Thromboseprophylaxe nach Knochenbruch: Aspirin als mögliche Alternative zu Heparin?

Tablette oder Spritze zur Thrombosyprophylaxe nach Knochenbruch? Eine neue Studie im “New England Journal of Medicine” versucht diese Frage zu beantworten. Foto: ©tatyana – stock.adobe.com

Zur Vorbeugung von Thrombosen nach frakturbedingten Eingriffen wirkt Aspirin genauso gut wie das bisher eingesetzte Standardmedikament Heparin. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende aus den USA in einer Studie im „The New England Journal of Medicine“.

Die Forschenden stellten fest, dass Aspirin (Acetylsalicylsäure, ASS) dem niedermolekularen Heparin bei der Prävention von Todesfällen bei Personen, die aufgrund einer Extremitätenfraktur operiert werden mussten oder eine Becken- oder Azetabulumfraktur hatten, nicht unterlegen war (primärer Endpunkt). Sie sahen zudem keine Unterschiede im Hinblick auf Lungenembolien, Blutungskomplikationen, Infektionen, Wundproblemen und anderen unerwünschten Ereignissen in beiden Untersuchungsgruppen. Einzig tiefe Venenthrombosen traten unter Aspirin etwas häufiger auf als unter Heparin. An der pragmatischen, multizentrischen und randomisierten Studie vom Major Extremity Trauma Research Consortium nahmen mehr als 12.000 Menschen mit einem Durchschnittsalter von 44,6±17,8 Jahren teil.

Bei Patienten, die aufgrund eines Knochenbruchs operiert werden müssen, besteht ein erhöhtes Risiko für Thrombosen in der Lunge und in den Gliedmaßen bilden, die mitunter lebensbedrohlich sein können. Die aktuelle S3-Leitlinie „Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE)“ empfiehlt die Verschreibung von Heparin (Enoxaparin) zur Vorbeugung dieser Gerinnsel. Bekanntlich hat Aspirin ebenfalls eine blutverdünnende und damit VTE-prophylaktische Wirkung. Im Gegensatz zu Heparin muss es jedoch nicht gespritzt werden und ist preiswerter. Ähnliche Untersuchungen zu diesem Thema haben bislang nicht zu einer grundlegenden Änderung der Leitlinien geführt.

In der aktuellen Studie verglichen die Forschenden die Ergebnisse nach der randomisierten Gabe von 30 Milligramm Enoxaparin zweimal täglich mit jenen nach der Einnahme von 81 Milligramm Aspirin ebenfalls zweimal täglich. Zusätzlich zur Behandlung während des Krankenhausaufenthaltes (im Durchschnitt 8,8±10,6 Dosen der jeweiligen Medikation) bekamen die Patienten bei der Entlassung im Mittel einen 21-Tage-Vorrat der jeweiligen Thromboseprophylaxe verschrieben. 

Im Ergebnis verstarben in den 90 Tagen nach Operation 47 Patienten (0,78 %) in der Aspirin-Gruppe und 45 (0,73 %) in der Gruppe mit niedermolekularem Heparin, was eine Nichtunterlegenheit für Aspirin im Vergleich zu Heparin bedeutet. Tiefe Venenthrombosen traten bei 2,51 % der Patienten in der Aspirin-Gruppe und bei 1,71 % in der Heparin-Gruppe auf. Mit einem Unterschied von 0,80 Prozentpunkten (95 %-KI 0,28–1,31) wurde die Nichtunterlegenheitsgrenze von 0,75 in diesem sekundären Endpunkt knapp verfehlt. Die Inzidenz von Lungenembolien (1,49 % in jeder Gruppe), Blutungskomplikationen und anderen schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen war in beiden Gruppen ähnlich.

„Die vorliegende große randomisierte Multicenterstudie zeigt eine robuste Datenlage für die Gabe von Aspirin zur Thromboseprophylaxe bei unfallchirurgischen Patienten. Diese Daten werden vermutlich Eingang in die nächsten Leitlinien zur Thromboseprophylaxe finden“, vermutet Prof. Jörg Heckenkamp, Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie, Niels-Stensen-Kliniken, Marienhospital Osnabrück, und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin.

Skeptisch zeigt sich hingegen der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Angiologie und Hämostaseologie am Berliner Vivantes-Klinikum im Friedrichshain, PD Dr. Robert Klamroth. Er glaube nicht, dass ASS in dieser Indikation den Antikoagulantien wie niedermolekularem Heparin ebenbürtig sei und verweist auf eine Studie in „JAMA“ aus dem Jahr 2022, in der sich Enoxaparin im Vergleich zu Aspirin in der Prophylaxe von Thrombosen nach einer Hüft- oder Knie-Operation überlegen zeigte. Auch gibt Klamroth zu bedenken, dass das Studienkollektiv in aktuellen Studie „durchaus heterogen im Hinblick auf das Risiko einer venösen Thrombose“ sei. 

„Meine Einschätzung ist folgende: ASS hat einen (geringen) Effekt in der Verhinderung venöser Thrombosen nach operativen Eingriffen bei Frakturen. Dieser Effekt ist, wenn man alle Literatur zugrunde legt, wahrscheinlich geringer als der mit einer Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin“, so Klamroth. Ihm zufolge ist die Wahl des Medikamentes zur Thromboseprophylaxe abhängig vom Basisrisiko des Patienten. So würden Patienten mit einem hohen Risiko für eine venöse Thrombose weniger von ASS profitieren als von niedermolekularem Heparin. „Der Vorteil einer Antikoagulation zeigt sich im übertragenen Sinne aber auch in den Studien, die zur Sekundärprophylaxe nach venöser Thromboembolie durchgeführt wurden, zum Beispiel die CHOICE-Studie. Hier wurden Patienten nach sechs bis zwölf Monaten Antikoagulation randomisiert in ASS, Rivaroxaban 10 Milligramm und Rivaroxaban 20 Milligramm zur weiteren Sekundärprophylaxe. In der Nachbeobachtungszeit zeigte sich Rivaroxaban bei der Verhinderung einer erneuten Thrombose in beiden Dosierungen deutlich effektiver als ASS. Im Vergleich zum Placebo senkt allerdings auch ASS das Risiko eines Thromboserezidivs.“

Klamroths Schlussfolgerung auch mit Blick auf die Publikation der aktuellen Daten: ASS könne abhängig von dem individuellen Thromboserisiko des Patienten im Einzelfall nicht ausreichend sein.

(ah)