Studie: Fehlendes Y-Chromosom im Alter kann zu Herzversagen führen

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Der Verlust des Y-Chromosoms in Blutstammzellen von männlichen Mäusen, der auch bei Männern im höheren Alter vorkommt, führt zu Herzfibrose und daraus folgender Herzinsuffizienz. Diesen direkten Zusammenhang in Mäusen präsentierte ein internationales Forscherteam im Fachjournal „Science“.

Der mosaikartige Verlust des Y-Chromosoms (mLOY, mosaic loss of chromosome Y) ist die häufigste Chromosomenveränderung in den Blutzellen erwachsener Männer. Hierbei verlieren einige Blutstammzellen im Alter das Y-Chromosom, wodurch im Blut eine mosaikartige Mischung aus Blutzellen entsteht, bei denen einige das Y-Chromosom besitzen und andere nicht. Bei etwa 40 Prozent der 70-jährigen Männer ist mLOY nachweisbar. Der Anteil steigt mit zunehmendem Alter und durch Rauchen. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass mLOY in engem Zusammenhang mit zahlreichen Erkrankungen steht, wie zum Beispiel klonaler Hämatopoese, Leukämie, soliden Krebserkrankungen, Alzheimer, kardiovaskulären Ereignissen sowie einem erhöhten Risiko, zu versterben. Der Verlust des Y-Chromosoms und das damit erhöhte Risiko zu erkranken und zu versterben, könnte erklären, weshalb Männer im Schnitt nicht so alt werden wie Frauen.

Makrophagen ohne Y-Chromosom begünstigen Fibrose

Um dem Mechanismus von mLOY auf Herzerkrankungen auf die Spur zu kommen, generierten die Forschenden um Kenneth Walsh von der University of Virginia School of Medicine in Charlottesville (USA) Mäuse mit hämatopoetischen mLOY, also einem Y-Chromosomenverlust bei durchschnittlich 64,9 Prozent der Blutstammzellen. Diese Mäuse zeigten eine erhöhte Anfälligkeit für Herzfibrose. Makrophagen, die sich aus den Blutstammzellen bilden und denen das Y-Chromosom fehlte, begünstigten laut den Forschenden die Fibrose, indem sie im Herzgewebe den Wachstumsfaktor TGFβ1 aktivierten. Wurde dieser Wachstumsfaktor durch einen monoklonalen Antikörper neutralisiert, konnte das den Prozess der Fibrose abdämpfen. Die Autoren spekulieren, dass man mithilfe dieses Antikörpers auch eine Herzfibrose bei Männern mit mLOY abwenden könnte.

Ergebnisse der Studie wichtiger Meilenstein

„Die Hypothese, dass es eine mögliche direkte Verbindung zwischen dem Y-Chromosomenverlust und einer altersbedingten Fehlfunktion des Herzens bei Männern gibt, wird in der Tat schon länger vermutet. Ein experimenteller Beweis fehlte hier aber bislang. Insofern sind die Ergebnisse der vorliegenden Studie ein wichtiger Meilenstein in der Beweisführung mit einer wichtigen Schlussfolgerung: Männer mit Verlust des Y-Chromosoms sollten engmaschiger auf Organfibrosen überprüft werden und entsprechend mit derzeit vorhandenen und in der Zukunft noch weiter entwickelten antifibrotischen Medikamenten behandelt werden“, bewertet Prof. Thomas Thum, Direktor des Instituts für Molekulare und Translationale Therapiestrategien, Medizinische Hochschule Hannover, die Studienergebnisse.

Übertragbarkeit auf den Menschen

Thum schränkt ein, dass bislang nicht klar sei, ob die Erkenntnisse eins zu eins vom Nagetier auf den Menschen übertragbar seien, er hält eine solche Übertragbarkeit jedoch für „denkbar“.

Der Direktor des Instituts für molekulare Medizin an der Universität Ulm, Prof. Hartmut Geiger, hält die „Science“-Studie in dieser Hinsicht sogar für „wertvoll“. „Die generelle Funktion des Y-Chromosoms ist beim Nager (Maus) und dem Menschen relativ identisch, und das Design des Nagermodell war direkt an der menschlichen Krankheit ausgerichtet. Daten aus der Nagerstudie konnten auch in menschlichen Kohorten bestätigt werden“, erläutert Geiger.

Y-Chromosomenverlust als neuer Risikofaktor

Prof. Andreas Zeiher, außerordentlicher Professor für Kardiologie am Universitätsklinikum Frankfurt, sieht im Verlust des Y-Chromosoms – wenn auch über einen ganz anderen Mechanismus – einen vergleichbaren Risikofaktor für Männer, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu versterben, wie die klassischen Risikofaktoren Diabetes oder Erhöhung der Blutfette. „Nun gilt es zu klären, welche Risikofaktoren zum Verlust des Y-Chromosoms beitragen. Sind das dieselben, die auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen? Gibt es hierbei spezifische Interventionsmöglichkeiten, um den Y-Chromosomenverlust aufzuheben? Ist zum Beispiel regelmäßige körperliche Aktivität geeignet, diesen Prozess zu beeinflussen?“, spekuliert Zeiher, der auch Autor der zur Publikation gehörenden Perspective ist. Eine Menge Fragen würden sich hier in Zukunft auftun. „Da die zirkulierenden Zellen sämtliche Organe im Körper erreichen, ist zu erwarten, dass dieser Mechanismus auch zur Fibrose der Lunge und zum Beispiel der Nieren führt – zwei klassische Alters-assoziierte Phänomene“, ergänzt Zeiher.

Therapeutische Ansätze

Thum zufolge wäre es wichtig, Patienten mit Y-Chromosomenverlust in engeren Zeitabständen auf mögliche Organfibrosen und Organfehlfunktionen, bspw. mittels regelmäßiger echokardiographischer Kontrollen, zu untersuchen. „Falls frühzeitig dann eine Herzschwäche gefunden wird, sollte nach aktuellen Leitlinien der Herzinsuffizienz behandelt werden. Es gibt derzeit auch einige sehr vielversprechende Substanzgruppen der sogenannten nichtkodierenden RNA-Therapeutika, die sich derzeit in klinischen Phase-II-Studien zur Therapie der Organfibrosen befinden (z.B. miR-21 bei Nierenfibrose und miR-132 bei Herzschwäche/Herzfibrose).“

Auch Zeiher hält antifibrotische Medikamente für einen möglichen therapeutischen Ansatz. „Sinnvoll wäre es natürlich, den Verlust des Y-Chromosoms selbst in den Knochenmarkstammzellen zu beeinflussen oder die daraus resultierenden zirkulierenden weißen Blutkörperchen therapeutisch anzugehen. Dies ist allerdings derzeit noch weit von einem klinischen Einsatz entfernt, jedoch umfangreicher Gegenstand der Forschung“, sagt Zeiher.

Die Göttinger Professorin Elisabeth Zeisberg, Leiterin der Arbeitsgruppe Kardiales Stroma, weist auf die  die Geschlechterfrage auf: „Was ist mit Frauen? Wenn nur der Verlust, nicht aber das primäre Fehlen des Y-Chromosoms einen Krankheitswert hat, dann würde dies bedeuten, dass der Entzug des Y-Chromosoms ein Problem darstellt, das primäre Fehlen eines Y-Chromosoms aber nicht. Zu verstehen, warum das so ist, wird zukünftig relevant sein, um therapeutische Konsequenzen aus der Studie abzuleiten.“

(ah)