Unterstützung für das Leben nach der Intensivstation

Intensivmedizin ist Teamarbeit (v.l.n.r.): Krankenpflegerin Pia Lehmeyer, Assistenzärztin Dr. Lysann Schulz, Facharzt Robert Scharm und Prof. Sirak Petros, Leiter Interdisziplinäre Internistische Intensivmedizin, am Bett eines Patienten. (Bild: UKL/Rico Thumser)

Als eine von wenigen Kliniken in Deutschland bietet die Interdisziplinäre Internistische Intensivmedizin am Universitätsklinikum Leipzig (UKL) jetzt eine spezialisierte Nachsorgeambulanz an. Diese soll Betroffene bei der Bewältigung verbleibender Folgen der Intensivtherapie unterstützen.

Auf einer Intensivstation kämpft ein spezialisiertes Team gemeinsam mit vielen Experten anderer Fachgebiete in einem hochtechnisierten Umfeld um das Leben schwerstkranker Menschen. Dazu gehört der Einsatz von Maschinen, die Körperfunktionen wie das Atmen teilweise oder ganz übernehmen, Organe ersetzen und unterstützen. Oft können so Leben gerettet werden. Dennoch bleibt für die Patient:innen die Zeit auf der Intensivstation meistens nicht ohne Folgen.

So zeigen bis zu zwei Drittel der Überlebenden auch drei Monate nach Entlassung Symptome des Post-Intensive-Care-Syndrom (PICS), welche die Lebensqualität relevant einschränken können. Nach einem Jahr sind mehr als die Hälfte der Überlebenden noch nicht beschwerdefrei. An diese Betroffenen richtet sich die neue Ambulanz.

Vielfältige Spätfolgen intensivmedizinischer Maßnahmen

Das Post-Intensive-Care-Syndrom umfasst viele sehr unterschiedliche Beschwerden – körperliche ebenso wie kognitive und psychische. Diese reichen von Muskelschwäche und Bewegungseinschränkungen über Schluckbeschwerden, Störungen der Lungenfunktion sowie Gedächtnisproblemen und einer reduzierten mentalen Geschwindigkeit bis zu Angststörungen, Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen.

Auslöser sind nicht nur die eigentliche Krankheit, sondern Nebeneffekte intensivmedizinischer Maßnahmen und Umgebung. So rettet beispielsweise die künstliche Beatmung zwar Leben, kann aber auch zu belastenden Problemen wie verbleibenden Schluckstörungen führen. Ebenso sind die auf Intensivstationen allgegenwärtigen Überwachungsmonitore nötig, um Auffälligkeiten der Körperfunktionen zu melden, schaffen aber für die Patienten ein dauerhaft geräusch- und lichtintensives Umfeld.

Patienten bleiben mit den Nachwirkungen oft allein

„Einerseits wissen wir über die möglichen Folgen unserer Therapien immer noch zu wenig, andererseits wollen wir unsere Patientinnen und Patienten nach überstandener Krankheit mit diesen nicht allein lassen“, erklärt Robert Scharm, einer der verantwortlichen Intensivmediziner. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat die Interdisziplinäre Internistische Intensivmedizin am Universitätsklinikum Leipzig eine Nachsorge-Ambulanz für Intensivpatienten ins Leben gerufen – eine von bisher sehr wenigen in ganz Deutschland.

„Wir wollen unterstützende Angebote zur Verfügung stellen und weiterentwickeln, um diese Einschränkungen positiv zu beeinflussen. Ebenso müssen wir die Intensivmedizin weiter verbessern, um PICS zu vermeiden“, so Scharm. „Bisher gibt es hier eine Lücke in der Versorgung“, ergänzt Prof. Sirak Petros, Leiter der Interdisziplinären Internistischen Intensivmedizin. „Nach kraftzehrender Intensivtherapie schaffen es viele unserer Patienten, wieder nach Hause entlassen zu werden. Doch dort bleiben sie mit den Nachwirkungen unserer Medizin oft allein.“ Hausärzte und andere ambulant tätige Kollegen sind oft schon mit der Erkennung und Zuordnung der Beschwerden nicht ausreichend vertraut.

Folgebeschwerden künftig verhindern

Hier setzt die neue Ambulanz an. „Unsere Aufgabe sehen wir darin, zu erfassen, welche Beschwerden verblieben sind und wo es Unterstützung bedarf“, so Scharm. Die Betroffenen werden dafür über einen Zeitraum von mindestens sechs bis zwölf Monaten begleitet, künftig vielleicht auch länger. „Das Ziel ist es, noch besser zu verstehen, wie es unseren Patientinnen und Patienten nach der Zeit auf der Intensivstation geht, und auch zu lernen, was wir verändern können, damit künftig bestimmte Folgebeschwerden gar nicht oder deutlich seltener auftreten“, so die Intensivmediziner. Zudem sollen neue Angebote entwickelt werden, welche direkt am UKL wahrgenommen werden können. Auch die Anbindung einer Selbsthilfegruppe gehört dazu.

Im Idealfall kann die Ambulanz künftig weiter ausgebaut werden, sodass hier auch auf Unterstützung aus der Physiotherapie, Logopädie und Psychologie sowie der Klinikapotheke zurückgegriffen werden kann. Und tatsächlich wäre auch eine Ausweitung des Angebots auf Angehörige sinnvoll. Scharm: „Auch sie können gerade psychische Symptome als Folge der Belastungssituation entwickeln.“ Diesem Aspekt versucht die Interdisziplinäre  Internistische Intensivmedizin mit ihrem familienzentrierten Ansatz bereits jetzt zu begegnen. Der Bedarf ist da – monatlich werden allein in der Interdisziplinären Internistischen Intensivmedizin, nur einer von mehreren intensivmedizinischen Abteilungen am UKL, 140 Patienten behandelt. Insgesamt werden am Universitätsklinikum Leipzig monatlich circa 580 Erwachsene und Kinder auf in Summe sechs Intensivstationen versorgt.

Überweisung durch den Hausarzt erforderlich

Die neue Sprechstunde „LIVe! – Leben nach intensivmedizinischer Versorgung“ ist zunächst ein Angebot an Patienten der Interdisziplinären Internistischen Intensivmedizin des UKL. Eine Terminanfrage ist möglich via Mail an [email protected] oder telefonisch unter 0341-9712700. Für die Wahrnehmung des Termins ist eine Überweisung durch den Hausarzt erforderlich.