Umgehung des Komplementsystems: SARS-CoV-2 bindet notwendige Proteine

Darstellung von SARS-CoV-2. (Abbildung: nsit0108/stock.adobe.com; KI-generiert)

Österreichische Wissenschaftler haben herausgefunden, wie SARS-CoV-2-Viren dem Komplementsystem gezielt entkommt: Es „stiehlt“ Proteine. Dies hat nicht nur Folgen für den akuten Verlauf einer Infektion, sondern auch für langanhaltende Komplikationen.

Aktiviert durch drei verschiedene Wege, spielt das Komplementsystem – eine Kaskade von Proteinen, die vor allem im Blutkreislauf und an Schleimhäuten, wie den Atemwegen, zu finden ist – eine wichtige Rolle bei der Eliminierung von Viren: Es fördert die Lyse der Erreger. Wirtszellen werden durch Komplement-regulatorische Proteine vor den Auswirkungen des Komplementsystems geschützt. Eine neue Studie zeigt nun, dass sich SARS-CoV-2-Viren drei dieser regulatorischen Proteine – CD55, CD59 und Faktor H – zunutze machen, um erfolgreich der komplementvermittelten Lyse zu entgehen.

Komplementresistenz durch Umhüllung mit Wirtsproteinen

Bei der Kultivierung von SARS-CoV-2-Viren in menschlichen Zellen entdeckten Dr. Anna Ohradanova-Repic und Kollegen vom Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der Medizinischen Universität (MedUni) Wien in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Prof. Heribert Stoiber vom Institut für Virologie der MedUni Innsbruck (beide Österreich), dass die Viruspartikel die zellulären Proteine CD55 und CD59 aufnehmen. Außerdem fanden sie heraus, dass SARS-CoV-2-Viren auch das vor allem im Blut vorkommende Komplement-regulatorische Protein Faktor H an ihre Oberfläche binden. In weiteren Experimenten konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sich die mit Komplement-regulatorischen Proteinen umhüllten Viruspartikel nicht vom Komplementsystem zerstören ließen. Durch das Entfernen von CD55, CD59 und Faktor H von der Virusoberfläche oder die Hemmung ihrer Funktionen konnte die komplementvermittelte Lyse der Viren gezielt wiederhergestellt werden.

Verminderte Eliminierung des Virus

„Durch die Umhüllung mit diesen Wirtsproteinen kann SARS-CoV-2 alle drei Wege der Komplementaktivierung umgehen, was eine reduzierte oder verzögerte Viruselimination zur Folge hat“, erklärt Studienleiterin Ohradanova-Repic. Da das Komplementsystem engmaschig mit anderen Komponenten des Immunsystems verknüpft ist, beeinflusst dies aber nicht nur die Zerstörung von Viruspartikeln, sondern kann auch starke Entzündungen verursachen, die sowohl bei schweren COVID-19-Infektionen als auch bei Long-COVID eine problematische Rolle spielen. „Die Aufdeckung solcher Resistenzmechanismen, die es den Viren ermöglichen, über längere Zeit im Wirt zu verweilen, kann uns helfen akute Komplikationen und Langzeitfolgen von SARS-CoV-2-Infektionen besser zu verstehen“, berichtet Laura Gebetsberger von der MedUni Wien, die Erstautorin der Studie.