Umfrage unter Intensivmedizinern zeigt, dass Mehrheit für Widerspruchslösung ist22. Oktober 2019 Uwe Janssens, Past-Präsident der DIVI. Foto: © Thomas Weiland/DIVI Zwei konkurrierende Gesetzesentwürfe zur Neuregelung der Organ- und Gewebespende werden derzeit im Bundestag diskutiert – bisher ohne Intensivmediziner anzuhören. „Hier müssen aber unbedingt Experten zu Wort kommen dürfen, die sowohl bei der Spendererkennung, aber vor allem in sämtliche Prozesse zur Realisierung einer Organspende verantwortlich eingebunden sind!“, befindet Professor Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler. Er hat deshalb eine Blitzumfrage unter seinen mehr als 2.800 Mitgliedern durchgeführt: mehrheitlich Ärzte, Pfleger, Therapeuten oder auch Seelsorger. „Wir wollten die Meinung der Menschen in Erfahrung bringen, die sich tagtäglich mit kritisch Kranken beschäftigen und unmittelbar in eine mögliche Organ- oder Gewebespende involviert sind.“ Favorisieren sie eher die aktuelle gültige Entscheidungslösung? Die doppelte Widerspruchslösung? Eine Stärkung der Entscheidungsbereitschaft? Das Ergebnis ist nicht eindeutig. Aber immerhin zwei Drittel der Intensivmediziner sprechen sich für die viel diskutierte Widerspruchslösung aus. Die Entnahme von Organen und Gewebe in Deutschland soll nach Willen der Politik neu geregelt werden. Angesichts der seit Jahren niedrigen Spenderzahlen soll sich die gesetzliche Grundlage so bald wie möglich verändern. Statt einer aktiven Zustimmung zur Entnahme favorisiert Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Entwurf der doppelten Widerspruchslösung. Demnach gilt jeder Bürger als möglicher Organ- und Gewebespender, der zu Lebzeiten keinen Widerspruch erklärt hat. Wenn ebenfalls den nächsten Angehörigen kein entgegenstehender Wille bekannt ist, gilt die Entnahme als zulässig. Eine andere Gruppe, rund um die Grünenvorsitzende Annalena Baerbock, strebt mit ihrem Gesetzentwurf eine Stärkung der Entscheidungsbereitschaft an. Ein Online-Register soll Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben, ihre Entscheidung einfach zu dokumentieren, jederzeit zu ändern oder zu widerrufen. Die Debatte ist also entbrannt. Am 25. September fand im Gesundheitsausschuss eine erste öffentliche Anhörung zu beiden Gesetzesvorlagen statt. „Zu dieser Anhörung waren leider keine Experten der Intensivmedizin eingeladen“, sagt DIVI-Präsident Uwe Janssens. Die DIVI hat dies zum Anlass genommen, eine Online-Umfrage unter allen Mitgliedern der Fachgesellschaft durchzuführen. Die Blitzumfrage wurde am 1. Oktober gestartet und am 9. Oktober geschlossen. Mehrheit votierte mit 63,6% für die Widerspruchslösung Das Ergebnis ist repräsentativ. Von 2.433 erreichten Mitgliedern nahmen 1.299 an der Umfrage teil. „Ein sensationelles Ergebnis mit einer Beteiligung von 51,2%“, betont Janssens. „Das zeigt, wie wichtig diese Debatte ist und wie differenziert sie geführt werden sollte!“ Denn: Die Mehrheit votierte mit 37,5% für die (einfache) Widerspruchslösung und 26,1% für die doppelte Widerspruchslösung. Zusammen also 63,6 % – knapp zwei Drittel aller Befragten. Für Janssens, der seit vielen Jahren die Sektion Ethik der DIVI als Sprecher leitet, ist es wichtig, genau hinzuschauen. „Wenn zwei Drittel sich für diese Regelung aussprechen, heißt das auch, dass ein Drittel eine andere Regelung für geeigneter hält.“ So votierten 13,2% der Befragten für die Beibehaltung der derzeitigen Entscheidungslösung und 20,2% für die Stärkung der Entscheidungsbereitschaft. Professor Klaus Hahnenkamp, Sprecher der Sektion Organspende und Organtransplantation wertet dieses Ergebnis als repräsentativ: „Auch in unserer Sektion sprechen sich nicht alle Experten für die (doppelte) Widerspruchslösung aus.“ Bei dieser Gewissensfrage kann es keine eindeutige Meinung und Haltung geben: Hier müssen auch unterschiedliche Sichtweisen zugelassen und akzeptiert werden. Wer beteiligte sich an der Umfrage? Die DIVI stellte in ihrer Umfrage nur eine einzige Frage – die, welcher Regelung zur Organspende man zustimme. Um die Ergebnisse aber besser interpretieren zu können, wurden zusätzliche Daten der Mitglieder anonymisiert erhoben: Das mittlere Alter der Befragten liegt bei 47 Jahren, nur knapp 30% sind weiblich. Beinahe 70% sind Arzt mit Facharztstatus und besitzen überwiegend die Zusatzbezeichnung Intensivmedizin. Jeder vierte Teilnehmer arbeitet im Pflegebereich. Nur knapp 5% stammen aus dem Rettungsdienst, der Physiotherapie oder der Seelsorge. Wichtig zur Bewertung der Ergebnisse ist vor allem die langjährige Berufserfahrung vieler Teilnehmer: Mehr als die Hälfte der DIVI-Befragten arbeitet seit über 20 Jahren in der Intensivmedizin. „Das ist viel Zeit, um sich Gedanken über richtig und falsch, ethisch vertretbar oder nicht hinnehmbar zu machen“, so Präsident Janssens. Die Ergebnisse dieser Umfrage werden jetzt den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses zusammen mit einer differenzierten Stellungnahme der DIVI übergeben, die Professor Hahnenkamp gemeinsam mit Janssens und in Abstimmung mit dem Präsidium der DIVI erarbeitet hat. Die genauen Umfrageergebnisse: 2.809 Mitglieder angeschrieben 2.433 Mitglieder erreicht 1.299 Mitglieder geantwortet → Beteiligung von 51,2% mittleres Alter 47 Jahre 26,1% weiblich 73,9% männlich 68,6% Ärzte (Großteil Oberärzte) 24,9% Pfleger 2,7% Rettungsdienst 1,5% Physiotherapie 0,1% Seelsorge 2,3 % Sonstige 92,5% der befragten Ärzte verfügten über einen Facharztstatus und 72,2% über die Zusatzbezeichnung Intensivmedizin Gestellt wurde die Frage: „Welcher Regelung zur Organspende stimmen Sie zu?“ + Entscheidungslösung (aktuelle Regelung) + Widerspruchslösung + doppelte Widerspruchslösung (Vorschlag von Jens Spahn) + Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft (Vorschlag einer Abgeordnetengruppe um Annalena Baerbock) + Ich bin mir unsicher 13,2% votierten für die derzeitige Entscheidungslösung 37,5% für die Widerspruchslösung 26,0% für die doppelte Widerspruchslösung 20,2% für die Stärkung der Entscheidungsbereitschaft 3,1% waren sich unsicher
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