Update der europäischen Hypertonie-Leitlinie: Strengere Zielwerte und neue Kategorie „Erhöhter Blutdruck“ eingeführt2. September 2024 Symbolbild: ©lesterman/stock.adobe.com Die Hypertonie-Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) wurde um die neue Kategorie „Erhöhter Blutdruck“ ergänzt. Außerdem legt sie ambitioniertere Behandlungsziele fest und empfiehlt erstmals den Einsatz der renalen Denervierung zur Hypertonie-Behandlung. Die Leitlinie wurde von einem internationalen Expertengremium erarbeitet und auf dem diesjährigen ESC-Kongress in London (Großbritannien) vorgestellt. Der ESC zufolge zielt die neue Leitlinie darauf ab, mehr Patienten auf ein evidenzbasiertes Blutdruckbehandlungsziel zu bringen und die Voraussetzungen für blutdrucksenkende Medikamente so zu verbessern, dass sie den besten aktuellen Erkenntnissen aus klinischen Studien entsprechen. Die ESC-Leitlinie enthält weiterhin zahlreiche pragmatische Empfehlungen, um zu vermeiden, dass Patienten aufgrund einer Überbehandlung symptomatisch werden. „Erhöhter Blutdruck“ als neue Kategorie In der Leitlinie 2024 wird die bestehende Definition für „Hypertonie“ als Blutdruck ≥140/90 mmHg beibehalten. Es wird jedoch eine neue Kategorie „Erhöhter Blutdruck“ eingeführt, die als Blutdruck 120–139/70–89 mmHg definiert ist. Diese neue Kategorie wird laut ESC eingeführt, um die Entscheidung für eine intensivere Blutdruckbehandlung bei Personen mit erhöhtem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erleichtern. „Diese neue Kategorie des erhöhten Blutdrucks trägt der Tatsache Rechnung, dass Menschen nicht von heute auf morgen von normalem Blutdruck zu Bluthochdruck wechseln“, sagt Prof. Bill McEvoy von der Universität Galway (Irland), Co-Vorsitzender des für die Leitlinie verantwortlichen Expertengremiums. „In den meisten Fällen handelt es sich um eine stetige Veränderung, und verschiedene Untergruppen von Patienten – z. B. solche mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Diabetiker – könnten von einer intensiveren Behandlung profitieren, bevor ihr Blutdruck den traditionellen Schwellenwert für Bluthochdruck erreicht.“ Außerdem, fügt Prof. Rhian Touyz von der McGill-Universität (Kanada), ebenfalls Co-Vorsitzender der Leitlinie, hinzu: „Die mit einem erhöhten Blutdruck verbundenen Risiken beginnen bereits bei systolischen Blutdruckwerten <120 mmHg.“ Festlegung niedrigerer Blutdruckzielwerte Eine weitere wichtige Änderung der ESC-Hypertonie-Leitlinie 2024 ist die Einführung eines neuen Zielbereichs für den systolischen Blutdruck von 120–129 mmHg für die meisten Patienten, die blutdrucksenkende Medikamente erhalten. Für gebrechliche und ältere Menschen sowie Patienten, die den primären Behandlungszielwert von 120–129 mmHg nicht vertragen, enthält sie aber auch pragmatische Empfehlungen für einen systolischen Blutdruckzielwert, der „so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar“ ist („as low as reasonably achievable“, auch bekannt als ALARA-Prinzip). Dabei konzentriert sich die Leitlinie mehr auf die Gebrechlichkeit des Einzelnen als auf das chronologische Alter. Dieses neue Behandlungsziel von 120–129 mmHg für den systolischen Blutdruck stellt einen Paradigmenwechsel gegenüber früheren europäischen Leitlinien dar, darunter die ESC/ESH(European Society of Hypertension)-Hypertonie-Leitlinie 2018, die ESC-Präventionsleitlinie 2021 und die ESH-Hypertonie-Leitlinie 2023. Die früheren Leitlinien empfahlen im Allgemeinen, Patienten zunächst auf einen Blutdruck <140/90 mmHg zu behandeln und erst danach eine Behandlung auf <130/80 mmHg in Betracht zu ziehen (ein 2-stufiger Ansatz). Im Gesensatz dazu empfiehlt die Leitlinie von 2024, dass die meisten Patienten von vornherein auf einen systolischen Blutdruck von 120–129 mmHg eingestellt werden sollten – mit der Möglichkeit der Lockerung für jene, die dieses Ziel nicht vertragen. „Diese Änderung beruht auf neuen Studienergebnissen, die bestätigen, dass eine intensivere Blutdruckbehandlung bei einem breiten Spektrum von Patienten, die dafür in Frage kommen, die Folgen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringert“, sagt McEvoy. Um diesem neuen, intensiveren Zielbereich für die Behandlung des systolischen Blutdrucks Rechnung zu tragen, hat man sich in der ESC-Leitlinie 2024 auf strengere Empfehlungen für die Verwendung von Blutdruckmessungen außerhalb der Arztpraxis (einschließlich ambulanter Blutdruckmessgeräte und validierter Blutdruckmessgeräte für zu Hause) geeinigt. Erstmals Empfehlung der renalen Denervierung Die ESC-Leitlinie 2024 beinhaltet auch erstmals Empfehlungen für den Einsatz der renalen Denervierung (RDN) zur Behandlung von Bluthochdruck. Aufgrund fehlender Belege für den Nutzen für das kardiovaskuläre System empfiehlt die Leitlinie dieses medizinische Verfahren nicht als Erstbehandlung und auch nicht für Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR <40 ml/min/1,73 m2) oder sekundären Ursachen des Bluthochdrucks. Zur RDN heißt es in der Leitlinie: „Zur Senkung des Blutdrucks kann eine kathetergestützte RDN bei Patienten mit resistenter Hypertonie in Betracht gezogen werden, deren Blutdruck trotz einer Kombination aus 3 blutdrucksenkenden Medikamenten (einschließlich eines Thiazids oder thiazidähnlichen Diuretikums) nicht kontrolliert werden kann und die sich nach einer gemeinsamen Nutzen-Risiko-Diskussion und einer multidisziplinären Bewertung für eine RDN aussprechen.“ Touyz erklärt: „Diese evidenzbasierten Empfehlungen bieten Ärzten und ihren Patienten eine Orientierungshilfe für den Einsatz dieser wichtigen neuen Technologie. Es muss jedoch betont werden, dass dieses Verfahren in einem Zentrum durchgeführt werden muss, in dem Fachwissen und Erfahrung vorhanden sind.“ Berücksichtigung von Lebensstil und Geschlecht Die neue ESC-Leitlinie aktualisiert auch die Ernährungsempfehlungen zur Natrium- und Kaliumzufuhr und unterstreicht die Bedeutung von Änderungen der Lebensweise für Patienten in verschiedenen Lebenslagen und Stadien von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und chronischer Nierenkrankheit. Außerdem wird die Bedeutung der geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Bluthochdruck hervorgehoben und in das gesamte Dokument integriert, statt wie in den meisten anderen Leitlinien in einem eigenen Abschnitt.
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