Ultradistanz-Radathleten: Nach mehrtägiger Belastung Zeichen der Überwässerung

13 Ultra-RadfahrerInnen aus ganz Europa nahmen an der Pilotstudie teil. Foto: David Bullock / MedUniIBK/Bullock
13 Ultra-RadfahrerInnen aus ganz Europa nahmen an der Pilotstudie teil. Foto: David Bullock / MedUniIBK/Bullock

Dass extremer Ausdauersport wie Ultraradfahren zu körperlichen Überlastungssymptomen führen kann, scheint naheliegend. Für den boomenden Rad- und Ultraradsport sind evidenzbasierte Daten bislang jedoch spärlich.

In einer Pilotstudie an der Medizinischen Universität Innsbruck (Österreich) wurden erstmals die Auswirkungen von Ultracycling auf den Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushalt und das von Ultra-Radfahrern berichtete Auftreten von Schwellungen an Augenlidern und Extremitäten untersucht. Eine mehrtägige Ultradistanz-Radfahrt ist assoziiert mit deutlichen Zeichen einer Hyperhydratation und damit verbundener Belastung des Herzens sowie sichtbaren Ödemen.

Das ist die zentrale Erkenntnis einer neuen, im Fachjournal „Kidney International Reports” erschienenen und vom Land Tirol mit einer Technologieförderung von 130.000 Euro unterstützten Radstudie. Die Bildung peripherer Ödeme (Schwellungen im Augenbereich, sowie an Armen und Beinen) nach überdurchschnittlicher körperlicher Belastung ist ein Phänomen, das bei Ultra-Läufern bereits in Einzelfällen in der Literatur beschrieben wurde. Bei Ultradistanz-Radfahreren wurde dieser Zusammenhang nun erstmals von einem interdisziplinären Forschungsteam an der Medizinischen Universität Innsbruck systematisch untersucht.

Ausschlaggebend für den Start der Innsbrucker Pilotstudie im Jahr 2021 waren die persönlichen Erfahrungsberichte zweier populärer Ultra-Radsportlerinnen und Wissenschaftlerinnen – Jana Kesenheimer, Psychologin an der Universität Innsbruck und Fiona Kolbinger, Chirurgin an der Universitätsklinik Carl Gustav Carus in Dresden –, die von Wassereinlagerungen an Lidern und Gelenken nach mehrtägigen, ultralangen Radstrecken bei sich selbst überrascht waren. Über ähnliche Symptome berichtete mehr als die Hälfte der knapp 1000 teilnehmenden Ultra-Radfahrer in einer Fragebogenstudie, die von den Forschenden schon im Vorfeld durchgeführt worden war.

Untersuchung „auf Herz und Nieren“

Studienleiter Philipp Gauckler und Andreas Kronbichler – beide Nierenfachärzte forschen an der Innsbrucker Universitätsklinik für Nephrologie und Hypertensiologie der Medizinischen Universität Innsbruck und sind selbst Hobby-Radfahrer – luden dafür gemeinsam mit Kesenheimer und Kolbinger 13 Ultraradfahrer aus ganz Europa nach Innsbruck ein. Die Sportler wurden während einer mehrtägigen Rennrad-Tour mit selbstgewählter Streckenlänge von durchschnittlich 1205 Kilometern und knapp 20.000 Höhenmetern im Zeitraum von 4. bis 11. September 2021 „auf Herz und Nieren“ untersucht.

Die fünf weiblichen und acht männlichen Probanden wurden nach einer umfangreichen Basisdiagnostik vor dem Start an Tag 4 einer Zwischenanalyse unterzogen und in der Erholungsphase sowie zum Abschluss zwölf bis 24 Stunden nach ihrer Ankunft untersucht. Laboranalysen von Blut und Urin, bioelektrische Messung der Körperzusammensetzung und Echokardiographie (EKG) sowie kontinuierlich aufgezeichnete Protokolle der Sportlerinnen und Sportler zur Flüssigkeitsaufnahme und zum Umfang ihrer Extremitäten dienten der Datenerhebung. „Dafür kooperierten wir mit dem Tiroler Start-up Ionsent Technologies Gmbh (vormals UriSalt GmbH), das den Teilnehmern mobile Geräte zur Verfügung stellte, mit denen der Elektrolythaushalt durch eine einfache Urinprobe selbst analysiert werden konnte. Mittels der eigens für die Studie zugeschnittenen Mobil-App des Innsbrucker IT-Unternehmens webcrossing GmbH wurden die Messwerte direkt synchronisiert“, beschreibt Studienleiter Gauckler den innovativen Ansatz der Studie.

Wirtschaftslandesrat Mario Gerber ergänzt: „Wir verfügen in Tirol über ein ausgezeichnetes Netzwerk zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen, international tätigen Unternehmen sowie innovativen Start-ups. Die Radstudie, die vonseiten des Landes im Rahmen der Technologieförderung unterstützt wird, ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft gelingen können. Nicht zuletzt tragen Projekte wie dieses zur Weiterentwicklung Tirols zu einer Spitzenregion im Bereich Life Sciences bei.“

Wassereinlagerungen auch bei Ultraradsportlern

Im Verlauf der Radtour zeigten die Teilnehmenden Anzeichen einer Erweiterung des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens ohne relevante Körpergewichtsverluste. Mit steigendem Gesamtkörperwasser und Plasmavolumen veränderte sich jedoch die Körperzusammensetzung (Wasser, Fett- und Muskelmasse). Ein signifikanter Anstieg des Herzinsuffizienzmarkers NT-proBNP sowie eine Volumenzunahme des rechten Vorhofs und der rechten Herzkammer weisen auf eine gleichzeitige Herzvolumenüberlastung hin. Zudem zeigten sich periphere Ödeme im Gesicht und an den Augenlidern sowie Volumenzunahmen an Knöcheln, Handgelenken, Zeigefingern und Oberschenkel. Die detaillierte Analyse der Blut und Harn-Elektrolyte sowie serielle Messungen von Copeptin (Marker für die endogene Regulation der Harnkonzentration) lassen sogar erste Vermutungen über zugrundeliegende Mechanismen für die beobachtete Überwässerung zu. In der Tat scheint eine kontinuierliche Rückaufnahme durch die Niere von Natrium und Flüssigkeit in den Kreis-lauf zumindest eine Rolle zu spielen. „Diese Beobachtungen sind sehr interessant, insbesondere in Anbetracht der unter Sportlerinnen und Sportlern verbreiteten Annahme, dass Flüssigkeitsmangel und unzureichende Flüssigkeitsaufnahme beim Ausdauersport das führende Problem seien. Angesichts der geringen Kohortengröße der Pilotstudie sind definitive pathomechanistische Aussagen und Handlungsempfehlungen für den Sport nicht möglich. Weiterführende Studien mit höherer Teilnehmerzahl, insbesondere im echten Rennsetting, sind deshalb in Planung“, schließt Gauckler.