UN-Behindertenrechtskonvention: Tägliche Probleme der Diabetologie laut DDG nicht ausreichend berücksichtigt

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Bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wurden die in der Diabetologie täglich auflaufenden Probleme bei Menschen mit Behinderung oder geriatrischen Patienten nicht ausreichend berücksichtigt, so die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG).

2011 hat die Bundesregierung einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung ins Leben gerufen. Schaut man sich den Statusbericht 2023 an, werde recht schnell klar, dass wir bei der Umsetzung der Konvention bisher nicht bei den in der Diabetologie täglich auflaufenden Problemen angekommen sind, betonte Dr. Dorothea Reichert am 14. November auf der Vorab-Pressekonferenz (online) zur Diabetes Herbsttagung der DDG.

Inklusion im Gesundheitsbereich

„An dieser Stelle gehe ich bewusst nur auf die Inklusion im Gesundheitsbereich ein, da in diesem Bereich die oft fehlende Inklusion von Menschen mit Behinderung sowie geriatrischen Patienten, insbesondere bei Menschen mit Typ-1-Diabetes, zu lebensbedrohlichen Situationen führen kann, aber auch Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 können betroffen sein“, so Reichert.

Bei der Behandlung des Typ-1-Diabetes ist die intensivierte Insulintherapie Therapie der Wahl. Das bedeutet, dass neben der gesicherten Zufuhr des Basisinsulins, sei es durch kontinuierliche Insulinabgabe mittels Pumpe oder einmaliger Gabe eines Langzeitinsulins, zu jeder Mahlzeit Insulin berechnet für die geplante Kohlenhydratmenge gegeben werden muss. Können Menschen mit Diabetes Typ 1 diese Aufgabe nicht oder nicht mehr übernehmen, geraten sie ganz leicht in lebensbedrohliche Situationen, weil der zeitliche Zusammenhang sowie die korrekte Berechnung nicht eingehalten werden, was zu erheblichen Unter- beziehungsweise Überzuckerungen führen kann, erklärt die Diabetologin.

Daneben erfolge häufig selbst in Krankenhäusern die lebensnotwendige Gabe des Basisinsulins nicht, die Insulinpumpe werde einfach abgenommen, was zu lebensbedrohlichen Ketoazidosen führt, sagt sie weiter. „Hier können nur die Schulung und Weiterbildung von Betreuungs- und/oder Pflegepersonal weiterhelfen, in Krankenhäusern sind zwingend Diabetesteams mit ausreichender Qualifizierung, aber auch Manpower zu fordern“, sagt Reichert.

Teilweise Ausschluss vom technischen Fortschritt

Ein mindestens genauso erhebliches Problem bei der Inklusion sei der Ausschluss von Menschen mit Behinderung oder geriatrischen Patienten vom technischen Fortschritt, der gerade für Menschen mit Typ-1-Diabetes zu einer erheblichen Verbesserung ihrer gesundheitlichen Situation führt. Insbesondere die Einführung der Sensoren zur kontinuierlichen Zuckermessung habe zu einem erheblichen Fortschritt in der Therapie, verbunden mit einer deutlichen Steigerung der persönlichen Sicherheit durch die Warnung vor Unterzuckerungen mittels der Sensoren geführt. Gerade die Kombination von Sensoren mit Insulinpumpen und die Einführung von Programmen, Apps, zur automatisierten Insulindosierung machen für viele Patienten erstmals eine zufriedenstellende Stoffwechselführung möglich, betont Reichert.

Es gibt jedoch weder barrierefreie Glukosesensoren noch barrierefreie Insulinpumpen, beklagt die Diabetologin. Die Systeme würden häufig ein erhebliches Maß an digitalem Grundverständnis fordern, Menschen mit ausgeprägter Sehbehinderung seien daher von vornherein ausgeschlossen.

Selbst der G-BA trage hier zur Exklusion von Menschen mit Behinderung bei. „Im Beschluss zur Sensornutzung zu Lasten des GKVs fordert der G-BA, dass nur Patienten, die den Zeitpunkt und die Zusammensetzung der Mahlzeit selbst frei festlegen und dementsprechend die Dosierung des Mahlzeiteninsulins anhand der Menge der aufzunehmenden Kohlenhydrate und der Höhe des präprandialen Blutzuckerspiegels steuern, ein Anrecht auf die Kostenübernahme haben. Dabei wird jedoch nicht sichergestellt, dass die betroffenen Menschen eine Betreuung haben, die diese Aufgabe für sie übernimmt, und sie somit Zugang zur medizinischen Versorgung entsprechend dem aktuellen medizinischen Fortschritt haben. Das führt insbesondere bei Menschen mit Pflegebedarf dazu, dass sie die für sie teils so wichtige Möglichkeit zum Schutz vor schweren Hypoglykämien nicht erhalten“, sagt sie.

Tägliches Diabetesmanagements herausfordernd

Ganz besonders betroffen seien auch Menschen mit psychischen Behinderungen sowie zum Beispiel ADHs auch in milderen Formen: „Behinderungen in diesem Bereich führen häufig dazu, dass Betroffene die vom Medizinischen Dienst geforderten Dokumentationen zu ihrem Alltag mit Erfassung von Essen, Zuckerhöhe, Insulinmenge, aber auch Faktoren wie Sport etc. nicht in der geforderten Qualität vorlegen können und damit oft von denen für sie gerade so hilfreichen automatisierten AID-Systemen, die ja gerade zur Entlastung des alltäglichen Diabetesmanagements führen, ausgeschlossen bleiben“, betont die Diabetologin.

Fort- und Weiterbildungen gefordert

Hier sei der Gesetzgeber gefordert, Lösungen zu finden, sei es durch die Verpflichtung zum Bereitstellen von Hilfsmitteln, Wege zur Barrierefreiheit zu finden, zum Beispiel Sprachausgabe an Handys oder Ähnliches, aber auch in einer Überprüfung und Korrektur der Anforderungen, die an Menschen mit Behinderung oder im Bereich der Geriatrie gestellt werden, um nicht vom medizinischen Fortschritt ausgeschlossen zu werden, so Reichert.

Und im Bereich der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung beziehungsweise geriatrischen Patienten müsse sichergestellt werden, dass durch Fort- und Weiterbildung die den Pflegenden anvertrauten Menschen nach dem Stand der Wissenschaft behandelt werden können, sagt Reichert abschließend.