Tiefe Hirnstimulation könnte das Gehen bei inkompletter Querschnittlähmung verbessern6. Dezember 2024 Foto: © lassedesignen – stock.adobe.com Der laterale Hypothalamus trägt vermutlich zur Verbesserung des Gehens bei inkomplett Querschnittgelähmten bei. Dies hat eine Forschungsgruppe aus Lausanne, Schweiz, in Maus-Experimenten herausgefunden und daraus eine mögliche Behandlung für Menschen in zwei Einzelfällen abgeleitet.1 Bei einem inkompletten Querschnittsyndrom nach einem Unfall oder bei einer Rückenmarkserkrankung sind die Nervenbahnen zwischen Gehirn und Rückenmark teilweise beschädigt. Dies führt, je nach Höhe des Schadens, zu Lähmung, Gefühlsstörungen und Problemen bei anderen Körperfunktionen, wie etwa der Blasenfunktion. Die Symptomatik kann sich im Laufe der Zeit verbessern, allerdings war bisher nicht bekannt, welche Gehirnstrukturen zur Verbesserung des Laufens beitragen. Um dies herauszufinden, untersuchten die Forschenden aus Lausanne Maus-Gehirne zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach einer Querschnittverletzung. Sie erstellten daraus einen Gehirnatlas und konnten so eine Schlüsselregion für die Regeneration identifizieren: glutamaterge Nervenzellen im lateralen Hypothalamus. Wenn die Wissenschaftler diese Region nach einer Querschnittlähmung bei Mäusen und Ratten mittels Tiefer Hirnstimulation stimulierten, dann konnten die Tiere besser laufen. Im Rahmen einer Pilotstudie2 testeten die Forschenden im Anschluss das Verfahren an Menschen. Geplant ist die laufende Studie an drei Teilnehmenden, von zweien berichten die Autorinnen und Autoren im aktuellen Paper. Für die Tiefe Hirnstimulation wurden operativ Elektroden in den lateralen Hypothalamus der inkomplett Querschnittgelähmten eingebracht. Diese können über einen angeschlossenen Signalgeber das Gebiet elektrisch stimulieren. Zusätzlich erhielten die beiden Teilnehmenden ein intensives dreimonatiges Rehabilitationsprogramm. Diese kombinierten Prozeduren verbesserten das Gehen im 6-Minuten-Gehtest: Bei einem Teilnehmenden von etwa 20 auf etwa 30 Meter und beim anderen Teilnehmenden von etwa 40 auf etwa 80 Meter. Bei beiden gab es keine schwerwiegenden Nebenwirkungen. Die klinische Studie ist noch nicht abgeschlossen.2 Eine andere Arbeitsgruppe in Zürich hatte bereits eine andere Zielregion für die Tiefe Hirnstimulation identifiziert, welche bei Ratten das Laufen verbesserte.3 Auch an dieser Hirnregion wird aktuell das Verfahren in einer klinischen Studie an fünf Menschen getestet.4 Interessanter Ansatz, Umsetzung in die Praxis noch ungewiss „Der Ansatz von Cho et al. ist neu, da man den lateralen Hypothalamus bisher nicht als Kerngebiet im Gehirn, welcher die Gehfunktion maßgeblich beeinflussen kann, im Fokus hatte“, kommentiert Prof. Norbert Weidner, Ärztlicher Direktor der Klinik für Paraplegiologie – Querschnittzentrum, Universitätsklinikum Heidelberg, die vorgestellten Studiendaten. Auf Basis der vorgelegten präklinischen Daten sei der Ansatz prinzipiell sehr interessant und als mögliches Ziel für therapeutische Interventionen „definitiv wert, weiterverfolgt zu werden. Es ist jedoch noch völlig unklar, was genau hinsichtlich der Gehfunktion angeregt wird und inwieweit dies nachhaltig Menschen mit inkompletter Querschnittlähmung alltagsrelevant weiterhilft“, ergänzte Weidner. Aus den vorgestellten Ergebnissen bereits Schlussfolgerungen für die klinische Praxis zu ziehen, hält der Experte für verfrüht, zumal aus der Veröffentlichung nicht hervorgehe, welche neurologischen Dysfunktionen die beiden Patienten konkret aufwiesen. „Es muss noch gezeigt werden, welche klinisch sinnvolle Effektgröße erzielt werden kann und wie viele Patienten für die Intervention in Frage kämen (Anwendungsbreite). Benötigt wird eine Studie mit vernünftiger Fallzahl und einem informativen und klinisch relevanten primären Endpunkt mit Kontrollkohorte, um Signifikanzen und Effektgrößen belegen zu können“, erklärte Weidner. Auch Prof. Rainer Abel, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Querschnittgelähmte, Klinikum Bayreuth, und Lehrprofessor für das Fachgebiet „Orthopädie“ am Institut für Lehre und Forschung am Medizincampus Oberfranken, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, hält das Ergebnis der Studie für „ interessant, da es eine zusätzliche Möglichkeit bieten könnte, Menschen mit verbliebenen Restfunktionen zu besserer Mobilität zu verhelfen“, allerdings sei es definitiv noch zu früh, um Aussagen treffen zu können, wer von einem solchen – doch recht invasiven – Verfahren profitieren könnte. Eine entsprechende Nutzen-Risiko-Abschätzung hält der Experte derzeit für noch nicht möglich. „Letztlich muss es immer darum gehen, dass die Patienten von der Behandlung einen klaren Nutzen im Alltag erwarten können, der bestehen bleibt. Sie sollen möglichst nicht den Rest ihres Lebens die meiste Zeit damit beschäftigt sein, einzelne Körperfunktionen zu trainieren oder von komplexer Technik abhängen, deren Langzeitstabilität unklar ist. Von BCI-Implantaten (Brain Computer Interface) ist bekannt, dass sie bei der Langzeitanwendung erhebliche Probleme machen können und im Verlauf nicht immer verlässlich funktionieren“, dämpft Abel allzu große Erwartungen in die vorgestellte Methode.
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