Urologie in der Pandemie: Bisherige Erfahrungen26. Januar 2021 Die Krankenhäuser haben den Zugang beschränkt – dennoch gibt es Steinpatienten, die eine dringende Therapie brauchen. Foto: Josef Daniel Maier – stock.adobe.com In einem Webinar der European Association of Urology (EAU) haben ExpertInnen die bisherigen Empfehlungen und Erfahrungen in der COVID-19-Pandemie zusammengefasst und Anregungen für urologisches Therapie-Management gegeben. Ziemlich rasch zu Beginn der Pandemie, nämlich im April 2020, hatte die EAU ihre Leitlinien an die neue Situation angepasst, nachdem die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) bereits im März ein Konzept vorgelegt hatte (wir berichteten). Es wurde eine “rapid task force” gebildet, welche die urologischen Erkrankungen und Therapien priorisierte, um Ressourcen für dringende COVID-19-Behandlungen freizuschaufeln. “Jeder einzelne Schritt in Diagnose, Therapie und Follow-up jeder Erkrankung wurde nach dem Grad der Priorisierung stratifiziert”, resümierte Prof. Maria José Ribal Caparrós, Barcelona (Spanien). In den Empfehlungen der EAU gibt es vier Prioritätsstufen: niedrigere Priorität: klinischer Schaden sehr unwahrscheinlich, wenn die jeweilige Prozedur (Diagnose, Therapie oder Follow-up) sechs Monate verschoben wirdmittlere Priorität: klinischer Schaden möglich, aber unwahrscheinlich, wenn die Prozedur drei bis vier Monate verschoben wirdhohe Priorität: klinischer Schaden sehr wahrscheinlich, wenn die Prozedur mehr als sechs Wochen verschoben wirdNotfall: lebensbedrohliche Situation; Vorstellung wahrscheinlich in der Notaufnahme trotz der gegenwärtigen Pandemie Chancen der Telemedizin Eine der wichtigsten Maßnahmen, um die Verbreitung des SARS-Cororonavirus 2 zu unterbinden, ist die Vermeidung von Kontakten von Mensch zu Mensch. Hier kann Telemedizin eine Rolle spielen, wie Dr. Juan Gómez Rivas, Madrid (Spanien), betonte. Erfahrungen mit anderen Pandemien hätten dies gezeigt: Der Urologe nannte Ebola in Afrika 2014, SARS 2003 und die H1N1-Influenza 2009 in Taiwan, die H7N9-Influenza in China 2013 und MERS in Südkorea 2015. Entscheidend sei es, so der Urologe, die Patienten in Gruppen einzuteilen. Es müsse abgeklärt werden, welche Patienten auch ohne direkten Kontakt behandelt werden könnten und welche nicht. Für die Aufteilung nannte er folgende Kriterien: Patienten bei der ersten Vorstellung oder beim Follow-up wegen onkologischer oder nicht onkologischer PathologienPatienten mit einem akutem Grund, den Urologen aufzusuchen (z.B. Harnwegsinfektion, Flankenschmerzen, Hämaturie)Patienten, die eine ergänzende unmittelbare Untersuchung brauchen (z.B. eine Zystoskopie)Patienten, die zur Notaufnahme oder zu einer Notfallpraxis gehen müssen, um dort einen Eingriff durchführen zu lassen (z.B. Katheterisierung bei Harnverhalt und Nierenkolik mit Fieber).Patienten mit einer Diagnose, die möglicherweise einen chirurgischen Eingriff nötig macht. Die telemedizinische Versorgung biete in der Pandemie viele Vorteile für Patienten und Mediziner: Sie reduziere die Verbreitung von SARS-CoV-2 von infizierten Patienten mit oder ohne Symptome und schütze damit andere Patienten und das Personal in Kliniken und Praxen. Doch auch über die Infektionsprophylaxe hinaus biete die Telemedizin viele Vorteile, so etwa die Einsparung von Wegen, Zeit und Kosten und die Vermeidung unnötiger Ressourcen. Allerdings erwähnte Gómez Rivas auch die Probleme, dass die Internet-Infrastruktur in ländlichen Regionen oft unzureichend ist – genau dort, wo sie am ehesten ihre Stärken zeigen könnte. Außerdem können ältere Personen gegebenenfalls Schwierigkeiten haben, die neuen Kommunikationsmedien zu nutzen – genau sie machen aber ein wesentlichen Anteil unter den urologischen Patienten aus. Steinpatienten vor Spätkomplikationen schützen Doch noch stecken wir mitten in der zweiten Welle der Pandemie. Steinpatienten sind die indirekten Leidtragenden, wie Dr. Silvia Proietti, Mailand (Italien) berichtete. Die Behandlung von Harnsteinen als benigner Erkrankung wurde in der Pandemie bevorzugt aufgeschoben. “Urolithiasis repräsentiert eine benigne Erkrankung, aber sie kann in einer nicht vernachlässigbaren Zahl von Fällen schwerer infektiöser Komplikationen führen, welche die Belastung der ohnehin stark beanspruchten Notaufnahmen noch erhöhen könnte”, warnte die Urologin. Um die Möglichkeit eines Aufschubs zu prüfen, empfiehlt Proietti, nach folgenden aufsteigenden Dringlichkeitsstufen zu unterscheiden, wobei in jeder Stufe vorliegende Symptome das Eingreifen gegenüber Symptomlosigkeit dringlicher machen: nicht obstruktiver Nierenstein bei normaler Nierenfunktion mit zwei Nierennicht obstruktiver Nierenstein bei chronisch eingeschränkter Nierenfunktion bzw. Einzelniere; Ureterstein mit liegendem Stent/Nephrostomie (abhängig von der Liegezeit des Stents, Harnwegsinfektionen und Symptomen)obstruktiver Nieren- oder Ureterstein bei normaler Nierenfunktion mit zwei Nieren ohne Fieber oder systemische Infektionobstruktiver Nieren- oder Ureterstein bei akut eingeschränkter Nierenfunktion, bilateraler Obstruktion oder nicht beherrschbaren Symptomen; infizierter Nieren- oder Ureterstein; andere steinbezogene dringliche Situationen. Bezüglich der Prozeduren selbst empfiehlt Proietti, Nephrostomien unter lokaler Anästhesie, wann immer möglich, vorzunehmen. Patienten mit Uretersteinen und Harnwegsinfektionen sollen Antibiotika erhalten. Dass das Virus auch im Urin vorhanden ist, sei unklar, laut aktueller Studien seien Infektionen durch Urin unwahrscheinlich. Dennoch sollten wiederverwendbare Geräte natürlich sterilisiert und wenn möglich Einmalendoskope verwendet werden. “Wenn Steinfreiheit mit einem einzigen Eingriff erreicht werden kann, ohne das Risiko für postoperative Komplikationen zu erhöhen, ist es ratsam, den Stein zu behandeln, anstatt eine vorübergehende Drainage vorzunehmen”, riet Proietti. “So lässt sich eine wiederholte Beanspruchung des Gesundheitssystems vermeiden und die ohnehin schon lange Warteliste nicht noch verlängern.” Bezüglich des Verfahrens gewährleiste die Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) zwar eine kontaktlose Therapie. “Ureterorenoskopie sollte trotzdem bevorzugt werden, insbesondere in Notfallsituationen, wenn sich eine Steinstraße entwickeln könnte”, so die Urologin. Mehr komplizierte Harnsteinerkrankungen in der Pandemie Dass es unter den Pandemie-Bedingungen zu schwereren Harnsteinerkrankungen gekommen ist als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, zeigen bereits Untersuchungen wie von Gul et al. im “Journal of Endourology”. Die von Proietti angeführte Studie belegt, dass die Rate komplizierter Harnsteinerkrankungen während der COVID-19-Einschränkungen signifikant angestiegen ist. Insbesondere hat sich die Rate der Notfälle im COVID-19-Zeitraum mehr als verdreifacht. In der COVID-19-Periode wurden auch deutlich mehr Nephrostomien gelegt, ESBL-positive Bakterien traten dreimal so häufig auf, und Carbapeneme mussten häufiger eingesetzt werden. “Es gibt jetzt ein höheres Risiko für komplizierte und infizierte Harnsteinerkrankungen und damit auch notwendige Antibiotika-Therapien”, resümierte Proietti. Doch nicht nur die Umschichtungen im Krankenhausbetrieb sind verantwortlich für diese Entwicklung. Patienten mit Steinerkrankungen gehen oft aus Furcht vor einer SARS-CoV-2-Ansteckung nicht zum Arzt, wie die Urologin aus Mailand berichtete: “Es gibt eine alarmierende Tendenz, die urologische Konsultation aus Angst vor COVID-19 aufzuschieben, selbst wenn sie notwendig ist”, so Proietti. “Es ist daher von größter Wichtigkeit, die Patienten zu beraten, um das Risiko für Komplikationen in den Fällen zu vermindern, bei denen ein Eingriff auf Wunsch des Patienten verschoben wird.” Zudem führe auch die im Lockdown verordnete Isolation ohne sportliche und soziale Aktivitäten im Außenfeld zu ungesundem Verhalten in Bezug auf Ernährung und Bewegung sowie zu psychischen Belastungen, die wiederum zu ungesunder Ernährung führen können. Beides erhöhe letztlich auch die Rate an Steinerkrankungen, betonte die Urologin. “Wir dürfen nicht vergessen, dass andere Erkrankungen als COVID-19 in der Zwischenzeit nicht verschwunden sind”, appellierte Proietti. “Während wir uns bemühen, die onkologischen Prioritäten aufrechtzuerhalten, verdienen auch Patienten mit gutartigen Erkrankungen Aufmerksamkeit. Wir sind als Urologen dafür verantwortlich, die schwerwiegenden Folgen von COVID-19 bei unseren Patienten, die nicht damit infiziert wurden, zu begrenzen.” Die UrologInnen stünden nun vor der Herausforderung, die SARS-CoV-2-Übertragung zu minimieren und gleichzeitig die Urolithiasis auf der Grundlage internationaler Leitlinien und klinischer Erfahrungen zu behandeln, um schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden, betonte sie. (ms)
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