Überlebensraten von Extremfrühchen steigen

Frühchen beim Bonding. (Foto: © Tobilander – stock.adobe.com)

Die Überlebenschancen besonders frühgeborener Babys steigen, doch manche kämpfen später mit schweren Komplikationen. Zu diesem Ergebnis kommt eine US-Studie, die im Fachjournal „Pediatrics“ erschienen ist.

Die Forschenden analysierten die Daten von 22.953 extrem frühgeborenen Kindern, die zwischen 2020 und 2022 in Level-3- und Level-4-Neonatalstationen in den USA behandelt wurden – also in Kliniken mit umfassender Ausstattung für die intensivmedizinische Versorgung von Neugeborenen.

Die Studie zeigte zunächst, dass die Überlebensrate mit dem Gestationsalter steigt. Nur jedes vierte Kind, das in der 22. Schwangerschaftswoche auf die Welt kam, überlebte, während es 82 Prozent der Kinder waren, die in der 25. Woche geboren wurden. Bei 68 Prozent der in der 22. Woche geborenen Kinder wurde eine postnatale Lebensunterstützung eingeleitet – von diesen Kindern überlebte gut jedes dritte (35,4 %). Die Kinder wurden mechanisch beatmet und ihr Kreislauf wurde durch Infusionen stabilisiert. Je später die Geburt, desto höher waren die Raten: Kinder aus der 25. Woche erhielten fast in 100 Prozent der Fälle eine Lebenshilfe – 82 Prozent davon überlebten.

Bemerkenswert ist, dass der Anteil der in der 22. Woche geborenen Kinder, die eine solche Unterstützung erhielten, von 61,6 Prozent im Jahr 2020 auf 73,7 Prozent im Jahr 2022 stieg. Nur ein sehr kleiner Teil dieser Kinder (6,3 Prozent) blieb allerdings von schweren Komplikationen wie Blutungen, Lungenerkrankungen oder Infektionen verschont. Bei den in der 25. Woche Geborenen lag dieser Anteil bei 43,2 Prozent.

Zusätzlich zur hohen Komplikationsrate stellten die Forschenden bei Extremfrühchen eine erhebliche Abhängigkeit von medizinischen Geräten bei der Entlassung fest. So benötigten die Kinder oft zusätzlich Sauerstoff, Ernährungssonden oder Überwachungsmonitore. Wie es ihnen nach der Entlassung erging, wurde nicht untersucht.

Auch in Deutschland steht die Behandlung von extrem frühgeborenen Kindern, insbesondere denen in der 22. bis 25. Woche, im Fokus intensiver Diskussionen. Ähnlich wie in den USA sind die Überlebenschancen in spezialisierten Perinatalzentren der höchsten Versorgungsstufe hierzulande in den vergangenen Jahren gestiegen. Doch mit der Verbesserung der Überlebensraten treten auch hier ethische Fragen in den Vordergrund: Wie viel technologische Unterstützung ist vertretbar, und welche Lebensqualität kann für die Kinder langfristig gewährleistet werden?

Entsprechend gingen auch hier in Deutschland die Meinungen auseinander, ob eine Behandlung extrem früh geborener Kinder in lebenserhaltender Absicht als sinnvoll erachtet wird oder ob nicht lieber von Anfang ein palliativer Weg eingeschlagen werden sollte, erklärte Prof. Christoph Bührer, Direktor der Klinik für Neonatologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin. „Beides ist vertretbar, aber die Entscheidung liegt letztlich bei den Eltern und spiegelt deren Werte- und Erwartungshorizont wider. Ärztliche Aufgabe ist es, über die Chancen und Risiken empathisch, aber klar und offen zu reden, um den Eltern eine informierte Entscheidung zu ermöglichen.“

Schwangerenbetreuung macht den Unterschied

Einen wichtigen Unterschied zwischen der Versorgung in Deutschland und USA, der auch das Outcome von Frühgeborenen beeinflusst, sieht Prof. Mario Rüdiger, Leiter des Fachbereiches Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin und Leiter des Projektes Feto-Neonataler-Pfad am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, in der vorgeburtlichen Betreuung. Verglichen mit den USA ist die Schwangerenbetreuung in Deutschland deutlich umfangreicher und intensiver. So haben in Deutschland deutlich mehr Mütter zum Zeitpunkt der Geburt ihres Kindes eine vollständige Lungenreifeinduktion erhalten. Daten aus anderen Studien zeigten zudem, dass die Wahrscheinlichkeit einer angeborenen kindlichen Infektion, die in diesen niedrigen Schwangerschaftswochen häufig zum Versterben der Kinder führen, in Deutschland deutlich niedriger ist, erklärte das Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM).

„Letztlich finden sich auch deutliche Unterschiede bezüglich der neonatologischen Behandlung dieser extrem unreifen Kinder. Im Ergebnis einer deutlich weniger invasiven Therapie in Deutschland, zeigen sich hierzulande bessere Behandlungsergebnisse für extrem unreife Frühgeborene. So liegt die Rate der mit 24 Schwangerschaftswochen geborenen Kinder, die mit Sauerstoff entlassen werden, deutlich unter zehn Prozent; auch für die Anlage eines Gastrostomas besteht sehr selten die Notwendigkeit. Ausdruck einer besseren Entwicklung sind auch die deutlich kürzeren Liegezeiten, so gehen in meiner Klinik Kinder mit 25 Schwangerschaftswochen im Schnitt 14 Tage eher nach Hause.“

Jedes Kind hat ein Recht auf eine medizinische Behandlung

Bestehe der Wunsch der Eltern – als die maßgeblichen Interessenvertreter des Kindes – auf eine kurative Behandlung, und zeige das Kind keine zusätzlichen Faktoren, die ein Überleben unwahrscheinlich erscheinen lassen, sei der Beginn einer optimalen und vollumfänglichen postnatalen Lebensunterstützung auch nach einer Schwangerschaftsdauer von 22 Wochen „absolut angebracht“, erklärte Rüdiger weiter.

„Jedes Kind hat, unabhängig von dem Gestationsalter, ein Recht auf eine medizinische Behandlung. Fällt die Entscheidung für eine kurative Behandlung, so hat diese von allen Seiten optimal zu erfolgen, beginnend mit der Betreuung der Schwangeren, über einen optimalen Geburtsmodus bis hin zur neonatologischen Betreuung der Kinder und psychosozialen Unterstützung der Familien. Ähnlich den großen Anstrengungen der Gesellschaft den Krebs zu bekämpfen, sind auch gezielte Anstrengungen erforderlich, das Überleben der vulnerabelsten Mitglieder unserer Gesellschaft nicht nur zu sichern, sondern auch eine gute Qualität des Überlebens zu ermöglichen. Dafür sind ausreichend Gelder für die Forschung, die Bereitschaft der Industrie, Medikamente für Neugeborene zu entwickeln und eine stärkere Zentralisierung der Behandlung dieser Kinder erforderlich. Diese Anstrengungen sind eine Investition in die künftige Generation und lohnen sich auch finanziell. Der Nobelpreisträger James Heckman konnte zeigen, dass je früher im Leben die Investitionen beginnen, umso höher ist der Return of Invest“, appellierte Rüdiger.