Üben für den Ernstfall: Unfallchirurgie in Zeiten des Terrors

Benedikt Friemert (Foto: © Biermann Medizin, hr)

Verletzungen infolge von Terroranschlägen sind nicht mit Verletzungen zu vergleichen, die zum Beispiel im Rahmen von Verkehrsunfällen auftreten. Die Unfallchirurgie reagiert daher mit speziellen Trainings, damit im Falle eines Anschlages auch kleinere Kliniken besser vorbereitet sind.

„Terroristische Anschläge werden oft mit Kriegswaffen begangen, es entstehen dabei stark blutende penetrierende Wunden, die ein völlig andere Herangehensweise erfordern als dies bei einem nicht terroristischen Massenanfall von Verletzten ist“, erläuterte Oberstarzt Prof. Benedikt Friemert vom Bundeswehrkrankenhaus Ulm auf dem DKOU in Berlin. Im Rahmen von Verkehrsunfällen oder Arbeitsunfällen träten in der Regel stumpfe Verletzungen auf, bei Terroranschlägen insbesondere stark blutende Wunden, die Kriegs- oder Sprengverletzungen (Blast injuries). „Zivilisten werden bei Terroranschlägen zudem in der Regel stärker am Rumpf verletzt als wir dies von Soldaten kennen, da diese in der Regel Schutzkleidung tragen“, so der Wehrmediziner. Terroropfer mit solchen Wunden verbluteten daher oft in kurzer Zeit. Denn auch die Kenntnisse, wie solche Verletzungen zu behandeln sind, seien in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen. Hinzu komme noch, je nach Anschlagsszenario –, die sehr hohe Anzahl an Verletzten.

Weitere große Unterschiede zwischen „normalen“ Verkehrsunfällen oder Massenanfällen gegenüber Terroranschlägen sind die zeitliche Dynamik sowie die schnell eintretenden Ressourcengrenzen der in der Nähe liegenden behandelnden Kliniken. „Bei Verkehrsunfällen kommen Hilfsmittel wie Krankenwagen oder Behandlungszelte zum Unfallort. Beim Terroranschlag bringen häufig Zivilisten stark blutende Opfer einfach in die nächstgelegene und oft auch kleinere Klinik. Diese stößt dann nicht nur schnell an die Grenzen ihrer Ressourcen, sondern auch das Führungspersonal ist in der Regel nicht gewohnt, Entscheidungen unter zeitlich hohem Druck zu fällen“, erklärte der Experte. „Wer geht zuerst in den OP? Wer gar nicht? Was wird operiert? – solche Fragen müssen schnell vom von diesen Personen entschieden werden“, so Friemert weiter. Ziel sei es daher diese neuen ungewohnten Entscheidungsprozesse der „taktischen Chirurgie“ zu trainieren: Zum Beispiel das stark verletzte Gliedmaß eines Patienten zu opfern, um damit womöglich zwei weiteren Patienten das Leben retten zu können.

In verschiedenen Kursformaten, die in Kooperation der Bundeswehr mit der DGU entwickelt wurden, und sich an die Entscheider in der Medizin richten, können solche Besonderheiten der innerklinisch-medizinischen Versorgung bei Terror- und Katastrophenszenarien trainieren werden. Die „neuen“ Entscheidungsfindungsprozesse beispielsweise mit einem Brettspiel. „Im Rahmen einer Simulationsübung wird ein durchschnittliches Krankenhaus mit Patienten eines Terrorattentates konfrontiert und es ist die Aufgabe – unter Druckaufbau – möglichst vielen Patienten zunächst das Überleben zu sichern und dieses auch noch mit einer möglichst hohen Versorgungsqualität“, erklärte Friemert. Von der Sichtung und Kategorisierung der Patienten über die Priorisierung und Disponierung von Eingriffen bei begrenzter Operations- und Personalkapazität werde eine realitätsnahe Situation simuliert, um später auf solche außergewöhnliche Situationen besser vorbereitet zu sein.

Erste Erfahrungen aus den Kursen zeigten, dass das Brettspiel stark angenommen wird und die Teilnehmer nach dem Start der Simulation „so stark in diese reingezogen werden, dass sie kaum noch zu bremsen sind“. Erfreulich sei, dass auch die Lernkurve in der trainierten Entscheidungsgeschwindigkeit deutlich nachweisbar sei, berichtete der Experte.

Seit einem Jahr werden die erfolgreichen Kurse angeboten, doch laut Friemert wird es noch bis zu vier Jahre dauern, bis alle Kliniken geschult sind. Bisher finanzieren Teilnehmer und Kliniken die Kurse in Eigenleistung. Diese Vorleistung für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sollte aber aufgrund der nationalen Bedeutung auch national geregelt werden, forderte Friemert abschließend. (hr)