Trainieren gegen das Vergessen

Eine Studienteilnehmerin bestätigt mit einem Schritt nach rechts, dass das Produkt am Bildschirm auf der Einkaufsliste war. (Quelle: © Jonas Weibel |ETH Zürich)

Spielerisches Training verbessert nicht nur die kognitive Fähigkeit von Menschen mit ersten Anzeichen für die Entwicklung einer Demenz, sondern führt auch zu positiven Veränderungen im Gehirn. Dies zeigen zwei neue Studien von Forschenden der ETH Zürich und der Ostschweizer Fachhochschule (OST).

Gegen Alzheimer – die häufigste unter mehreren Demenzformen – gibt es inzwischen erste Medikamente, die den Krankheitsverlauf im Frühstadium leicht verlangsamen können. Diese sind jedoch nur für eine kleine Gruppe von Patienten relevant. Als risikoarme Alternative oder Ergänzung zu medikamentösen Behandlungen haben sich in den letzten Jahren sogenannte „Exergames“ erwiesen. Diese Fitnessspiele kombinieren körperliche Aktivität mit Denkaufgaben – ganz ohne unerwünschte Nebenwirkungen. Eine Studie mit ETH-Beteiligung wies bereits 2021 nach, dass diese Art von Training sowohl die kognitiven als auch die physischen Fähigkeiten sowie die Lebensqualität von stark beeinträchtigten Demenzpatient:innen verbessert.

Zwei neue ETH-Studien zeigen nun, dass Training mit „Exergames“» auch bei älteren Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen funktionieren. „Durch das spielerische Training hat sich nicht nur die geistige Leistungsfähigkeit der Studienteilnehmer:innen verbessert, sondern wir konnten auch deutliche Veränderungen in ihren Gehirnen messen“, erklärt Patrick Manser, der mittlerweile am Karolinska Institut in Stockholm, Schweden, forscht. Beide Studien sind aus seiner Doktorarbeit an der ETH Zürich hervorgegangen und bestätigen die Erkenntnisse von 2021.

Training für Körper und Geist

In seinen beiden Studien untersuchten Manser und seine Kollegen rund 40 Menschen, die kognitiv leicht beeinträchtigt und durchschnittlich 73 Jahre alt waren. Die Studienteilnehmer trainierten zwölf Wochen lang fünf Mal die Woche rund 25 Minuten zu Hause mit einem System, welches einen Bildschirm inklusive Spielesoftware und eine Bodenplatte mit vier Feldern, die Schritte misst, umfasste.

Die Studienteilnehmer mussten in der Regel am Bildschirm vorgegebene Aufgaben durch eine Bewegungsabfolge mit ihren Füßen lösen. So versuchten sie sich zum Beispiel eine Einkaufsliste zu merken und entschieden dann durch einem Schritt nach rechts oder links, ob ein eingeblendetes Produkt dazugehört oder nicht. „Aufgaben wie diese trainieren gezielt kognitive Fähigkeiten, die sich bei Demenz verschlechtern, etwa die Aufmerksamkeit, das Gedächtnis oder das räumliche Vorstellungsvermögen“, erklärt Manser.

Nach den Übungen mussten die Studienteilnehmer jeweils eine Zeit lang langsam und kontrolliert atmen. Dadurch regulierten sie ihr autonomes Nervensystem durch die Stimulation des Vagusnervs und aktivierten Gehirnregionen, welche für kognitive Prozesse relevant sind. Dies sollte die Wirksamkeit des Trainings zusätzlich erhöhen.

Gedächtnis verbessert sich deutlich

In ihrer ersten Studie zeigten die Forschenden, dass sich die kognitive Leistungsfähigkeit und das Erinnerungsvermögen der Trainierenden deutlich verbesserte. Diese Verbesserungen waren nicht nur statistisch signifikant, sondern auch im Alltag spürbar – etwa beim Einkaufen, bei Gesprächen oder im Umgang mit Stress. So berichteten die Studienteilnehmer, dass sie sich fitter, klarer und selbstsicherer fühlten. Bei Studienteilnehmer der Kontrollgruppe, die ihre üblichen Therapien fortsetzten, verschlechterte sich hingegen der Zustand – was dem typischen Krankheitsverlauf entspricht.

Die Ergebnisse sind vor allem für Menschen mit ersten Demenzanzeichen und deren Angehörige ermutigend: „Wir hoffen, dass wir durch gezieltes Exergame-Training Demenzsymptome verzögern und abschwächen können“, erklärt Projektleiter und Mitautor Prof. Eling D. de Bruin, der an der ETH Zürich und an der Ostschweizer Fachhochschule (OST) forscht.

Strukturelle Veränderungen im Gehirn

In einer zweiten Studie untersuchten die Forschenden, ob sich die kognitiven Verbesserungen im Gehirn widerspiegelten. Zu ihrer Überraschung konnten sie tatsächlich nachweisen, dass sich gewisse Strukturen verändert hatten. Auf Magnetresonanztomographien stellten die Forschenden fest, dass sich das Volumen des Hippocampus sowie des Thalamus bei den Trainierenden vergrößert hatte. Zudem beobachteten sie sie auch Effekte im anterioren cingulären Cortex sowie leichte Verbesserungen im präfrontalen Kortex. Bei den Personen in der Kontrollgruppe nahm das Volumen dieser Bereiche in der Großhirnrinde hingegen ab.

„Diese Regionen sind bei neurodegenerativen Erkrankungen wichtig. Ein verkleinerter Hippocampus gilt sogar als frühes Merkmal für Demenz“, erklärt de Bruin. Dass sie bereits nach zwölf Wochen strukturelle Verbesserungen messen konnten, beweise eindrücklich, dass das Gehirn plastisch ist – selbst bei Menschen, die erste Anzeichen für Demenz aufweisen, so die Forschenden.

Sie konnten zudem zeigen, dass die Veränderungen im Hippocampus und im Thalamus mit einer besseren kognitiven Leistungsfähigkeit und einem besseren Gedächtnis zusammenhängen. Dies sei ein erster Hinweis auf einen potenziellen kausalen, krankheitsverändernden Effekt des Trainings. „Unsere Ergebnisse stimmen uns zuversichtlich. Ob das personalisierte spielerische Training das Auftreten einer Demenz tatsächlich verzögern oder gar verhindern kann, müssen aber Studien zeigen, in denen die Teilnehmenden länger als drei Monate trainieren. Entsprechende Projekte sind bereits geplant“, berichtet de Bruin.