Uhrentest digital: Eine App soll künftig Demenzen erkennen

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Der Uhrentest ist seit Jahrzehnten ein einfaches und effektives Verfahren, um räumliche Orientierungsstörungen und Demenzen zu diagnostizieren. Am Lehrstuhl für Mustererkennung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben WissenschaftlerInnen künstliche neuronale Netze mit 2500 solcher Tests „gefüttert“, um ihnen beizubringen, diese selbständig auszuwerten.

Immer mehr Menschen erkranken an Demenz, sichere und einfache Diagnosemethoden sind entscheidend, um die Betroffenen möglichst früh medizinisch begleiten zu können. Weltweit findet hierfür der Uhrentest Anwendung. Das Verfahren ist standardisiert und einfach: Der Patient bekommt ein Blatt Papier mit einem vorgezeichneten Kreis vorgelegt und soll die Ziffern einer Uhr einzeichnen, um anschließend eine bestimmte Uhrzeit einzutragen. Je nachdem, wie stark die Zeichnung von der richtigen Lösung abweicht, lassen sich Rückschlüsse auf das Ausmaß der Hirnfunktionsstörung ziehen.

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Markus Weih war früher Leiter der Gedächtnisambulanz an der psychiatrischen Klinik und ist aktuell im Medic Center in Nürnberg tätig und externes Mitglied des Lehrstuhls für Neurologie der FAU. In seiner Praxis sammelte er über mehrere Jahre 2500 Uhrentest von 1315 PatientInnen.

Ziel von Prof. Andreas Maier vom Lehrstuhl für Mustererkennung der FAU war es, die Auswertung dieser Tests künstlichen neuronalen Netzen beizubringen, um medizinische und psychologische Fachleute in der Praxis zu unterstützen. Weih scannte die gezeichneten Uhren und Testergebnisse ein und schickte die Daten an den Lehrstuhl.

Neuronale Netze füttern

Dort begann ein Team unter Maiers Leitung damit, die Daten zu digitalisieren. Im Rahmen seiner Masterarbeit übernahm Harb Alnasser Alabdalrahim die Aufgabe, die tiefen neuronalen Netze der Hochleistungsrechner mit den Uhren zu „füttern“. In kurzer Zeit lernten diese, den Zeichnungen die richtige Diagnose zuzuordnen. „In mehr als 96 Prozent der Fälle ordnen die neuronalen Netzwerke richtig zu, ob es sich um einen nicht pathologischen oder einen pathologischen Befund handelt“, erklärt Maier. Und in mehr als 98 Prozent der Fälle sei die zugeordnete Erkrankungsstufe korrekt. „Das sind sehr gute Ergebnisse.“

Im Lehrstuhl für Mustererkennung speisen ForscherInnen häufig Röntgenbilder oder Aufnahmen von Computertomographien und Magnetresonanztomographien in die künstlichen Netze ein, um diese für die Diagnostik einsetzbar zu machen. „Beim Uhrentest haben wir im Unterschied dazu mit Zeichnungen gearbeitet“, sagt Maier. Die große Datenmenge, die Weih aus seiner Praxis liefern konnte, sei ein Glücksfall gewesen. Nach mehr als 1000 Trainingsiterationen konnten die künstlichen neuronalen Netze sehr genaue Ergebnisse liefern.

Ein einfacher, aber guter Test

Die Hoffnung der Forschenden ist es, dass künftig eine einfach zu handhabende App medizinisches Personal in der Diagnose von Demenz weltweit unterstützen kann. „Das Personal muss natürlich auch künftig den Uhrentest kennen und standardisiert anwenden“, macht Maier deutlich, „doch anschließend kann es die App nutzen, um damit den Test abzufotografieren und sofort eine Auswertung zu bekommen.“ Wer sich in der Bewertung eines Tests unsicher sei, erhalte über die App eine Art Zweitmeinung. Dies bringe mehr Zuverlässigkeit in den Diagnosen sowie eine bessere Graduierung und Abgrenzung von Demenzfällen. Letzteres sei in der klinischen Forschung von großem Interesse.

Originalpublikation:
Chen S et al. Automatic dementia screening and scoring by applying deep learning on clock-drawing tests. Scientific Reports 2020;10:20854.