Thalamus: Maus-Mensch-Vergleich zeigt ungeahnte kognitive Funktionen

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Der Thalamus galt lange als eine Hirnregion, die vor allem für die Verarbeitung von Sinnesreizen verantwortlich ist. Eine aktuelle Studie deutscher und US-amerikanischer Wissenschaftler belegt, dass er zudem eine zentrale Weiche bei kognitiven Prozessen darstellt.

Forschende der Neurowissenschaften um Prof. Dr. Burkhard Pleger im Sonderforschungsbereich 874 der Ruhr-Universität Bochum und ein Team des Massachusetts Institute of Technology (MIT, USA) beobachteten Lernprozesse in den Gehirnen von Mäusen und Menschen und bildeten diese in mathematischen Modellen nach. So konnten sie zeigen, dass die Region des mediodorsalen Nukleus im Thalamus entscheidenden Anteil an kognitiver Flexibilität hat. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift PLOS Computational Biology veröffentlicht.

Eine einfache Lernaufgabe
Am Anfang der gemeinsamen Arbeit des deutschen und US-amerikanischen Teams standen experimentelle Beobachtungen des Gehirns bei einfachen Lernaufgaben. Die deutschen Forschenden hatten die Gehirnaktivität menschlicher Probanden mittels funktioneller Kernspintomografie beobachtet, während die Versuchspersonen zwei verschiedene Reize in verschiedenen Abfolgen mit ihrer Fingerspitze ertasten mussten. Sie sollten dann jeweils den nächsten Reiz vorhersagen. Je nachdem wie wahrscheinlich der eine oder andere Reize war, war das einfacher oder schwieriger zu lernen.

Das Team des MIT hatte Mäuse eine ähnliche Lernaufgabe absolvieren lassen und deren Gehirnaktivität dabei nicht nur beobachtet, sondern später auch in Form eines mathematischen Modells nachgebildet. „Beim Lesen der entsprechenden Arbeit haben wir sofort die große Ähnlichkeit zwischen den Aktivierungsmustern bei Mäusen und Menschen gesehen“, berichtet Burkhard Pleger. Basierend auf der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen erweiterten die beiden Forschungsteams gemeinsam das mathematische Mausmodell um die menschlichen Komponenten. Sein und das US-Team beschritten mit der aktuellen Arbeit Neuland: „Forschende, die mit Mäusen arbeiten, und wir, die mit Menschen arbeiten, mussten erstmal eine gemeinsame Terminologie entwickeln, damit wir zusammenarbeiten konnten“, berichtet er.

Ergebnisse sind dreifach interessant
Wenn die Forschenden das mathematische Modell auf die Lernaufgabe aus dem Experiment anwendeten, gelangte es überwiegend zu denselben Ergebnissen wie die Versuchspersonen. „Die Übereinstimmung lag bei fast 90 Prozent und damit sehr hoch“, so Pleger. Charakteristisch für das mathematische Netzwerkmodell ist, dass die Region des mediodorsalen Nukleus im Thalamus in ständigem Austausch mit Regionen des präfrontalen Kortex steht. „Das belegt einmal mehr, wie groß die Bedeutung des Thalamus für kognitive Prozesse ist“, sagt Burkhard Pleger. „Das ist aus drei Gründen von besonderem Interesse: zum einen, weil die kognitive Flexibilität überlebenswichtig ist. Zum anderen, weil sie bei sehr vielen psychiatrischen Erkrankungen im Zentrum der Pathologie steht. Nicht zuletzt aber auch deshalb, weil wir das, was wir mittels mathematischer Modelle erklären können, auch nachahmen können. Somit können wir Rückschlüsse ziehen, wie Künstliche Intelligenzen lernen könnten.“

Originalpublikation:
Hummos A et al. Evidence for thalamic regulation of frontal interactions in human cognitive flexibility. PLOS Computational Biology (2022) DOI: 10.1371/journal.pcbi.1010500