Überleben ist nicht genug: Interview mit Anästhesistin Eva Eberspächer-Schweda

PD DR. Eva Eberspächer-Schweda mit herzkrankem Kater nach Zahneingriff Foto: © privat

Die Anästhesiologie stellt ein äußerst wichtiges Thema in der Veterinärmedizin dar, das stetige Weiterbildung erforderlich macht. Privatdozentin Dr. Eva Eberspächer-Schweda erklärt im Gespräch, warum Anästhesisten in keiner Tierklinik fehlen dürfen.

Eberspächer-Schweda hat in Gießen Tiermedizin studiert, in München promoviert, den Fachtierarzt für Versuchstierkunde erworben, dann eine Residency in Anesthesia/Critical Patient Care an der UC Davis, USA, absolviert. Außerdem ist sie Diplomate des American College of Veterinary Anesthesia and Analgesia (ACVAA) und hat viele Jahre als Univ.-Assistentin an der veterinärmedizinischen Universität Wien an der Klinik für Anästhesiologie und perioperative Intensivtherapie gearbeitet und auf diesem Fachgebiet habilitiert. Seit 2022 ist sie in eigener Firma „AnästhesieSkills“ tätig und berät unter anderem Tierärzte in der Anästhesie von Klein-, Heim- und Großtieren.

Das Interview, das in Kompakt VetMed erschienen ist, führte Tierärztin Sigrun Grombacher.


Frau Dr. Eberspächer-Schweda, was ist bei der präanästhestischen Untersuchung zu beachten?
Eberspächer-Schweda: Grundsätzlich ist es wichtig, das ganze Tier zu untersuchen, den Patienten entlang eines festgelegten Schemas komplett zu untersuchen und sich nicht nur auf das aktuelle Problem/den OP-Grund zu konzentrieren. Den ganzen Patienten erfassen, seine Grunderkrankungen auf dem Schirm haben und Maßnahmen diesbezüglich planen. Natürlich liegt der engere Fokus in der Anästhesie auf dem Herz-Kreislaufsystem und der Atmung. Bei massiven Einschränkungen der Respiration oder des Herz-Kreislaufsystems würde ich einer OP nur dann zustimmen, wenn sie absolut nicht verschiebbar ist. Außerdem muss man unbedingt im Besitzergespräch ansprechen, dass das Tier ein Hochrisikopatient ist, also dass das Mortalitätsrisiko deutlich erhöht ist. Wenn der Patient z.B. an einer Pneumonie leidet, besteht das Hauptproblem im Gasaustausch, das hieße vorallem Sauerstoff rein, CO2 raus. CO2 raus ist seltener das Problem, aber genug Sauerstoff reinzukriegen schon eher, – das bedeutet, dass der Patient bestmöglich oxygeniert und ventiliert werden muss. Schon der sedierte Patient muss dann Sauerstoff bekommen. Und wenn z.B. eine Bissverletzung zu versorgen ist, würde ich schauen, dass ich den Patienten nicht so tief in Narkose lege, ggf. mit Lokalanästhesie unterstützend arbeite. Eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung ist vorzunehmen. Es ist immer eine individuelle Entscheidung.

Wieviel macht Erfahrung im Fachgebiet Anästhesie aus?
Eberspächer-Schweda: Viel. Anästhesie mit Erfahrung macht halt auch unheimlich Spaß, weil man einfach ein Bauchgefühl entwickelt. Erfahrung ist aber nichts, was vom Himmel fällt. Ich freue mich, wenn sich mehr Kolleginnen und Kollegen in die Anästhesie reinarbeiten, denn mit den Erfahrungen wird man nach und nach besser. Man muss aber eine harte Lehrzeit durchlaufen, die manchmal ganz schön stressig sein kann.


Früher gab es vermeintlich den „Alleskönner“-Tierarzt, eine Art eierlegende Wollmilchsau, …. Heute ist klarer, dass die Spezialisierung auf ein oder mehrere Fachgebiete durchaus zum Vorteil des Patienten ist, oder?
Eberspächer-Schweda: Auf jeden Fall, denn niemand ist in allem gleichgut bzw. kann alles auf wirklich hohem Niveau, da machen wir uns heute nichts mehr vor. Was wichtig ist, ist dass die Haustierärzte gezielt zu den Spezialisten überweisen, d.h. Patient mit gebrochenem Bein zu einem Orthopäden, Herzpatient mit Zahnproblem zu jemandem, der eine gute und vor allem schnelle Zahnsanierung und gleichzeitig eine sehr gute Anästhesie macht. Mein Wunsch geht schon hin zu einer größeren Spezialisierung. Für große Kliniken oder Kliniken überhaupt halte ich auf Anästhesie spezialisierte Tierärzte für unbedingt notwendig. Dieses „Wir haben das schon immer so gemacht. Wir fahren super mit unseren Protokollen seit 28 Jahren …“ Das ist alles soweit okay, bis man näher hinguckt. Wenn man genauer hinschaut, dann sieht man, wo es im Argen liegt. Viele Kliniken haben das auch bereits erkannt, einige noch nicht. Aber der Bedarf an guten Anästhesisten steigt stetig an.


Dass ein Patient in der Narkose verstirbt kommt glücklicherweise selten vor, aber da wären wir beim Stichwort: Überleben allein ist nicht genug …
Eberspächer-Schweda:
Die meisten erkennen die Mortalität als einzigen Outcome-Parameter an. Das kann es nicht sein. Es geht nicht darum, hurra, der Patient hat überlebt. Ein „normaler“ Narkosepatient sollte eine halbe Stunde nach der OP topfit dastehen: Wenn das nicht der Fall ist, dann läuft etwas suboptimal. Was es jedenfalls nicht mehr geben darf, ist, dass ein Patient schlafend nach Hause gegeben wird. Das ist nicht mehr state of the art.


In welchen Phasen der Anästhesie treten die meisten Probleme auf?
Eberspächer-Schweda: In meinem eigenen Empfinden würde ich sagen während der Einleitung, aber ich kenne keine Zahlen aus der Veterinärmedizin diesbezüglich. Für die
Einleitungsphase müssen wir eine relativ tiefe Narkose schaffen, um das Tier intubieren zu können. Zum Vergleich: Die Narkosetiefe muss für die Intubation tiefer sein als für einen Hautschnitt. D.h. wir sind in einer Phase unzureichender Überwachung, der Patient erhält möglicherweise noch keinen Sauerstoff, da viele vergessen zu präoxygenieren, das Tier liegt tief in Narkose und dann werden vagale Stimuli gesetzt wie an der Zunge ziehen und den Hals strecken. Und die Ausleitung: also Starten und Landen, wie beim Fliegen auch, halte ich für die kritischsten Phasen während der Narkose.


Was ist ihr persönlicher Antrieb bei Ihrer Arbeit?
Eberspächer-Schweda: Mein persönlicher Antrieb ist es, die beste Narkose für den jeweiligen Patienten zu machen. Jeder Patient ist für mich auf’s Neue der wichtigste Patient. Ich weiß, wie wichtig und wie wertvoll Tiere in unserem Leben sind, ich habe selber genug. Und ich weiß, wie schwer einen das treffen kann, wenn das Tier stirbt und deshalb ist für mich jede Narkose die wichtigste und soll die beste werden, die ich leisten kann. Ich habe den großen Luxus, dass die Narkose für mich nicht Mittel zum Zweck ist, sondern meine Arbeit. Deshalb kann ich mich da voll drauf fokussieren. Ich erwarte nicht, dass das ein Praktiker auf diesem Niveau hinbekommt, was ich aber schön fände: Wenn man die Narkosen flächendeckend auf den heutigen Standard hebt und sich Mühe gibt, seine Routinen ständig zu verbessern.


Fliegen wir in Deutschland unter dem Standard?
Eberspächer-Schweda: Es gibt in Deutschland extrem engagierte Kolleginnen und Kollegen, die viel Zeit und Geld investieren, um das Niveau ihrer Anästhesien stetig zu verbessern. Es gibt aber auch noch die Kolleginnen und Kollegen, die den Bedarf nicht sehen, Stichwort „Wir machen das seit X Jahren so und bei uns stibt keiner.“ Ich denke, dass noch ein bisschen was zu tun ist, ja. Vom Gefühl her ist Österreich bereits ein kleines Stück weiter. Und zwar deshalb: In Österreich gibt es nur eine veterinärmedizinische Universität, die Vetmeduni in Wien, und an dieser gibt es seit 20 Jahren eine Anästhesieabteilung, die mit mehreren Diplomates besetzt ist. Als ich 2007 angefangen habe, hat es dort 6 Diplomates gegeben. Das gibt es meines Wissens an keiner deutschen veterinärmedizinischen Uni. An der Vetmeduni ist die Anästhesie sehr stark und arbeitet gemeinsam mit der Chirurgie auf Augenhöhe für das optimale Wohl des Patienten. Auch die studentische Ausbildung ist in der Anästhesie in Wien schon seit vielen Jahren auf sehr hohem Niveau. In Deutschland wird die Anästhesie in einigen Bereichen noch immer stiefkindlich behandelt. Da ist noch Luft nach oben, zum Teil auch in der Anerkennung durch die Kollegen aus anderen Fachrichtungen und in der Lehre.

Zum Temperaturmanagement: Hier hört man gerne mal den lapidaren Satz „der liegt doch auf der Wärmematte …“
Eberspächer-Schweda: Wir können erst dann wissen, ob der Patient wirklich warm ist, wenn wir es gemessen haben. Selbst wenn wir das tollste Wärmeluftgebläse am Start haben, interessiert letztlich die eine Frage: Wie ist die innere Körperkerntemperatur? Wenn die beim Patienten zwischen 38,0 und 38,5 C in der Narkose ist, dann ist das, was Du tust, korrekt. Es gibt schon Rahmenbedingungen, da gestaltet es sich sehr schwer, die Temperatur zu halten, z.B. wenn ich einen kleinen Patienten habe oder wenn ich viel wandern muss, etwa ins Röntgen und zurück, oder viel rasieren und waschen muss, für einen orthopädischen Eingriff etwa. Aber wenn ich z.B. einen Zahn- oder einen Augenpatienten behandle, dann habe ich das Tier vor mir liegen, habe den ganzen Körper zum Wärmen. Wenn dieser Patient kalt wird, dann ist nicht genug gemacht worden. Liegt die Temperatur zu tief, kann es zur verzögerten Wundheilung kommen, zu einer erhöhten Inzidenz von Infektionen und zu Nierenproblemen, um nur einiges zu benennen. Nur Zellen und Proteine, die in ihrer Wohlfühltemperatur liegen, können ideal arbeiten. Das muss auch dem Chirurgen wichtig sein.


Zur CO2 Rückatmung– welche Ursachen gibt es?
Eberspächer-Schweda: Die CO2-Rückatmung kann ich mit Hilfe des Kapnographen erkennen. Es bedeutet, dass sich CO2 in der Einatemluft befindet, wo keines sein sollte, wenn der Patient korrekt an ein Anästhesiegerät angeschlossen ist. Steigt die inspiratorische Fraktion an CO2(FiCO2) an, dann hat das meist eine von 4 Ursachen: 1. Der Atemkalk ist nicht mehr funktionsfähig, 2. der Totraum ist zu groß, 3. eine oder beide Richtungsventilklappen sind offen oder fehlen und 4. der Frischgasfluss ist zu gering. So kann mit Hilfe eines Überwachungsgerätes, das Standard sein sollte, nicht nur die Ventilation und z. T. der Kreislauf beurteilt werden, sondern auch das Narkosegerät auf seine korrekte Funktion teilw. überprüft werden. Voraussetzung für eine gute Messung ist eine endotracheale Intubation, Larynxmaske oder festsitzende Maske über Maul/Schnauze/Nase.


Was gehört alles zu einem guten Narkosemanagement?
Eberspächer-Schweda: Die richtigen Medikamente in den richtigen Kombinationen und die Überwachung der Vitalparameter sindessenziell (und dass sie im Normbereich liegen) und das perioperative Management, also das ganze Drumherum. Da gehören das Infusions- und das Wärmemanagement, ein angemessenes Atemwegsmanagement, die Lagerung, das vorsichtige Entleeren der Blase, die wiederholte Eingabe von Augensalbe etc. dazu – was im Prinzip jeder kann. Der springende Punkt ist, einer muss sich dafür zuständig fühlen und das auch alles umsetzen.


Und gerätetechnisch? Was ist angemessen für eine Kleintierpraxis?
Eberspächer-Schweda: Wenn Eingriffe gemacht werden, die über die Kastration eines Katers hinausgehen, dann muss ein Narkosegerät her. Wir haben Leitlinien in Deutschland, 3 dieser Leitlinien erfordern, um umgesetzt werden zu können, ein Narkosegerät. Und eine Überwachung, die aus 5 Überwachungsgeräten besteht: Kapnographie, Pulsoxymetrie, EKG, Blutdruck- und Temperaturmessung. Zusätzlich besagtes perioperatives Management. Und: ChirurgIn und derjenige/diejenige, der/die die Anästhesie macht, dürfen nicht die gleiche Person sein. Weil ich meine Aufmerksamkeit nur einmal zu 100% vergeben kann. Solange alles gut läuft, leuchtet das womöglich nicht ein, aber sobald es an einer der beiden Seiten kracht, wird’s katastrophal.


In Ihrem Buch „AnästhesieSkills“ gibt es viele wertvolle Hinweise wie z.B. warum die Gabe von Naloxon nach sehr schmerzhaften Eingriffen risikoreich ist …
Eberspächer-Schweda: Genau. Grundsätzlich ist es ja gut, dass wir z.T. Antagonisten für unsere Anästhetika zur Verfügung haben. Wenn ich allerdings mit Naloxon die exogenen und endogenen Opioide antagonisiere, kann der Patient in eine akute Schmerzsituation kommen, die fatal enden kann. Aus diesem Grund sollte Naloxon nur im absoluten Notfall verwendet werden.


Was hat sich in den vergangenen zehn Jahren in puncto Anästhetika getan?
Eberspächer-Schweda: Es kommen alle paar Jahre neue Anästhetika und Analgetika auf den Markt, für die es lohnt, sich aus seiner altbewährten Komfortzone herauszubewegen, weil sie zum großen Teil sicherer und effizienter sind. Außerdem sind die Multi-Parameter-Überwachungsgeräte in der Zwischenzeit für unsere Veterinärpatienten angepasst und erschwinglich.


Sie sind seit 2022 in ihrem eigenen Unternehmen „AnästhesieSkills“ selbstständig tätig. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Eberspächer-Schweda: Die Online-Weiterbildung funktioniert sehr gut. Ich komme auch in die Praxen, um einen Tag mitzuarbeiten, was auch gleich eine Schulung beinhaltet. Außerdem begleite ich sehr kranke Patienten durch die Narkose vor Ort. Und ich spreche auf Kongressen und gebe Seminare. Simulatortraining bringt sehr viel, weil man sich voll drauf einlassen muss. Hier trainieren wir lösungsorientiertes Handeln bei Komplikationen während der Anästhesie.


Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Eberspächer-Schweda.


CO2-Rückatmung
Foto: © Eva Eberspächer-Schweda