Studie: Opioide bei akuten Rücken- und Nackenschmerzen keine Hilfe

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Eine aktuell in „The Lancet“ publizierte, randomisierte kontrollierte Studie mit 347 Teilnehmern mit Schmerzen im unteren Rücken- oder Nackenbereich ergab, dass die Einnahme von Opioiden über sechs Wochen keine über den Placeboeffekt hinausgehende schmerzlindernde Wirkung aufweist.

Rücken- und Nackenschmerzen sind weltweit sehr verbreitet. In Deutschland stehen Schmerzen im unteren Rücken auf Platz zwei der maßgeblich zur Krankheitslast beitragenden Erkrankungen. In klinischen Leitlinien werden derzeit Opioide für Patienten empfohlen, bei denen andere Behandlungen versagt haben oder kontraindiziert sind, aber es gibt Bedenken hinsichtlich der Stärke der Beweise, die diese Empfehlung stützen. Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Verschreibung von Opioiden bei Schmerzen im unteren Rücken- und Nackenbereich in der Praxis großzügiger gehandhabt wird. So deuten internationale Daten darauf hin, dass etwa 40 Prozent der Personen mit Schmerzen im unteren Rücken Opioide verschrieben wurden. Ein wesentliches Problem bei der großzügigen Verschreibung von Opioiden gegen Schmerzen sind die damit verbundenen Risiken einer Abhängigkeit, eines Missbrauchs und einer Überdosierung.

Bisherige Studien zur Wirksamkeit von opioidhaltigen Schmerzmitteln hatten bei Patienten mit chronischen Rücken- oder Nackenschmerzen nur geringe Effekte auf die Schmerzintensität gezeigt oder  beschränkten sich auf eine kurze Nachbeobachtungszeit. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Australien, den Niederlanden und Dänemark erhoben nun das erste mal in der randomisierten kontrollierten Studie OPAL die Sicherheit und Wirksamkeit von Opioiden bei akuten Schmerzen im unteren Rücken- und Nackenbereich mit einer Nachbeobachtungszeit von bis zu einem Jahr.

Kurz- und langfristig kein Unterschied in der Schmerzintensität

Die dreifach verblindete Studie wurde zwischen 2016 und 2021 an 157 Standorten in Australien durchgeführt. Sie umfasste 347 Teilnehmer, die seit bis zu 12 Wochen unter Schmerzen im unteren Rücken, im Nacken oder beidem litten. Alle Teilnehmer erhielten eine leitliniengerechte Versorgung (Beruhigung und Ratschläge, aktiv zu bleiben), während 174 Teilnehmer zusätzlich mit der Wirkstoffkombination Oxycodon/Naloxon (Maximaldosis von 20 mg Oxycodon oral/Tag) und 173 mit einem Placebo für bis zu sechs Wochen behandelt wurden. Nach der sechswöchigen Behandlung stand es den Teilnehmern frei, sich bei Bedarf anderweitig behandeln zu lassen. Die Schmerzintensität der Teilnehmer wurde im Anschluss an die sechswöchige Behandlung sowie erneut nach einem Jahr bewertet und unerwünschte Ereignisse aufgezeichnet.

Nach sechs Wochen war kein signifikanter Unterschied in den Schmerzwerten zwischen der Opioid- und der Placebogruppe festzustellen – die durchschnittliche Schmerzbewertung betrug zu diesem Zeitpunkt 2,8 in der Opioidgruppe gegenüber 2,3 in der Placebogruppe (Skala: 0–10). Nach einem Jahr waren die durchschnittlichen Schmerzwerte in der Placebogruppe sogar etwas niedriger: 2,4 in der Opioidgruppe im Vergleich zu 1,8 in der Placebogruppe.

In Bezug auf die Gesamtzahl der unerwünschten Wirkungen allgemein, von denen die Studienteilnehmer berichteten, gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. Allerdings wurde in der Verumgruppe häufiger über Opioid-vermittelte Nebenwirkungen wie Übelkeit, Verstopfung und Schwindel geklagt.

Opioideinnahme erhöht das Risiko für Opioidmissbrauch

Desweiteren wollten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer Studie herausfinden, ob sich das Risiko für einen Opioidmissbrauch durch die Einnahme der Opioide in dieser Indikation erhöht. Dazu verwendeten sie den Fragebogen „Current Opioid Misuse Measure“ (Comm) – eine kurze Patientenselbstbeurteilung zur Überwachung von Patienten mit chronischen Schmerzen unter Opioidtherapie. Der Fragebogen bewertet wichtige Risikofaktoren wie Anzeichen und Symptome einer Intoxikation, emotionale Unbeständigkeit, Abhängigkeit und problematisches Medikationsverhalten.

Tatsächlich wiesen die Teilnehmer der Opioidgruppe nach einem Jahr ein höheres Risiko für Opioidmissbrauch auf. Im Detail unterschied sich das Missbrauchsrisiko zwischen den Gruppen nach 12 und 26 Wochen nicht, war jedoch in der Opioidgruppe nach einem Jahr signifikant höher: 20 Prozent (24/123) der Patienten, die ein Opioid erhalten hatten, wiesen auf der Comm-Skala ein Risiko auf, im Vergleich zu zehn Prozent (13/128) der Patienten unter Placebo.

Nach sechs Monaten litten aus beiden Gruppen noch insgesamt 119 Teilnehmer an anhaltenden Schmerzen, davon gaben 15 bis 20 Prozent an, ein Opioid einzunehmen. Von den 106 Teilnehmern mit anhaltenden Schmerzen in Woche 52 berichteten 25 Prozent über die Einnahme von Opioiden.

Die Hauptautorin der Studie, Prof. Christine Lin von der Universität Sydney, sagt: „Obwohl es keine Beweise für ihre Wirksamkeit bei der Schmerzlinderung gibt, werden opioidhaltige Schmerzmittel in vielen Ländern immer noch häufig für Menschen mit Schmerzen im unteren Rücken und Nacken verschrieben. Unsere Studie deutet darauf hin, dass sie die Schmerzen der Patienten mittel- und langfristig verschlimmern könnten. Wir wissen nicht nur, dass sie den Patienten nicht die erhoffte Schmerzlinderung verschaffen, sondern auch, dass die Verschreibung von Opioiden selbst über einen kurzen Zeitraum das Risiko eines langfristigen Opioidmissbrauchs erhöht. In Anbetracht der vorliegenden Erkenntnisse und der bekannten Risiken sind wir der festen Überzeugung, dass Ärzte keine opioidhaltigen Schmerzmittel für neue Episoden von Schmerzen im unteren Rücken und Nackenbereich verschreiben sollten.“

Weiter fährt Lin fort: „Schmerzen im unteren Rücken- und Nackenbereich können die Lebensqualität der Patienten stark beeinträchtigen, daher müssen wir ihnen die besten Möglichkeiten zur Bewältigung ihrer Schmerzen anbieten, aber opioidhaltige Schmerzmittel wirken nicht und bergen ernsthafte Risiken. Stattdessen sollten Ärzte dazu ermutigt werden, sich auf patientenzentrierte Ansätze zu konzentrieren, zu denen auch Ratschläge für mehr Bewegung und einfache Schmerzmittel gehören könnten. Die gute Nachricht ist, dass sich die meisten Menschen mit akuten Kreuz- und Nackenschmerzen innerhalb von 6 Wochen auf natürliche Weise erholen.“

Studienlimitationen

Die Autoren weisen auf einige Einschränkungen ihrer Studie hin. So fehlten etwa 25 Prozent der Daten zu den Schmerzwerten am Ende der Studie, da die Teilnehmer die Studie abbrachen oder nicht erreichbar waren. Zusätzliche Analysen deuten jedoch darauf hin, dass die Hauptergebnisse der Studie durch die fehlenden Daten wahrscheinlich nicht beeinflusst wurden. Darüber hinaus nahmen nicht alle Teilnehmer die Medikamente wie vorgeschrieben ein. Nur 57 Prozent der Teilnehmer berichteten überhaupt über ihre Compliance, und von diesen nahm etwas mehr als die Hälfte mehr als 80 Prozent der verschriebenen Medikamente ein. Die Autoren betonen jedoch, dass sich die Compliance zwischen der Opioid- und der Placebogruppe nicht unterschied, was mit anderen Arzneimittelstudien zu Rückenschmerzen übereinstimmt und möglicherweise die Praxis widerspiegelt.

Aktuelles Vorgehen überdenken

In einem Kommentar zur Studie erklären die beiden nicht an der Studie beteiligten Professoren Mark Sullivan und Jane Ballantyne von der University of Washington: „Die OPAL-Studie ist eine Einzelstudie, aber sie wirft ernste Fragen über den Einsatz von Opioiden bei akuten Kreuz- und Nackenschmerzen auf. Die aktuellen klinischen Leitlinien empfehlen Opioide für Patienten mit akuten Kreuz- und Nackenschmerzen, wenn andere pharmakologische Behandlungen kontraindiziert sind oder nicht angeschlagen haben. Bis zu zwei Drittel der Patienten erhalten ein Opioid, wenn sie mit Rücken- oder Nackenschmerzen zur Behandlung kommen. Es ist an der Zeit, diese Leitlinien und diese Praktiken zu überdenken.“

(ah)