Unter dem Radar: Molekulare Tarnkappe für CRISPR/Cas921. November 2025 Ein Art molekulare Tarnkappe für CRISPR/Cas9 könnte bislang verborgene Signalwege in der Krebs- und Metastasenentstehung aufdecken. Quelle: Saini M et al., Cell 2025 Die bakteriellen Komponenten von CRISPR/Cas9 lösen eine Immunreaktion aus − und könnten die Ergebnisse von CRISPR-Screens in Mausmodellen verzerren. Forschende der ETH Zürich haben eine vor dem Immunsystem getarnte Genschere entwickelt und damit Faktoren identifiziert, welche die Entstehung von Metastasen fördern. Mit der CRISPR/Cas9-Technologie können Forschende rasch einen Pool von hunderten von Tumorzellen herstellen, in denen jeweils ein anderes Gen ausgeschaltet ist. In Mäuse transplantiert zeigt sich dann, welches dieser stumm geschalteten Gene die Entstehung und Ausbreitung von Krebs beeinflusst. Mithilfe solcher CRISPR-Screens können Wissenschaftler:innen wertvolle Ansätze für die Entwicklung von neuen Therapien identifizieren. Der Haken: Der bakterielle Ursprung von CRISPR/Cas9. Manche Bestandteile werden deshalb vom Immunsystem der Mäuse als fremd erkannt und bekämpft. Forschende vermuten, dass diese Reaktion die Resultate bei CRISPR-Screens verzerrt. Die Forschungsgruppe von Nicola Aceto, Professor für Molekulare Onkologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich (Schweiz), hat nun detailliert nachgewiesen, dass dies tatsächlich der Fall ist. Gleichzeitig präsentiert das Team eine elegante Lösung für das Problem − eine Art molekulare Tarnkappe. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Cell“ veröffentlicht. Bakterielle Komponenten stören Zunächst untersuchten die Forschenden in gut charakterisierten Mausmodellen für verschiedene Krebsarten, welchen Effekt die bakteriellen Bestandteile von CRISPR/Cas9 auf die Bildung von Tumoren und Metastasen haben. Dabei zeigte sich, dass in Mäuse implantierte Tumorzellen in Anwesenheit von CRISPR/Cas9-Komponenten öfter abgestoßen wurden und genetisch weniger variabel waren. Zudem bildeten sich auch weniger Metastasen. Die Reaktion des Immunsystems verhinderte demnach den normalen Verlauf der Krebserkrankung in den Tiermodellen. „Wir waren überrascht, wie stark dies die Ergebnisse von CRISPR-Screens verfälschen kann“, sagt Massimo Saini, Erstautor der Studie und ETH-Pioneer-Fellow in Acetos Gruppe. StealTHY: Tarnkappe für Screens Deswegen hat das Team nun eine alternative Methode für CRISPR/Cas9-Screens entwickelt, die praktisch keine Immunreaktion auslöst. Hierfür setzten die Forschenden die Tumorzellen zum einen nur vorübergehend der bakteriellen Genschere Cas9 aus. Zum anderen entwickelten sie eine Methode, mit der sie nur die Tumorzellen isolierten, bei denen ein Gen erfolgreich stummgeschaltet war. Diese enthielten kein Cas9 mehr und auch keine anderen Elemente, die eine Immunantwort auslösen könnten. Außerdem tauschten sie die Reportergene aus. Das Produkt dieser Gene ermöglicht den Forschenden, modifizierte Tumorzellen in den Mäusen nachzuverfolgen. Statt der klassischen Reportergene, die aus diversen Organismen stammen, kommt jetzt ein Gen zum Einsatz, dessen Produkt sich nur minimal von einem körpereigenen Protein der Mäuse unterscheidet – und fliegt quasi unter dem Radar. „Wir haben eine Methode entwickelt, um CRISPR-Screens in Mäusen mit intaktem Immunsystem durchzuführen – ohne unerwünschte Nebeneffekte“, bilanziert Aceto. Das System sei vielseitig einsetzbar, auch in humanisierten Mäusen. „Das ist so nahe am Krebspatienten wie es nur geht“, ergänzt der Krebsforscher. Die neue CRISPR-Plattform mit dem Namen StealTHY eigne sich aber auch für Anwendungen in der personalisierten Medizin oder zur Erforschung von Autoimmunerkrankungen. „Mit diesem System erreichen wir ein neues Maß an Genauigkeit und können, – das ist für uns besonders wichtig – neue Angriffspunkte für Therapien entdecken“, sagt Saini. Übersehene Gene für Metastasenbildung aufgedeckt Mit StealTHY hat das Team bereits einen CRISPR-Screen durchgeführt und einen erfolgversprechenden Treffer gelandet: Die Stummschaltung zweier Gene namens AMH und AMHR2 reduzierte die Zahl an Metastasen in einem Mausmodell für Brustkrebs drastisch. Weiterführende Untersuchungen zeigten, dass der Signalweg, in den diese beiden Gene involviert sind, klinisch relevant ist. So ergab beispielsweise die Auswertung von Patientinnen-Daten, dass viel AMH im Tumor mit mehr Rückfällen und größerer Sterblichkeit bei Brustkrebs einhergeht. Das Genpaar AMH/AMHR2 ist somit ein neuer Ansatz für die Bekämpfung von Metastasen. „Die Bedeutung dieses Signalwegs wurde unterschätzt“, sagt Aceto. „Mit CRISPR im Tarnkappenmodus können wir jetzt Zusammenhänge aufdecken, die bisher verborgen waren.“
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