Umfrage der DKG: Bürokratie frisst Zeit und verschärft das Fachkräfteproblem8. August 2024 Foto: BillionPhotos.com/stock.adobe.com Laut einer Umfrage im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) verbringen nicht nur Ärzte im Schnitt täglich drei Stunden mit Dokumentationen, die oft keinen Nutzen für die Behandlung der Patienten haben. Reduzierte sich diese bürokratische Arbeit um nur eine Stunde pro Tag, würde dies rechnerisch rund 21.600 Vollkräfte im ärztlichen und etwa 47.000 Vollkräfte im Pflegedienst freisetzen. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage zur Bürokratiebelastung in deutschen Allgemeinkrankenhäusern und Psychiatrien des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) im Auftrag der DKG. „Die Zahlen sind erschütternd“, betonte Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG. Drei Stunden pro Tag entsprächen 116.600 von knapp 343.000 Vollkräften (34 %) im Pflegedienst von Allgemeinkrankenhäusern und 59.500 von gut 165.200 ärztlichen Vollkräften bundesweit (36 %), rechnet Gaß vor, der weiter erklärte: „Diese Fachkräfte stehen in der Zeit, in der sie die ausufernden Bürokratiepflichten erfüllen müssen, nicht der Patientenversorgung zu Verfügung. Die Dokumentation hat sich über viele Jahre von einer notwendigen Nebentätigkeit zu einer extremen Last entwickelt. Das Problem von medizinisch und pflegerisch viel zu oft nicht notwendiger Schreibarbeit ist völlig außer Kontrolle geraten.“ Konsequente Entbürokratisierung als Lösung für den Fachkräftemangel? Dass Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte ein Drittel ihrer Arbeitszeit für Bürokratie einsetzen müssen, ist für Gaß „schlicht inakzeptabel“. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels könne man sich Verschwendung von Arbeitskraft nicht mehr leisten. Dem DKG-Vorstandsvorsitzenden zufolge könne das das Fachkräfteproblem durch konsequente Entbürokratisierung zumindest deutlich verringert werden: „Weniger Bürokratie hieße, dass sich die Beschäftigten mehr um die Patientinnen und Patienten kümmern könnten, die Arbeitsbelastung würde sinken und die Attraktivität der Arbeit aus Sicht der Fachkräfte deutlich steigen. Es verwundert, dass Gesundheitsminister Lauterbach das Bürokratie-Problem noch immer nicht angegangen ist.“ Für Gaß ist das Gegenteil der Fall. Die Gesetzentwürfe führten zu noch mehr Bürokratie im Krankenhaus. Aus dem Gesundheitsministerium seien bislang keine substanziellen Vorschläge zur Entbürokratisierung gekommen. Mit Blick auf die geplante Krankenhausreform befürchtet Gaß, dass die Bürokratielast für die Beschäftigen „sogar weiter steigt.“ Überbordende Bürokratie demotiviert Die extreme Bürokratie vermindert der Umfrage zufolge auch die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nahezu 100 Prozent der Beschäftigten der Allgemeinkrankenhäuser kritisieren den Dokumentationsaufwand sehr oft (77 %) oder oft (22 %). Kliniken befürchten, dass diese Bürokratiebelastung dazu führt, dass sich weniger Fachkräfte bewerben. Dies betrifft nicht nur die Allgemeinkrankenhäuser, sondern in fast demselben Maß auch die Psychiatrien. Ähnliche Resultate ergaben jüngste Umfragen der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz. Deren Vizepräsidentin Andrea Bergsträßer erläuterte dazu: „Die unnötige Bürokratie führt nicht nur zu einem enormen Motivationsproblem, sondern lässt auch einen Teil der Pflegenden ernsthaft über einen Ausstieg aus dem Beruf nachdenken. In einer Zeit des Fachkräftemangels darf der Verwaltungsaufwand nicht die Lust auf die eigentliche Profession verderben.“ Der Pflegerische Bereichsleiter für Anästhesie und Intensivmedizin des Waldkrankenhauses Berlin-Spandau, Denny Götze erklärte: „Der dringend notwendige Bürokratieabbau erfordert vor allem deutlich mehr Vertrauen zwischen den Leistungserbringern und den Kostenträgern. Ständige Prüfungen und Kontrollen zu Qualitätssicherungsrichtlinien, Strukturvorgaben sowie Einzelfällen führen dazu, dass man eine Vielzahl von Daten erhebt und dokumentieren lässt, die mit der direkten Patientenversorgung nicht in Verbindung stehen und keinerlei Auswirkung auf den Behandlungserfolg haben. Die Mitarbeiter belastet dies nicht nur, es frustriert und demotiviert auch in hohem Maße. Der Gesetzgeber muss die Vorgaben auch auf negative Folgen für die Klinik-Beschäftigten überprüfen.“ Als Beispiel nennt Götze die Richtlinie zur minimalinvasiven Herzklappeninterventionen, die fordert, dass in jeder Schicht mindestens eine Pflegekraft mit Fachweiterbildung in Intensivpflege/Anästhesie eingesetzt ist. Unter dem ohnehin bestehenden Fachkräftemangel belaste das die Kolleginnen und Kollegen noch einmal zusätzlich und schränke sie zum Beispiel bei der Dienst- und Urlaubsplanung spürbar ein, so Götze weiter. Er hob hervor: „In der Folge sinkt die Bereitschaft, sich überhaupt in diese Fachrichtung weiterbilden zu lassen, oder die Kolleginnen und Kollegen wandern in die Zeitarbeit ab. Hier und in vielen anderen Bereichen besteht dringender Handlungsbedarf.“ DKG: 55 konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau „Die Verantwortlichen in den Krankenhäusern haben konkrete Vorschläge zur Entbürokratisierung formuliert. Wir haben fünf übergeordnete Kernanliegen. Die Nachweispflichten müssen grundlegend reduziert werden. Die Gesetzgebung muss sich einer realistischen Bürokratiefolgenabschätzung unterziehen. Wir brauchen zudem ausreichende Umsetzungsfristen, Normgebung und Normumsetzung müssen klar getrennt werden. Nicht zuletzt müssen wir die Digitalisierung vorantreiben, denn sie kann ein zentraler Punkt sein, um Bürokratielasten zu vermindern“, sagte Prof. Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DKG. „Wir haben der Politik 55 ganz konkrete Vorschläge zum Abbau von Bürokratie unterbreitet. Bei den Prüfungen des Medizinischen Dienstes überschneiden sich immer wieder Strukturprüfung und Qualitätskontrolle“, so Neumeyer weiter. Alleine bei der Strukturprüfung umfasse die Richtlinie der Prüfversion des medizinischen Dienstes 497 Seiten, der Begutachtungsleitfaden zu der Richtlinie noch einmal 90 Seiten. Solche Prüfungen müssten vereinfacht und ihre Gültigkeit verlängert werden. Als anderes Beispiel nannte die stellvertretende DKG-Vorstandsvorsitzende die Verfahren zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) und dass von allen Häusern einzeln. „Jahr für Jahr müssen immer wieder die gleichen Anträge gestellt werden. Diese immer wiederkehrenden völlig überflüssigen Antragspflichten müssen abgeschafft und die Anträge vereinfacht werden,“ so Neumeyer. DKG befürchtet zusätzliche Belastung durch Krankenhausreform Den Krankenhäusern steht aber neben den schon bestehenden Bürokratielasten nach Einschätzung der DKG „neues Ungemach“ ins Haus. Der Minister habe die minutengenaue Dokumentation und Zuordnung von ärztlichen Leistungen zu jeder Leistungsgruppe beschlossen. Gaß erklärte dazu: „Das bedeutet, dass jeder Arzt und jede Ärztin zukünftig genau angeben müssen, wie viel Zeit pro Tag welcher Leistungsgruppe zugeordnet ist. Da aber Leistungsgruppe nicht gleich Abteilung ist, kann alleine schon bei einer Visite in einem Zimmer mit drei Patienten die aufgewendete Zeit verschiedenen Leistungsgruppen zugeordnet werden. Alleine diesen Wahnsinn muss man umgehend stoppen.“ Eine derartige Dokumentationspflicht trage nichts zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung bei, sie bedeute zusätzliche Bürokratie und frustriere die Ärztinnen und Ärzte. Flächendeckend protestierten die betroffenen Medizinerinnen und Mediziner bereits gegen diesen unsinnigen Mehraufwand, so Gaß weiter. Er wirft Gesundheitsminister Karl Lauterbach vor, mit diesen neuen Dokumentationspflichten die Bürokratie zu verschärfen – entgegen seiner Ankündigungen. (DKG/ja)
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