Tiefe Hirnstimulation hilft bei therapieresistenter schwerer Depression24. November 2025 Neue Forschung zeigt: Tiefe Hirnstimulation hilft jedem zweiten Patienten mit therapieresistenter schwerer Depression. (Bild: © Abda/stock.adobe.com) Eine neue Studie zeigt, dass tiefe Hirnstimulation bei etwa der Hälfte der Patienten mit therapieresistenter schwerer Depression zu Verbesserungen führt. Forscher identifizierten ein Hirnmuster, das den Behandlungserfolg vorhersagen könnte. Die von Forschern aus Großbritannien und China geleitete Studie identifizierte ein charakteristisches Muster der Hirnaktivität, das vorhersagte, wie gut einzelne Patienten auf die Behandlung ansprechen würden. Dies könnte zukünftig genutzt werden, um die Behandlung gezielt auf die Patienten auszurichten, die am ehesten davon profitieren. Die schwere depressive Störung ist weltweit eine der häufigsten psychischen Erkrankungen mit schwerwiegenden Folgen. Obwohl Antidepressiva und kognitive Therapien vielen Patienten helfen, ist die Therapieresistenz hoch. Bei drei bis fünf von zehn Patienten mit Depression schlägt die Behandlung fehl. In den letzten Jahrzehnten hat sich die tiefe Hirnstimulation (THS) als Technik zur Behandlung verschiedener Erkrankungen etabliert, insbesondere bei Patienten mit Parkinson. Bei diesem Verfahren werden dünne Elektroden tief ins Gehirn eingeführt, die sanfte elektrische Impulse abgeben, um fehlerhafte Hirnaktivität zu korrigieren. Simultane Stimulation zweier Hirnareale In einer neuen, offenen Studie erprobten Forscher die THS bei 26 Patienten der Shanghai Jiaotong Universität in China. Alle Patienten litten an therapieresistenter Depression. Die Studie wurde kürzlich in „Nature Communications“ veröffentlicht. Das Team stimulierte zwei Hirnareale. Das erste war der Nucleus interstitialis striae terminalis (BNST), eine Ausstülpung der Amygdala. Diese ist an der Regulation von Stress, Angst, Furcht und Sozialverhalten beteiligt, insbesondere als Reaktion auf chronischen Stress und Ängste. Das zweite Areal war der Nucleus accumbens, der an der Verarbeitung von Belohnungen im Gehirn beteiligt. Er stellt außerdem einen Schlüsselbereich für Motivation, Freude und Verstärkung dar. Die Hälfte der 26 Patienten zeigte signifikante Verbesserungen, gemessen anhand verschiedener Werte für depressions- und angstbezogene Symptome sowie klinisch relevanter Lebensqualität und Behinderungsgrade. Neun dieser Patienten (35 % der Studienkohorte) erreichten eine Remission. Theta-Aktivität proportional zur Schwere der Depression Die Forscher zeichneten die elektrische Hirnaktivität mittels der THS-Elektroden im BNST und eines Oberflächen-Elektroenzephalogramms auf. Sie stellten fest, dass die Hirnaktivität in einem spezifischen Frequenzbereich (4–8 Hz), der sogenannten Theta-Aktivität, klinisch relevant ist. Die Theta-Aktivität im BNST verhielt sich proportional zum Schweregrad der Depression und dem täglichen Angstempfinden der Patienten. Patienten mit niedrigeren Theta-Aktivitätswerten in dieser Hirnregion vor der Operation zeigten tendenziell stärkere Verbesserungen und berichteten nach drei, sechs und zwölf Monaten über eine größere Verbesserung ihrer Lebensqualität. Dies betraf allerdings nur Depressionen und Angstzustände, nicht den Verlust von Freude (Anhedonie). Ebenso zeigten Patienten mit einer höheren Kohärenz zwischen dem BNST und dem präfrontalen Kortex in den Theta-Frequenzen tendenziell bessere Behandlungsergebnisse. Der präfrontale Kortex ist an der Emotionsregulation beteiligt, und eine höhere Kohärenz deutet auf eine bessere Kommunikation zwischen diesen beiden Regionen hin. Dr. Linbin Wang von der Universität Cambridge erklärt: „Wir haben festgestellt, dass die Hirnaktivität uns in einer bestimmten Frequenz – den Theta-Wellen – Aufschluss darüber geben kann, welche Patienten am besten auf eine THS-Behandlung in der BNST-Hirnregion ansprechen. Dies könnte uns in Zukunft helfen, die Behandlung individuell anzupassen.“ Das Forschungsteam ermittelte zudem psychologische Parameter, die Aufschluss darüber gaben, wie gut ein Patient auf die Behandlung ansprechen würde. Den Teilnehmern wurden verschiedene Bilder gezeigt: angenehme (z. B. Welpen), neutrale (z. B. Möbel) und negative (z. B. Unfälle). Patienten, die am stärksten auf die negativen Bilder reagierten, profitierten am wenigsten von der THS. Mögliche Anwendung mit Echtzeit-Feedback Während der Studie reduzierte die THS die Theta-Aktivität in der BNST. Diese Reduktion korrelierte mit einer Verbesserung der Symptome von Depression und Angstzuständen. Dies eröffnet die Möglichkeit, ein geschlossenes Regelsystem einzusetzen, das mithilfe von Echtzeit-Feedback die elektrische Stimulation anpasst, so die Forschenden. Prof. Valerie Voon von der University of Cambridge und der Fudan University fügt hinzu: „Da die Theta-Aktivität Angstzustände in Echtzeit erfasst, bedeutet dies: Ist die Aktivität hoch, können wir sagen: ‚Okay, diese Person befindet sich in einem Angstzustand, wir müssen die Stimulation verstärken.‘ Umgekehrt können wir die Stimulation reduzieren, wenn die Theta-Aktivität niedrig ist.“ Prof. Bomin Sun, Leiter der Studie, fasst zusammen: „Dies ist die bisher größte Studie, die belegt, dass die THS des BNST und des Nucleus accumbens Depressionen behandeln kann. Diese Studie zeigt uns nicht nur, wie das Gehirn bei Depressionen beeinträchtigt ist, sondern unterstreicht auch das Potenzial der THS zur Behandlung von Depressionen.“ (lj/BIERMANN)
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