Studie findet erhöhtes Risiko für Überdosierung und psychische Probleme nach Reduktion der Opioid-Langzeitdosis

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Menschen, die unter einer nicht-tumorbedingten Langzeittherapie mit Opioiden stehen, haben auch im zweiten Jahr nach einer Dosisreduktion offenbar ein erhöhtes Risiko für Überdosierungen und psychische Krisen. Zu diesem Ergebnis gelangt eine US-amerikanische Studie im Fachjournal „JAMA Network Open“.

Die Arbeitsgruppe um Joshua Fenton, Professor und stellvertretender Forschungsleiter am Department of Family and Community Medicine der UC Davis School of Medicine, berichtete bereits im letzten Jahr in „JAMA“, dass bis zu einem Jahr nach der Reduzierung der Opioiddoisis ein erhöhtes Risiko für Überdosierungen und psychische Krisen besteht. Der Prozess der Dosisreduzierung – das so genannte Tapering – wird bei einigen Patienten mit einer Verschlimmerung der Schmerzen, Symptomen des Opioidentzugs und depressiver Stimmung in Verbindung gebracht. „Während die Patienten in der ersten Zeit der Dosisreduzierung Schwierigkeiten haben können, gingen wir davon aus, dass sich viele von ihnen bei einer längerfristigen Nachsorge stabilisieren und weniger Überdosierungen und psychische Krisen erleiden, sobald sie eine niedrigere Opioiddosis erreicht haben“, sagt Fenton, der auch Hauptautor der aktuellen Studie ist.

Nun fanden die Forscher allerdings heraus, dass Patienten, die eine stabile nicht-tumorbedingte Opioidtherapie erhielten und deren Dosis um mindestens 15 Prozent reduziert wurde, auch im zweiten Jahr nach der Dosisreduzierung im Vergleich zur Zeit vor der Dosisreduzierung deutlich häufiger an Überdosierungen und psychischen Krisensituationen litten. Ihre Untersuchungen deuten darauf hin, dass Patienten, die sich einer Dosisreduzierung unterziehen, erhebliche Unterstützung benötigen, um ihre Opioide sicher zu reduzieren oder abzusetzen.

Schmerzmanagement und die Risiken von Dosisänderungen

Um Zusammenhänge zwischen Dosisreduzierungen und Veränderungen des Risikos für Überdosierungen und psychische Erkrankungen herzustellen, nutzten die Forscher eine Datenbank, die einen Zeitraum von zehn Jahren (2008–2017) für mehr als 28.000 Patienten abdeckt, denen Langzeit-Opioide verschrieben wurden. Sie untersuchten die Einschreibungsunterlagen sowie die medizinischen und pharmazeutischen Abrechnungen von Patienten, denen stabile Opioiddosen (mindestens 50 Milligramm Morphinäquivalente pro Tag) verschrieben wurden und deren Dosis um mindestens 15 Prozent reduziert wurde.

Aus dieser Patientenkohorte wählten sie diejenigen aus, die im zweiten Jahr nach der Dosisreduzierung mindestens einen Monat lang nachuntersucht wurden. Bei 19.377 Patienten wurden insgesamt 21.515 Ereignisse, die mit dem Tapering in Verbindung gebracht werden, festgestellt. Zu diesen Ereignissen gehörten Besuche in der Notaufnahme oder stationäre Krankenhauseinweisungen wegen Überdosierung, Entzug oder psychischen Krisen wie Depressionen, Angstzuständen oder Selbstmordversuchen. Das Team verglich die Häufigkeit dieser Ereignisse in der Zeit vor dem Tapering mit derjenigen im zweiten Jahr der Nachbeobachtung nach Beginn des Taperings.

Um die Erfahrungen vor und nach der Reduzierung der Opioiddosis zu verstehem haben die Forscher ein spezielles Beobachtungsstudiendesign verwendet. „Wir haben die Ergebnisse vor und nach der Dosisreduzierung mit Patienten verglichen, die als Kontrollgruppe dienten“, erläutert Mitautor Daniel Tancredi das Vorgehen. „Dieses Design hat den Vorteil, dass Patientencharakteristika kontrolliert werden können, die den Zusammenhang zwischen dem Absetzen des Medikaments und unerwünschten Ereignissen beeinflussen könnten.“

Die Studie ergab, dass auf 100 Patienten durchschnittlich 3,5 Überdosierungs- oder Entzugsereignisse und 3 psychische Krisen während des Zeitraums vor dem Absetzen des Medikaments kamen, verglichen mit 5,4 Ereignissen und 4,4 Krisen in den 12-24 Monaten nach dem Absetzen. Das entspricht einem Anstieg der Überdosis- oder Entzugsereignisse um 57 Prozent und der psychischen Krisen um 52 Prozent. Die Risiken des Absetzens waren bei den Patienten mit den höchsten Ausgangsdosen am größten.

„Wir haben festgestellt, dass die erhöhten Raten von Überdosierungen und psychischen Krisen, die im ersten Jahr nach der Verringerung der Opioiddosis beobachtet wurden, auch im zweiten Jahr bestehen bleiben”, fügt Fenton hinzu.

Langfristige Nachsorge und Unterstützung für Patienten mit reduzierter Schmerztherapie

Im Jahr 2018 gab das US-amerikanische Department of Health and Human Services (HHS) Richtlinien heraus, in denen Klinikern empfohlen wird, Patienten während der Dosisreduzierung sorgfältig zu überwachen und psychosoziale Unterstützung zu leisten. Sie empfahlen eine engmaschige Überwachung und warnten vor den potenziellen Risiken einer schnellen Dosisreduzierung, einschließlich Entzug, Übergang zu illegalen Opioiden und psychischer Belastung.

Diese neue Studie unterstreicht die Notwendigkeit, dass Ärzte und Patienten die Dosisreduzierung besprechen und die Risiken und Vorteile der Fortführung und Reduzierung der Opioidbehandlung sorgfältig abwägen. Patienten, die ihre Dosis reduzieren, sollten nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig engmaschig nachverfolgt und überwacht werden, um sicherzustellen, dass sie mit der niedrigeren Dosis gut zurechtkommen.

„Wir hoffen, dass diese Arbeit zu einem vorsichtigeren Ansatz bei Entscheidungen über die Reduzierung der Opioiddosis führen wird“, so Fenton. „Unsere Ergebnisse deuten zwar darauf hin, dass alle Patienten, die ihre Dosis reduzieren, bis zu zwei Jahre nach Beginn der Reduzierung von Überwachung und Unterstützung profitieren können. Aber Patienten, denen höhere Dosen verschrieben wurden, könnten von einer intensiveren Unterstützung und Überwachung profitieren, insbesondere bei Depressionen und Suizidalität.“ (ah)