Versorgung von Kriegsverletzungen in Deutschland: „Erheblicher Nachholbedarf“

Florian Pavlu, Axel Franke und Gehrhard Achatz hatten den Vorsitz auf der DKOU-Session “Krieg, Terror und Gewalt – was uns bedroht”.

Wie gut sind Deutschlands Krankenhäuser auf den militärischen Bündnisfall vorbereitet? – Das ist Thema gleich mehrerer Sitzungen auf dem DKOU 2024. Nicht nur der Generalsekretär der DGOU und der DGU, Prof. Dietmar Pennig sieht hier Nachholbedarf.

In einem Statement betonte Pennig: „Die deutschen Krankenhäuser haben hinsichtlich der Versorgung von Kriegsverletzungen einen erheblichen Nachholbedarf, lediglich die fünf Bundeswehrkrankenhäuser sind hierzulande mit besonderen Kenntnissen ausgestattet. Im Falle der Ausweitung dieses Konfliktes auf den Bündnisfall wären die vorgehaltenen Betten der Bundeswehrkrankenhäuser und der assoziierten BG-Kliniken innerhalb von 48 Stunden ausgelastet.“

Behandlung von Kriegsverletzten findet schon statt

Bereits jetzt behandeln deutsche Kliniken Kriegsverletzte: So wurden seit Kriegsbeginn in der Ukraine mehr als 1200 verletzte ukrainische Soldaten in deutschen Krankenhäusern aufwendig, langwierig und kostenintensiv behandelt. Was das konkret bedeuten kann – nicht zuletzt für die Patienten selbst – machten die Referenten in zwei Sessions zum Thema am ersten Kongress-Tag deutlich.

So ging Dr. Florian Pavlu in seinem Vortrag zur Rekonstruktion muskuloskelettaler Kriegsverletzung der Frage nach, was mit Blick auf den Erhalt der betroffenen Extremität überhaupt machbar ist. An zwei eindrucksvollen Fallbeispielen arbeitete er die wichtigsten Faktoren heraus, etwa die Vitalität des Weichteilmantels, neurovaskuläre Zerstörung und Revaskularisation, die knöcherne Defektkontrolle oder die Kontaminations- und Infektkontrolle. Trotz Erfolgen stellte er fest: „Das Machbare hat Grenzen.“ Wichtig sei, sich vom theoretisch Machbaren nicht dazu verleiten zu lassen, den Patienten zu gefährden.

Nicht im Hinblick auf Kriegsverletzungen ist die wachsende Verbreitung von Antibiotikaresistenzen ein Problem, wie Philipp Hube vom Bundeswehrkrankenhaus Ulm deutlich machte. Die Frage, ob der Krieg in der Ukraine einen Einfluss auf die Infektionslage mit multiresistenten Erregern hat, lasse ich derzeit nicht beantworten so Hube, da entsprechende Daten noch nicht vorlägen. Allerdings sei ein West-Ost-Gradient bei Infektionen mit multiresistenten Keimen auszumachen. Deutschland schneide im europäischen Vergleich zwar gut ab, allerdings sieht Hube noch Verbesserungsbedarf: So finde beispielsweise oft keine Reevaluation der Antbiose statt.

Deutschland als Drehscheibe im Bündnisfall – Was wäre dann?

Zur Versorgung von Kriegsverletzten mussten sich Ärztinnen und Ärzte in den Kliniken mussten auf die neuen Verletzungsmuster einstellen, viele Kliniken gingen finanziell in Vorleistung. Erst kürzlich wurden 50 Millionen Euro von der Regierung für die Versorgung von Kriegsverletzten aus der Ukraine zur Verfügung gestellt. Was aber wäre, wenn der Bündnisfall der NATO einträfe und auch deutsche Soldaten im Krieg kämpfen müssten und Deutschland Aufmarschgebiet würde? Dann wäre mit vielen Hunderten Toten und Tausenden Verletzten zu rechnen.

Wie Oberfeldarzt PD Dr. Gerhard Achatz (Ulm) darlegte, hätte ein solches Szenario erheblich Auswirkungen auf die Versorgungsrealität in Deutschland. So sei mit bis zu 1000 Verletzten pro Tag zu rechnen, gut ein Drittel davon intensivpflichtig, 22 Prozent vermehrt pflegebedürftig und etwa 44 Prozent leichter verletzt. Dazu kommen massive Flüchtlingsbewegungen und zivile Patienten aus Kriegsgebieten.

Mit Blick auf die Empfehlungen der S3-Leitlinie Polytrauma zur Präklinik konstatierte Achatz: „Die Datenlage dazu ist schwierig, zeigt aber deutlich, dass wir mit unserer Vorstellung zur präklinischen Versorgung nicht weit kommen. Sie müssen sich die präklinische Rettung komplett anders vorstellen.“ So sei in der Ukraine die Präklinik schwierig zu organisieren, die Kommunikation schwieriger und Transportzeiten deutlich länger als in der zivilen Rettungskette. Die Luftrettung spiele etwa eine untergeordnete Rolle, hingegen komme der Einsatz von Zügen infrage, um die benötigte Mobilität und Flexibilität in der Rettungskette zu erreichen.

„Krieg ist etwas anderes als Terror“

Der Kriegs- oder Bündnisfall stellt nicht nur das Gesundheitssystem vor große Herausforderungen – sei es die Verteilung Kriegsverletzter oder die Aufrechterhaltung des zivilen Rettungssystems und des Katastrophenschutzes – sondern auch das medizinische Personal. So zeigte ich sich Oberstarzt Prof. Benedikt Friemert, Bundeswehrkrankenhaus Ulm, in seinem Vortrag über kriegsrelevante operative Skills überzeugt: „Jeder wird etwas anderes tun müssen, als er bis jetzt gelernt hat – weil die Not da ist.“ Gebraucht werde dann ein neues Mindset denn: „Krieg ist etwas anderes als Terror und wir sitzen alle in einem Boot“, betonte er.

Als Herausforderungen nannte Friemert neben der klassischen Traumaversorgung, Schuss- und Explosionsverletzungen, viele Amputationen, septische und plastische Chirurgie, lange Rehabilitationen und eine große Anzahl an Patienten, nicht zuletzt viele psychotraumatisierte Patienten. Im Umgang mit der großen Patientenzahl brauche es Managementkompetenzen, Frustrationstoleranz gegenüber Ressourcenmangel und Resilienz gegenüber Fehlentscheidungen. Die Vorbereitung auf den Ernstfall sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, so Friemert. (ja)