Trinken vor Operationen: Empfehlungen werden bei Kindern oft nicht eingehalten

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In den USA erhalten die meisten Kinder – darunter fast 80 Prozent der Säuglinge – vor einer Operation mindestens doppelt so lange keine klaren Flüssigkeiten, wie in Leitlinien empfohlen wird. Das zeigen Daten, die jüngst auf der Jahrestagung Anesthesiology® 2025 vorgestellt wurden.

Gesunde Säuglinge und Kinder können laut den Leitlinien der American Society of Anesthesiologists (ASA) bis zwei Stunden vor der Anästhesie unbedenklich klare Flüssigkeiten wie Wasser, Fruchtsäfte ohne Fruchtfleisch und kohlenhydrathaltige Getränke zu sich nehmen. Die europäischen Leitlinien sind sogar noch liberaler. So empfiehlt die European Society of Anaesthesiology and Intensive Care (ESAIC), dass gesunde Kinder bis zu eine Stunde vor dem Eingriff klare Flüssigkeit zu sich nehmen dürfen. Diese Empfehlungen sollen das Aspirationsrisiko verringern.

Langes Fasten hat negative Konsequenzen

„Ein längeres Fasten von klaren Flüssigkeiten von vier Stunden oder länger kann unangenehm sein und Durst, Angstzustände, Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen verstärken“, erläutert Studienleiter Dr. Alexander Nagrebetsky die Konsequenzen, wenn diese Empfehlungen deutlich überschritten werden. Und nicht nur das: „Kinder und Säuglinge sind besonders anfällig für Dehydrierung und Kalorienverlust, was den Stress erhöhen und die Genesung nach einer Operation verlangsamen kann“, verdeutlicht der Anästhesist und Intensivmediziner am Massachusetts General Hospital in Boston (USA), der auch Assistenzprofessor an der Harvard Medical School ist.

Ein Großteil der Kinder fastet zu lange

Wie gut die aktuellen Empfehlungen umgesetzt werden, erhoben Nagrebetsky und Kollegen nun anhand der Daten von 71.835 Kindern aus zwölf US-Krankenhäusern. Die Kinder im Alter von maximal 17 Jahren (darunter 3771 Säuglinge unter einem Jahr) unterzogen sich hier zwischen 2016 und 2024 einer elektiven Operation. Als längeres Fasten galt dabei der Verzicht auf klare Flüssigkeiten für mindestens vier Stunden vor der Operation, was mindestens doppelt so lang ist, als in den US-Leitlinien empfohlen wird.

Den Forschern zufolge sank der Anteil der Kinder, die vor der Operation mindestens doppelt so lange wie empfohlen auf klare Flüssigkeiten fasteten, von 84,3 Prozent im Jahr 2016 auf 70,2 Prozent im Jahr 2024. Bei Säuglingen stieg er im entsprechenden Zeitraum hingegen von 75,9 Prozent auf 79,6 Prozent.

Fastendauer bis zu viermal länger als empfohlen

Der Erhebung zufolge mussten die einbezogenen Kinder im Jahr 2016 im Mittel 10,9 Stunden vor dem Eingriff auf klare Flüssigkeiten verzichten. Bis zum Jahr 2024 sank die Dauer auf immer noch deutlich zu lange 8,7 Stunden. Bei Säuglingen gab es jedoch keine signifikante Verbesserung: Sie fasteten im Jahr 2016 durchschnittlich 6,7 Stunden und im Jahr 2024 rund 6,3 Stunden. Somit war die mittlere Dauer des Fastens ohne klare Flüssigkeiten auch im letzten Jahr bei Säuglingen noch dreimal länger als empfohlen und bei allen Kindern viermal länger.

„Die Studie bestätigte unsere Hypothese, dass die Nichteinhaltung der ASA-Fastenleitlinien in den USA weit verbreitet ist“, sagt Ethan Lowder, Hauptautor der Studie und Student an der Harvard Medical School.

Spekulationen zu den Gründen für langes Fasten

Zwar wurden die Gründe für die langen Fastenperioden der Kinder in der Studie nicht untersucht, die Autoren haben jedoch Vermutungen. So spekulieren sie, dass Eltern und Ärzte sich möglicherweise an veraltete Praktiken des längeren Fastens halten könnten (z. B. nach Mitternacht nichts mehr zu trinken). Auch bringen sie mangelnde Kenntnis der ASA-Fastenleitlinien sowie ein mangelndes Verständnis dafür, dass längeres Fasten Komplikationen erhöhen und die Genesung negativ beeinflussen kann, ins Spiel.

„Die Mitglieder des perioperativen Teams sollten die Patienten dazu ermutigen, bis zu zwei Stunden vor dem Eingriff Wasser und zuckerhaltige Flüssigkeiten zu trinken, wenn dies angemessen ist“, fordert Nagrebetsky. „Das Trinken von zuckerhaltigen klaren Flüssigkeiten wie Säften oder solchen mit Elektrolyten liefert Wasser und Kalorien, die der Körper von Kindern für eine normale Funktion benötigt, einschließlich der Bewältigung des Stresses durch die Operation und die Genesung“, hebt Lowder hervor.

(ah/BIERMANN)