Tuberkulose-Behandlung: Kontinuierliche Versorgung von Geflüchteten muss gesichert werden

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Medizinerinnen und Mediziner erwarten unter den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine auch Tuberkulose-Patientinnen und -Patienten. „Deshalb muss jetzt sichergestellt werden, dass diese Menschen lückenlos medizinisch weiterversorgt werden, damit deren Behandlung Erfolg hat“, betont Prof. Torsten Bauer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP).

Abhängig von der Komplexität dieser bakteriellen Lungenerkrankung kann eine Tuberkulose-Therapie mindestens sechs und teilweise mehr als 20 Monate dauern. „Bei einer Unterbrechung von nur acht Wochen muss die Behandlung wieder von vorne beginnen“, erklärt Prof. Tom Schaberg, federführender Autor der deutschen Tuberkulose-Leitlinie.

Die DGP fordert die Gesundheitspolitik auf, schnellstmöglich die Strukturen für die ambulante und stationäre Versorgung der Geflüchteten personell zu stärken und zugleich die Kostenübernahme unbürokratisch zu garantieren. „Wir haben in Deutschland ausreichend Versorgungskapazitäten. Die Konzepte für solche Notsituationen haben wir längst entwickelt, nur dürfen die Behandler nicht auf den Zusatzkosten sitzen bleiben“, sagt Bauer, Chefarzt einer Berliner Lungenklinik.

DGP-Präsident Torsten T. Bauer (Foto: © privat)

In Ländern wie Deutschland mit einer exzellenten Versorgung und Medikamentenbehandlung ist die Tuberkulose in den vergangenen Jahrzehnten seltener aufgetreten. Betroffen sind im Jahresschnitt fünf von 100.000 Einwohnern. Anders in der Ukraine: hier sind es rund 73 Fälle auf 100.000 Einwohner. Insbesondere der Anteil von Patientinnen und Patienten mit einer multiresistenten Tuberkulose ist mit 29 Prozent unter den Neudiagnosen sehr hoch und deren Behandlungserfolg liegt in der Ukraine bei nur etwa 51 Prozent. Hinzu kommt die Problematik von Ko-Infektionen, die eine Tuberkulosebehandlung erheblich erschweren. Bei rund 22 Prozent der ukrainischen Tuberkulose-Patientinnen und -Patienten liegt eine das Immunsystem schwächende HIV-Infektion vor, oft kommt eine Hepatitis-C-Infektion dazu. „In Deutschland existieren in spezialisierten Zentren die notwendigen Behandlungsstrukturen, auch für das komplexe Management von Ko-Infektionen“, sagt Bauer, der in Personalunion auch Präsident des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) ist.

Was jetzt geschehen muss: Tuberkulose-Patientinnen und -Patienten auffinden – Ärztinnen und Ärzte informieren – Finanzierung sichern

Die aktuelle Herausforderung ist, die betroffenen Patientinnen und Patienten aus der Ukraine aufzufinden, um eine möglichst verzögerungsfreie Weiterbehandlung zu ermöglichen. „Ein Aussetzen der Behandlung kann den Therapieerfolg gefährden und zu weiteren Medikamenten-Resistenzen führen“, erklärt Bauer. „Zudem kann nur durch die Fortführung der Behandlung verhindert werden, dass Patientinnen und Patienten mit einer multiresistenten Tuberkulose wieder ansteckungsfähig werden.“ Deshalb stellen die Lungenärztinnen und -ärzte von DGP und DZK folgende Forderungen auf:

Der öffentliche Gesundheitsdienst muss kurzfristig mehr Personal und Budget erhalten, um das Tuberkulose-Screening und notwendige Umgebungsuntersuchungen von Geflüchteten schnellstmöglich zu gewährleisten.

Die Kosten für die stationäre und ambulante Behandlung der multiresistenten Tuberkulose müssen vollständig übernommen und dürfen nicht den Behandlern überlassen werden. Das gilt auch für Kosten, die durch die Unterbringung von Patientinnen und Patienten aus Infektionsschutzgründen entstehen.

Die Kostenübernahme der längerfristigen Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Ko-Infektionen wie HIV oder einer zusätzlichen Abhängigkeit von intravenösen Drogen muss durch den Gesetzgeber gesichert sein.

Es muss eine Verbreitung von Informationen für Ärztinnen und Ärzte gewährleistet sein, die im Erstkontakt mit den Geflüchteten stehen, um Aufmerksamkeit für die Tuberkulose als Differenzialdiagnose zu schaffen (www.dzk-tuberkulose.de und Ratgeber für Tuberkulose des Robert Koch-Institutes). Mittelfristig muss die Fortbildung der Ärzteschaft in infektionsrelevanten Fragen gefördert werden, um auch zukünftig in Krisensituationen schnell handeln zu können.

„Mit der personellen und finanziellen Unterstützung durch die Gesundheitspolitik von Bund und Ländern werden wir die geflüchteten Tuberkulose-Patientinnen und -Patienten aus der Ukraine ausfindig machen und wie jeden anderen versorgen können. Eine erhöhte Tuberkulose-Gefahr für die Bevölkerung besteht dann nicht“, sagt Prof. Roland Diel vom DZK.

Erfahrungen aus früheren Flüchtlingswellen: „Wir haben viele Lösungsstrategien erarbeitet“

Gut vorbereitet durch Erfahrungen der Flüchtlingswelle infolge des Syrien-Krieges: Im Jahr 2015 sind schon einmal viele Menschen nach Deutschland geflüchtet, was stellenweise zu einer vorübergehenden Überlastung des Gesundheitssystems geführt hat. Davon betroffen war auch die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Infektionskrankheiten wie Tuberkulose. „Wir haben aus dieser Zeit gelernt und viele Lösungsstrategien erarbeitet, die wir auf die heutige Situation übertragen können“, erklärt Bauer. Er rechnet beispielhaft vor: „Sollten eine Million Geflüchtete in Deutschland aufgenommen werden, könnten auf Grundlage der für die Allgemeinbevölkerung bekannten Zahlen mindestens 500 bis 1000 neue Tuberkulose-Fälle dazu kommen. Es ist davon auszugehen, dass etwa 25 bis 30 Prozent davon multiresistente Tuberkulosen sind. Das ist ein durchaus handhabbares Problem, wenn die Rahmenbedingungen geschaffen sind“, sagt Bauer. Im Vergleich: Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 4.127 Tuberkulose-Fälle beim Robert-Koch-Institut gemeldet, darunter 79 Fälle mit einer multiresistenten Tuberkulose. „Die Arbeiten und Abstimmungen zur Aufnahme und Versorgung der Geflüchteten aus der Ukraine laufen in den Städten und Gemeinden auf allen Ebenen auf Hochtouren. Die Versorgung und die Koordination mit den medizinischen Leistungserbringern ist dabei eines der zentralen Themen”, sagt Dr. Cornelia Breuer, Vize-Präsidentin des DZK.