestrategien hin, die zu wirksameren Behandlungen von metastasiertem Krebs führen könnten.

Strahlentherapie: Ein zweischneidiges Schwert?

Strahlentherapie wird häufig allein oder in Kombination mit Operation und Chemotherapie eingesetzt, um lokalisierte Tumoren zu kontrollieren. In jüngerer Zeit wird Strahlentherapie auch zur Behandlung von Krebserkrankungen mit Oligometastasierung eingesetzt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Strahlentherapie das Immunsystem aktiviert und so eine Regression von Tumoren an entfernten Stellen bewirkt, die nicht direkt mit Strahlung behandelt werden (abskopaler Effekt). Viele Patienten, die zur Oligometastasierung oder im Rahmen eines Immuntherapie-Regimes bestrahlt werden, sprechen jedoch aufgrund der Progression der Fernmetastasen nicht auf die Behandlung an.

„Unser Labor postulierte, dass hohe Strahlendosen unter bestimmten Bedingungen das Tumorwachstum an unbestrahlten Stellen tatsächlich fördern könnten, was möglicherweise für einige dieser Misserfolge verantwortlich ist“, erklärte Dr. Ralph Weichselbaum, leitender Autor und Daniel K. Ludwig Distinguished Service Professor für Strahlen- und Zelluläre Onkologie an der UChicago Medicine.

Dem „Badscopal“-Effekt auf der Spur

„Studien aus den 1940er Jahren deuteten darauf hin, dass Strahlung eine Tumorausbreitung verursachen könnte, aber das ergab für mich keinen Sinn, da Strahlung innerhalb des Tumorbettes ein hochwirksames Mittel gegen Krebs ist“, sagte Weichselbaum. „Die Kommunikation zwischen der bestrahlten Stelle und Fernmetastasen ist jedoch faszinierend.“

Um diese Interaktion zwischen den Tumoren zu untersuchen, analysierte das Forschungsteam Biopsie-Proben aus einer klinischen Studie, in der Patienten mit unterschiedlichen histologischen Typen mit Stereotaktischer Körperbestrahlung (SBRT) und Immuncheckpoint-Blockade (Pembrolizumab) behandelt wurden. Das klinische Studienteam unter der Leitung von Dr. Steven Chmura, Professor für Strahlen- und Zelluläre Onkologie und Direktor für klinische und translationale Forschung in der Strahlenonkologie an der University of Chicago, stellte fest, dass bereits bestehende Metastasen nach der SBRT an Größe zunahmen. Dies deutet darauf hin, dass die Strahlung das Tumorwachstum fördern könnte.

Um zu verstehen, wie sich die Bestrahlung des Primärtumors auf Fernmetastasen auswirkt, erstellten Forscher unter der Leitung von Dr. András Piffkó, Postdoktorand im Labor von Weichselbaum, Genexpressionsprofile von Patiententumoren vor und nach der Strahlenbehandlung. Sie entdeckten, dass in bestrahlten Tumoren das Gen, das für ein Protein namens Amphiregulin kodiert, signifikant erhöht war.

Amphiregulin bindet an den epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR), eine weit verbreitete transmembranäre Tyrosinkinase, und aktiviert wichtige intrazelluläre Signalwege, die Zellüberleben, -proliferation, -migration und -tod steuern.

Die Forscher untersuchten diesen Effekt anschließend anhand von Tiermodellen für Lungen- und Brustkrebs. Sie fanden heraus, dass die Strahlentherapie zwar die Anzahl neuer Metastasen reduzierte, aber das Wachstum bestehender Metastasen förderte. Die Strahlentherapie führte zu einer signifikanten Erhöhung der Amphiregulin-Konzentration in Tumorzellen und Blut. Die Blockierung von Amphiregulin mit Antikörpern oder die Eliminierung seines Gens in den Tumorzellen mithilfe der Gen-Editiertechnologie CRISPR reduzierte die Größe von Tumoren außerhalb des Strahlungsfeldes.

„Interessanterweise verringerte die Kombination aus Strahlentherapie und Amphiregulin-Blockade sowohl die Tumorgröße als auch die Anzahl der Metastasen“, erläuterte Weichselbaum.

Die Rolle der Immunsuppression

Um den Mechanismus weiter zu erforschen, analysierten die Forscher Blutproben aus einer zweiten klinischen Studie von Chmura, in der Lungenkrebspatienten entweder nach oder gleichzeitig mit einer Immuntherapie eine SBRT erhielten. Sie fanden heraus, dass eine fehlende Senkung des Amphiregulin-Spiegels im Serum der Patienten nach der SBRT mit einem negativen Ergebnis verbunden war. Darüber hinaus stellten sie fest, dass ein Anstieg myeloider Zellen mit immunsuppressiven Eigenschaften mit Progression der Metastasen und Tod assoziiert war.

In einer früheren Studie, die in „Cancer Cell“ veröffentlicht wurde, zeigten Weichselbaum und sein Team, dass die Ablation immunsuppressiver myeloider Zellen sowohl die Größe als auch die Häufigkeit von Metastasen in Tiermodellen reduziert. Im Gegensatz dazu beobachteten sie in der aktuellen Studie einen Anstieg immunsuppressiver myeloider Zellen bei Tieren, bei denen Amphiregulin nach Bestrahlung in Tumoren und Blut stark exprimiert wurde, jedoch nicht in Tumoren, die kein Amphiregulin exprimierten. Amphiregulin schien die Differenzierung myeloider Zellen zu blockieren, was zu einem immunsuppressiven Phänotyp führte.

In Zusammenarbeit mit Dr. Ronald Rock, außerordentlicher Professor am Institut für Biochemie der University of Chicago, entdeckte das Team, dass Amphiregulin und Bestrahlung CD47 hochregulierten, ein sogenanntes „Don’t Eat Me“-Signal auf Tumorzellen, das die Fähigkeit von Makrophagen und myeloiden Zellen blockiert, Tumorzellen zu verschlingen.

Die Blockierung von Amphiregulin und CD47 in Kombination mit der Strahlentherapie führte zu einer hochwirksamen Metastasierungskontrolle in Tiermodellen. Die Studienergebnisse deuten auf einen Paradigmenwechsel in der Strahlentherapie bei Patienten mit lokal fortgeschrittenen und metastasierten Tumoren hin. Durch Strahlentherapie hochregulierte Moleküle konnten erkannt und neutralisiert werden. Dies könnte wiederum zu einer neuen Form der personalisierten Strahlentherapie führen, insbesondere bei Patienten mit metastasierter Erkrankung.

„Diese Ergebnisse eröffnen eine völlig neue Sichtweise auf die systemischen Effekte der Strahlentherapie“, erklärte Weichselbaum. „Auf dieser Grundlage planen wir eine klinische Studie, um die Ergebnisse weiter zu untersuchen und zu validieren.“

Die Studie „Radiation-induced amphiregulin drives tumor metastasis“ wurde vom National Cancer Institute, der Ludwig Foundation, dem Chicago Tumor Institute sowie großzügigen Spenden von Herrn und Frau Vincent Foglia und der Foglia Foundation, Herrn und Frau David Kozin und Herrn und Frau James Weichselbaum unterstützt.