Versorgung in Kliniken und Praxen – Quo vadis?

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Am ersten VSOU-Kongresstag zogen drei berufspolitische Veranstaltungen, in denen die gesundheitspolitischen Reformen der Regierung im Fokus standen, großes Interesse der Kongressteilnehmenden auf sich.

Wohin geht die Reise bei den groß angelegten Reformen der Bundesregierung im Gesundheitswesen? Sowohl ambulant als auch stationär und wird die sektorenverbindende Versorgung nach §115f – der große Wurf? Das waren Fragen, die ausgewiesene O-und-U-Berufspolitiker und Expertinnen und Experten aus ihrer Sicht darlegten.

Um es gleich vorab zu sagen, die Stimmung, nach der von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach angekündigten „Revolution“ im Gesundheitsweisen, war bei vielen beteiligten Rednern in Ernüchterung umgeschlagen. „Außer Transparenz- und Cannabisgesetz ist nichts passiert, so etwa das Resümee von DGOU-Generalsekretär Prof. Dietmar Pennig, der mit seiner grundsätzlichen Haltung gegenüber der Politik nicht hinter dem Berg hielt: „Man muss sich Sorgen machen, wenn die Realpolitik zur Realsatire wird.“

Gut besucht: Die Stage auf dem VSOU-Kongress zu berufspolitischen Themen (Foto: hr, Biermann Medizin)

So ging der stellvertretende DGOU-Generalsekretär Prof. Bernd Kladny etwa der Frage nach, was überhaupt von der Krankenhausreform übriggeblieben ist. Zu wenig und – aus Sicht von O und U – dann auch oft auch nur Ungenügendes, so sein Resümee. Von den ehemals geplanten Kliniken gestaffelt in drei Leveln, seien nur die „Level 1i-Krankenhäuser“ als sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen übriggeblieben. Im Gesetzentwurf zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) habe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im Wesentlichen auf die Blaupause aus Nordrhein-Westfalen zurückgegriffen, wo Gesundheitsminister Karl Josef Laumann bereits mit einer Strukturreform der NRW-Krankenhauslandschaft vorgelegt hatte. „Man kann sich schon fragen, wie wohl der Gesundheitsminister in der neuen Legislatur heißen wird“, so Kladny süffisant. Doch auch die hierbei vorgesehenen 60 Leistungsgruppen seien aus Sicht von O und U zu wenig, das meiste werde in den Leistungsbereich „Allgemeine Chirurgie“ gepresst. Es fehlten etwa die Tumororthopädie, komplexe orthopädische Operationen, konservative Therapien und die Einordnung der Kinderorthopädie in O und U. Gerade noch habe man wenigstens die Spezielle Traumatologie hineinverhandeln können, berichtete Kladny. Obendrein gebe es zu wenig Geld für die Vorhaltefinanzierung. Die Spezielle Traumatologie werde etwa mit 65 Millionen Euro gefördert. „Pro Haus bleibt da nicht viel übrig.“ Die insgesamt im Transformationsfonds vorgesehenen 50 Milliarden Euro für die Kliniken über zehn Jahre verteilt seien noch mit einigen Fragezeichen versehen. Auch die Weiterentwicklung der Leistungsgruppen, in einem Ausschuss unter Führung des BMG sah Kladny skeptisch.

„Die Reform ist absolut notwendig“, betonte Kladny. Doch dafür seien verlässlichere Rahmenbedingungen und die stärkere Einbeziehung medizinischen Sachverstandes nötig. „Dieser Schwebezustand ist Gift“. Er treibe Kliniken in die Insolvenz, verunsichere das Personal und gefährde den gesellschaftlichen Zusammenhalt zwischen Stadt und Land.

Ambulantisierungspotenzial – Hybrid-DRGs und das „Problem“ Vorfuß

„Die Sektorengrenzen in Deutschland sind zweifellos zu starr. Deutschland hinkt im internationalen Vergleich bei der Ambulantisierung hinterher“, konstatierte der BVOU-Präsident Dr. Burkhard Lembeck, der in Baden-Baden über die Entwicklung der sektorengleichen Vergütung (§ 115 f SGB V) sowohl im Hinblick auf die stationäre als auch ambulante Versorgung referierte. Kann die Hybrid-DRG wirklich einen faireren „Mischpreis“ zwischen EbM und DRG abbilden? Noch immer hält der Experte das Kernziel der Reform, dass Fachärzte O und U sowohl in Kliniken als auch Praxen Leistungen bei gleicher Vergütung und möglichst kurzer Verweildauer erbringen können, als gut und richtig. Doch der Teufel steckt Lembeck zufolge im Detail und auch in der Beratungsresistenz von Lauterbach, wie er anhand der Historie der politischen Entwicklung der DRG von der Idee bis zur derzeit gültigen Rechtsverordnung vom 19. November 2023 darlegte. Seit 2021 habe sich der BVOU mit einer Arbeitsgemeinschaft als „Denkfabrik“ mit Vorschlägen zur Umsetzung der Hybrid-DRG eingesetzt. „Ich habe dem Minister auch im persönlichen Gespräch auf die Stolpersteine bei den Leistungskatalogen oder der Vergütung hingewiesen, berichtete der BVOU-Präsident. Doch darauf ist Lauterbach offensichtlich nicht eingegangen, denn sein Fazit dieser Reform lautete: „Zu viele handwerkliche Fehler“.

Fehler, auf die in einer eigenen Session zur Sektorenverbindenden Versorgung ebenfalls eingegangen wurde. Unter anderem erläuterte dort Dr. Frank Schemmann vom Zentrum für Orthopädische Chirurgie am Boxberg in Neunkirchen im Detail die Auswirkungen des § 115 f auf die Fußchirurgie, die besonders von den Neuregelungen betroffen sei. Ein Grundfehler ist Schemmann zufolge, dass die Hybrid-DRG in das bestehende DRG-System „gepresst werden, ohne eine differenzierte Anpassung.  So komme es zu völlig verzerrten Vergütungen. Den Darstellungen des Experten zufolge erfahren einfache „minor-Eingriffe“ wie die Krallenzehe über die Hybrid-DRG eine erhebliche Aufwertung, während die Erlöse bei den komplexen Arthrodesen der Vorzehen um mehr als die Hälfte auf rund 1000 Euro einbrechen und zum Teil unter die EbM gefallen sind. Die erheblichen Abwertungen von ‚major-Eingriffen‘ also komplexer sowie Kombinationseingriffe aufgrund fehlender klarer Zuordnung und Logik dürfe nicht sein, so Schemmann. „In der Fußchirurgie brennt es überall.“ Denn zahlreiche Eingriffe könnten so nicht mehr kostendeckend erbracht werden mit erheblichen Folgen für die Versorgungsqualität.

Zur Berechnung einer fairen Hybrid-DRG dürfen Schemmann zufolge nicht nur verfälschende Krankenhausdaten zu Sach- und Implantatekosten herangezogen werden, auch dürften Minor-Eingriffe mit kurzer Liegedauer nicht zur Blaupause für andere ausdifferenzierte Bereiche in O und U wie der Schulter- oder Kniechirurgie werden, warnte der Experte in seinen Schlussbetrachtungen.

Mehr Zusammenarbeit von Klinik und Praxis gegenüber dem BMG

Auch der Sessionleiter und diesjährige Kongresspräsident Dr. Helmut Weinhart konstatierte abschließend, dass bei den Hybrid-DRG „zwei sehr unterschiedliche Systeme aufeinanderprallen, die nur schwer unter einen Hut zu bringen sind“. Er schlug vor, die Weiterentwicklung des Systems kritisch zu begleiten, im Sinne eines lernenden Systems. Denn eines sei klar: „Auf Dauer wird es keinen doppelten Abrechnungsweg zwischen EbM und Hybrid-DRG geben. Zu Beginn mache es aber Sinn, um Fehlentwicklungen gegenzusteuern. „Wir sollten als Niedergelassene und Kliniken mehr zusammenarbeiten und uns nicht vom BMG gegenseitig ausspielen lassen, das funktioniert leider immer noch zu gut“, so das Fazit Weinharts. (hr)