Therapieoptionen bei Strahlenzystitis25. September 2024 Simon Gloger, Burkhard Ubrig (v.l.). Fotos: Gloger/Ubrig Die strahleninduzierte Zystitis tritt bei fünf bis elf Prozent der Patienten nach perkutaner Bestrahlung oder Brachytherapie von Karzinomen des Beckens (Prostata, Blase, Zervix, Rektum) auf. Allgemein lassen sich hinsichtlich der strahleninduzierten Zystitis Akut- vs. Spättoxizität voneinander unterscheiden. Von Simon Gloger und Burkhard Ubrig Der Akuttoxizität liegen inflammatorische Prozesse zugrunde, die entweder selbstlimitierend sein können oder durch Chronifizierung zu fibrotischen Umbauprozessen und Neoangiogenese führen können. Entsprechend typisch im Rahmen der inflammatorischen Akutschädigung ist die Symptomatik: Irritative Beschwerden wie Dysurie, Pollakisurie, Nykturie, Blasentenesmen oder Urge-Symptomatik können im zeitlichen Zusammenhang mit der Strahlentherapie beobachtet werden. Therapeutisch steht für die Akuttoxizität ein symptomorientiertes medikamentös-konservatives Regime im Vordergrund. Anticholinergika und β3-Sympathikomimetika stellen Optionen bei irritativen Beschwerden dar, bei obstruktiven Symptomen können α-Blocker und/oder Kortikoidsteroide versucht werden. Bei Schmerzen orientiert sich das analgetische Management am WHO-Schmerzstufenschema, in dessen Rahmen zunächst Paracetamol und/oder nichtsteroidale Antiphlogistika/Analgetika vor Gabe von Morphinderivaten verwendet werden sollten. Spättoxizitäten treten im Vollbild teils erst nach Jahren auf. Hier sind insbesondere Hämaturie, Strahlenfibrose mit Compliancestörung, Nervenschäden und Anfälligkeit für Harnwegsinfekte zu nennen. Bei irritativen Beschwerden können Hyaluron oder Chondroitinsulfat als Alternative intravesikal instilliert werden und sollen so zu einem Wiederaufbau der das Urothel überziehenden Glykosaminoglykanschicht führen. Irritative Beschwerden lassen sich so reduzieren, eine hämostatische Wirkung ist hingegen fraglich. Die Gabe von Pentosanpolysulfaten als weitere Therapieoption hat ebenfalls das Ziel, die geschädigte Glykosaminoglykanschicht auf dem Urothel wiederaufzubauen. Vorteil in diesem Zusammenhang ist die Möglichkeit der oralen Therapie und somit der Vermeidung von Katheterisierung und Harnröhrenschädigung. Bei regelmäßiger Einnahme konnte hierbei eine langfristige, hämostatische Wirkung über mehrere Jahre beobachtet werden. Durch die systemische Gabe wirken Pentosanpolysulfate nicht rein lokal, sodass durch Beeinflussung des intraokulären Stoffwechsels eine Retinopathia pigmentosa ausgelöst werden kann. Als weitere Therapiealternative hat die hyperbare Oxygenierung insgesamt zufriedenstellende Ergebnisse gezeigt. Der Sauerstoffpartialdruck wird in einer Druckkammer in mehreren Sitzungen auf 100% erhöht und so die Sauerstoffversorgung des ischämischen Gewebes in der Blasenwand verbessert. Die frühzeitige Indikationsstellung bei entsprechender Therapieverfügbarkeit und auch die Kostenübernahme durch die Krankenkasse stellen wichtige Eckpfeiler dieser Therapie dar. Hämaturien können sich von leichter Hämaturie bis hin zu nicht stillbaren, transfusionspflichtigen Blutungen zeigen. Die Akuttherapie orientiert sich am Ausprägungsgrad der Hämaturie. Bei leichten Blutungen kann die alleinige Erhöhung der Trinkmenge ausreichend sein, um die Hämaturieepisode zu beenden. Bei stärkeren Blutungen oder Blasentamponade kann die Therapie eine Blasendauerspülung mittels transurethralem Spülkatheter nötig machen. Kann die Blutung hierunter nicht kontrolliert werden, können operative transurethrale Tamponadenausräumungen und Blutstillungen notwendig werden, ggf. unter Gabe von Erythrozytenkonzentraten. Aufgrund der Vorschädigung der Blasenwand sollte im Rahmen der Fulguration auf ein vorsichtiges Vorgehen geachtet werden, um weitere Folgeschäden zu vermeiden. Neben der transurethralen Therapie können in der Akutsituation wie auch bei refraktärer Therapie radiologisch-interventionelle oder offen-chirurgische Optionen versucht werden, um die strahleninduzierte Hämaturie zu beenden (Ligatur/Embolisation der Blasen-/Prostataarterien). Insbesondere bei rezidivierenden Blutungen stellen intravesikale Spültherapien weitere Möglichkeiten der Therapie der Strahlenzystitis dar. Die Alaun’sche Lösung als eine der Möglichkeiten besteht aus Aluminiumsalzen, die zu einer Vasokonstriktion und Eiweißdenaturierung führen, ist aber durch Anreicherung der Aluminiumsalze im Blut bei niereninsuffizienten Patienten vorsichtig zu indizieren. Formalin als Fixans ist toxisch und kann durch die sich anschließenden Umbauprozesse zu Funktionsverlust führen. Dringend erforderlich ist vor der Formalininstillation der radiologische Ausschluss eines vesikoureteralen Refluxes. Die radikalste der möglichen Therapien ist die Zystektomie mit zumeist inkontinenter Harnableitung mittels Conduit und stellt in der Regel die letzte Option dar, wenn alle anderen Therapien zuvor versagt haben. Aufgrund der Vorbestrahlung ist die Zystektomie mit einem hohen perioperativen Risiko verbunden (Anastomoseninsuffizienzen/Fisteln).Ein Algorithmus zur Therapie der strahleninduzierten Zystitis konnte 2022 durch Vanneste et al.1 publiziert werden. Dieser unterscheidet grob inflammatorisch bedingte Komplikationen von blutungsbedingten Komplikationen und sieht bei Persistenz/rezidivierenden Blutungen ein stufenabhängiges Management vor (siehe Abb. 1). Autoren:Dr. Simon Gloger, Prof. Burkhard UbrigAbteilung für Urologie, Augusta Kliniken BochumKorrespondenz: Prof. Burkhard Ubrig, [email protected] Literatur:1. Vanneste BGL et al. Development of a Management Algorithm for Acute and Chronic Radiation Urethritis and Cystitis. Urol Int 2022;106:63–74 F13: Management von Komplikationen am unteren Harntrakt nach strahlentherapeutischen Maßnahmen, 26.09.2024, 14:45–16:15 Uhr, Saal B / Ebene 0
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