Typ-2-Diabetes: Kontinuierliche Glukosemessung kann Betroffenen helfen

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Der Diabetologe Dr. Jens Kröger aus Hamburg betont in einem Pressestatement den Nutzen der kontinuierlichen Glukosemanagement für Menschen mit Diabetes Typ 1 und Typ 2.

In Deutschland leben derzeit rund 11 Millionen Menschen mit Diabetes, davon 8,7 Millionen mit diagnostiziertem Typ-2-Diabetes. Mehr als 1,5 Millionen Menschen mit Typ-2-Diabetes werden mit Insulin behandelt, entweder mit einer Basalinsulin-unterstützenden oralen antidiabetischen Therapie (BOT), mit einer konventionellen Insulintherapie (CT), einer supplementären Insulintherapie (SIT) oder einer intensivierten Insulintherapie (ICT), erklärt Kröger, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, am 29. Oktober auf der Online-Pressekonferenz von diabetesDE.

Trotz evidenzbasierter Behandlungsstrategien erreichen nur etwa 57 Prozent der Menschen mit Typ-2-Diabetes die empfohlenen HbA1c-Zielwerte. Faktoren, die zum unzureichenden Erreichen der HbA1c-Zielwerte bei Typ-2-Diabetes beitragen, seien mangelnde Therapieadhärenz und eine therapeutische Trägheit, definiert als das Versäumnis, die Therapie rechtzeitig zu beginnen, anzupassen oder zu intensivieren, heißt es weiter.

Obwohl eine Therapieintensivierung bei Typ-2-Diabetes indiziert ist, wenn die individuellen Therapieziele nach 3 bis 6 Monaten unter der aktuellen Therapie nicht erreicht werden, seien die berichteten Latenzzeiten bis zu einer notwendigen Therapieintensivierung deutlich länger. Die mittlere Zeit bis zur Intensivierung der Therapie nach einem HbA1c-Testwert über dem Zielwert werde dabei eher in Jahren als in Monaten gemessen. Darüber hinaus könne sich diese therapeutische Trägheit zusätzlich erheblich verlängern, wenn die Anzahl der im Behandlungsplan verwendeten Medikamente zunimmt. Obwohl die therapeutische Trägheit das Ergebnis mehrerer Faktoren darstellt, sei bekannt, dass insbesondere die Angst vor Hypoglykämien die Therapieeskalation verlangsamt.

Die Verringerung der Hypoglykämie-Häufigkeit und die zeitnahe Alarmierung im Notfall durch CGM (kontinuierliche Glukosemessung) könnten potenziell dazu beitragen, die Akzeptanz für eine Therapieeskalation zu erhöhen und damit das Erreichen der gewünschten HbA1c-Ziele zu unterstützen, betont Kröger. Eine rechtzeitige bedarfsgerechte Intensivierung der Glukosekontrolle bei Menschen mit Typ-2-Diabetes solle daher im Fokus der therapeutischen Strategie stehen.

Intensivierung der Glukosekontrolle empfohlen

CGM wird von immer mehr Menschen mit Diabetes mellitus zur Überwachung im Rahmen des Selbstmonitorings eingesetzt, berichtet Kröger. Sie ermögliche nicht nur eine kontinuierliche Kontrolle des Glukosespiegels, sondern auch eine unmittelbare Darstellung des Einflusses der medikamentösen Therapie sowie zum Beispiel von Mahlzeiten und körperlicher Aktivität auf den Glukosespiegel.

Therapieziele könnten durch den Einsatz von CGM-Systemen aufgrund der verbesserten Informationsqualität und -quantität (kontinuierliche Anzeige des aktuellen Glukosewertes, Trendanzeige und Alarme bei Erreichen voreingestellter Grenzwerte, prädiktive Alarme, systematische Datenanalyse) mit höherer Wahrscheinlichkeit erreicht werden, so Kröger. Für zusätzliche Sicherheit seien diese Geräte mit Alarmen und Warnungen ausgestattet, die den Anwendenden auf aktuelle und/oder drohende schwere Hypoglykämien (SH) und Hyperglykämien aufmerksam machen. Dies sei besonders wichtig für Personen mit wiederkehrenden nächtlichen Hypoglykämien.

Für Menschen mit Typ-1-Diabetes ist CGM inzwischen zum Standard geworden. Bei Kindern und Jugendlichen (bis 16 Jahre) nutzen laut DPV-Register 2021 bereits circa 90 Prozent ein CGM-System. Die Befragung von 340 Diabetologen in Deutschland für den dt-Report ergab eine CGM-Nutzungsrate von 83,5 Prozent bei Menschen mit Typ-1-Diabetes und circa ¼ bei Menschen mit Typ 2 Diabetes und einer ICT-Therapie.

Eine beträchtliche Anzahl von Studien (BOT: 6 RCTs,10 RWE-Studien; Ohne Insulin: 5 RCTs, 5 RWE-Studien) liefern laut Kröger mittlerweile eine starke Evidenz dafür, dass CGM denjenigen Menschen mit Typ-2-Diabetes ohne intensivierte Insulintherapie, die davon profitieren würden und in der Lage sind, sie sicher und effektiv anzuwenden, zugänglich gemacht werden sollte. Der Typ-2-Diabetes ist eine heterogene Erkrankung, die durch zahlreiche pathophysiologische Veränderungen der Glukosehomöostase verursacht werden kann. Eine Analyse der Glukoseprofile von Menschen mit und ohne Typ-2-Diabetes habe gezeigt, dass ein Teil dieser Heterogenität in Glukotypen abgebildet werden kann, die auf Patientencharakteristika und CGM-definierten glykämischen Parametern basieren. Die dauerhafte und/oder intermittierende Anwendung von CGM in regelmäßigen Abständen oder während einer Therapieumstellung ermögliche laut Kröger potenziell:

  1. die aktive Einbeziehung von Menschen mit Typ-2-Diabetes hinsichtlich der Grundlage der Therapie einer individualisierten Ernährungs- und Bewegungsanpassung
  2. die unmittelbare Reflektion der Auswirkung von individualisierter Ernährung, Aktivität und Verhalten auf den Glukosestoffwechsel [Dieses Biofeedback ermöglicht es den Anwendern, die Reaktionen des Körpers auf Mahlzeiten und Bewegung zu verstehen und in das Ernährungs- oder Therapiemanagement einzubeziehen. Zum einen motivieren gute Verläufe, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Zum anderen helfen unbefriedigende Verläufe sowohl den Menschen mit Typ-2-Diabetes selbst als auch den Diabetesteams, Probleme zu erkennen – und, wenn möglich, zu beheben. Dadurch bietet CGM eine Gelegenheit für „entdeckendes Lernen“, bei dem der Einzelne unterstützt wird, neue Informationen, insbesondere seine eigenen Glukosewerte, sinnvoll zu nutzen, um durch persönliche Erfahrung und Reflexion neue Erkenntnisse zu gewinnen]
  3. Gleichzeitig kann eine Verbesserung der Effekte einer Schulung und des Selbstmanagements erzielt werden
  4. eine präzisere Beurteilung des Therapieansprechens und der Wahrscheinlichkeit das Therapieziel zu erreichen
  5. die zeitnahe Anpassung der Therapie
  6. möglicherweise in der Zukunft eine genauere Einschätzung des individuellen Risikos für mikrovaskuläre und kardiometabolische Komplikationen

Der Einsatz von CGM bei Typ-2-Diabetes kann in Form einer kontinuierlichen Anwendung erfolgen, wie dies beim Management des Typ-1-Diabetes heutzutage Standard ist, oder in Form einer intermittierenden Anwendung kurz nach der Diagnose sowie zu strategischen Zeitpunkten während des natürlichen Verlaufs des Typ-2-Diabetes, sagt Kröger.

Ökonomische Herausforderungen

Da der Zugang zu CGM für die große Gruppe der Menschen mit Typ-2-Diabetes ohne intensivierte Insulintherapie aus ökonomischen Gründen eine Herausforderung darstellt, könnte die intermittierende Anwendung von CGM-Systemen eine realistische Alternative zur kontinuierlichen Anwendung von CGM im Hinblick auf Kosteneffekte darstellen. Ob die dauerhafte oder intermittierende Anwendung bei Menschen mit Typ-2-Diabetes ohne ICT-Therapie sinnvoller ist, muss in weiteren Studien untersucht werden. Damit die Anwendenden von CGM-Systemen die Quantität und Qualität der angebotenen Informationen in dieser neuen Anwendergruppe adäquat nutzen und in therapeutische Interventionen umsetzen können, besteht ein Bedarf an zusätzlichen standardisierten CGM-Schulungsprogrammen, die zur Zeit in der Entwicklung sind.