Umfrage: 60 Prozent der Ärztinnen fühlen sich im Beruf benachteiligt

Quelle: Medscape

Mehr als die Hälfte der Ärztinnen gibt an, sich im Job bereits als Frau benachteiligt gefühlt zu haben. In der Pandemie hat sich die Situation für Medizinerinnen noch verschlechtert. So die Ergebnisse des Medscape-Reports, einer großen Umfrage zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Arztberuf. 

Der aktuelle Medscape-Report zeigt, wie unterschiedlich Ärztinnen und Ärzte auch heute in Deutschland an ihrem Arbeitsplatz behandelt werden, gegen welche Probleme sie kämpfen – und wo kleine Fortschritte zu verzeichnen sind. An der Umfrage von Medscape, einem Portal für medizinisches Fachwissen, nahmen 1040 in Deutschland lebende Ärztinnen und Ärzte teil, 500 davon waren Frauen, 534 Männer. Sie beantworteten einen ausführlichen Online-Fragbogen zum Thema Gleichstellung von Ärztinnen und Ärztinnen im Beruf.

Alteingefahrene Rollenmodelle bei der Kinderbetreuung
Der Umfrage zufolge gaben 60 % der weiblichen Befragungsteilnehmer an, dass sie sich im Job als Frau bereits benachteiligt fühlten – im Vergleich zu lediglich 14 % der Männer. Die Rahmenbedingungen im Berufsalltag scheinen demnach für Ärztinnen deutlich schlechter zu sein als für Ärzte.

Zu den unterschiedlichen Sorgen im Job befragt, stören sich mehr Männer (16 %) als Frauen (10 %) am Einkommen, während Ärztinnen häufiger Karrierechancen vermissen (8 %) als Ärzte (3 %). Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung stellt Frauen häufiger vor Probleme (15 % vs. 7 %). Demnach scheint die Kinderbetreuung nach wie vor eher Aufgabe der Frauen zu sein. Ist beispielsweise ein Kind krank, scheinen nach wie vor Rollenmodelle praktiziert zu werden: Lediglich 3 % der Ärzte gaben an, sich selbst zu kümmern, im Vergleich zu 32 % der Ärztinnen. Die Antwort „Mein Partner:in“ wählten 69 % der Männer und 23 % der Frauen.

Auch offizielle Statistiken deuten laut Medscape darauf hin, dass es bis zur Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern noch ein weiter Weg sei: Etwa zwei Drittel aller Medizinstudierenden sind heute Frauen – nach der Approbation schrumpft ihr Anteil bereits auf 48 %. Nur etwa 31 % aller Oberarzt-Positionen waren 2016 in weiblicher Hand und lediglich 13 % der Führungspositionen in der Universitätsmedizin waren 2019 mit Frauen besetzt.

Umdenken bei jüngeren Männern
Aus Detailanalysen des Medscape-Reports geht hervor, dass vor allem jüngere Männer die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf kritisch sehen: Unter den zwischen Anfang der 1980er- bis Ende der 1990er-Jahren geboren Millennials kritisieren diesen Aspekt 25 % der Ärztinnen und 46 % der Ärzte. Hier scheint also ein Umdenken im Gange zu sein, so Medscape.

Chefinnen auf dem Vormarsch
Befragt nach Verbesserungen der Gleichstellung in den vergangenen Jahren sehen 19 % der Frauen und 36 % der Männer Fortschritte bei der Gleichstellung der Gehälter und Einkommen; 19 % der Ärztinnen bzw. 44 % der Ärzte verzeichnen positive Entwicklungen bei Aufstiegschancen. Mehr als die Hälfte der Ärztinnen (55 %) und Ärzte (59 %) beobachtet zudem positive Entwicklungen bei Teilzeitangeboten; Verbesserungen bei den Arbeitszeiten geben 41 % der Frauen und 54 % der Männer an.

Des Weiteren ergab die Umfrage, dass 42 % der Frauen und 61 % der Männer in einer Führungsposition arbeiten; weitere 18 % bzw. 15 % geben an, Kolleginnen oder Kollegen zu beaufsichtigen. Zudem streben mit 39 % deutlich mehr Frauen als Männer (24 %) aktuell eine Beförderung an.

Mehr Selbstzweifel unter Ärztinnen
19 % der Frauen gibt an, als Teamleiter sehr selbstsicher zu sein – im Vergleich zu 29 % der Männer. Deutlich wird das Ungleichgewicht auch aus der negativen Perspektive: Als wenig oder überhaupt nicht selbstsicher bezeichnen sich 9 % der Frauen und nur 3 % der Männer.

Zur Verbesserung ihrer Selbstsicherheit wünschen sich die Teilnehmer:innnen mehr Zeit, eine bessere Personalplanung, Fortbildungen bzw. Coachings, verständnisvolle Kolleginnen und Kollegen, Kommunikation auf Augenhöhe, mehr Zusammenhalt im Team, aber auch mehr Unterstützung durch den Arbeitgeber.

Auswirkungen der Pandemie auf die Gleichstellung
Befragt nach den Folgen der SARS-CoV-2-Pandemie beobachten 40 % der Ärztinnen und 10 % der Ärzte Verschlechterungen für Frauen. Nachteile für Männer gaben demgegenüber lediglich 7 % der männlichen Umfrageteilnehmer und keine einzige der Teilnehmerinnen an.

Die Teilnehmenden wurden darüber hinaus befragt, wie die Pandemie ihre Einstellung zum Job verändert hat. Die Ergebnisse zeigen, dass hier vor allem die Gesundheit und die Work-Life-Balance im Vordergrund stehen. So schreibt eine 32-jährige Chirurgin in Elternzeit: „Das Leben ist endlich und Familie wichtiger als die Arbeit.“ Ein 38-jähriger Facharzt für Psychiatrie bestätigt: „Der Beruf beinhaltet Gefahren, die mir vor der Pandemie nicht bewusst waren.“ Viele Ärztinnen und Ärzte äußerten aber auch Kritik an der Situation. „Warum soll man den Kopf hinhalten, wenn in den Medien nur über Lockerung, Urlaub und Party berichtet wird, statt über den Umständen entsprechendem angemessenem Verhalten“, gibt eine 66-jährige Anästhesistin zu bedenken.

„Zwar ist der Weg bis zur Chancengleichheit zwischen Ärztinnen und Ärztinnen immer noch weit. Aber es gibt erste Anzeichen für eine Abkehr vom alteingefahrenen Rollenmodell: Junge Ärzte denken um und wünschen sich mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch die Entwicklung von Teilzeitangeboten oder verbesserte Arbeitszeiten sind positive Zeichen. Und sogar Bezug auf Führungspositionen scheint sich langsam etwas zu bewegen“, fasst Claudia Gottschling, Editorial Director von Medscape Deutschland, die Umfrage zusammen.

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