„Versorgungsinteresse vor Kapitalinteresse!“ – SpiFa stemmt sich Privatinvestoren entgegen

Andreas Köhler, Evangelos Kotsopoulos, Dirk Bohsem und Moderatorin Rebecca Beerheide (v.l.) diskutieren beim 5. SpiFa-Fachärztetag in Berlin. Foto: Andreas Schoelzel / SpiFa

Wie groß ist die Gefahr, dass private Investoren, die allein Kapitalinteressen verfolgen und keinen fachlichen Bezug zur medizinischen Versorgung haben, zunehmend in die ambulante Versorgung eindringen und darauf Einfluss nehmen?

Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) besteht in diesem Bereich eine „hohe Dynamik durch großes Konsolidierungspotenzial“. Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands will gegensteuern und forderte auf seinem 5. Fachkongress Anfang April in Berlin: „Versorgungsinteresse vor Kapitalinteresse!“

Wie der “Transaktionsmonitor Gesundheitswesen” von PwC zeigt, entwickelt sich der Markt für Fusionen und Übernahmen im Gesundheitssektor „dynamisch“: Das Jahr 2018 sei durch zahlreiche Transaktionen im deutschen Gesundheitswesen geprägt worden; Insbesondere sei die Zahl der Transaktionen mit Beteiligung von Private-Equity-Firmen (PE-Firmen) deutlich gestiegen. Diese Käufergruppe sucht gezielt nach Investments im Bereich der Pflege und der ambulanten Versorgung. “Die steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen, die alternde Bevölkerung und die weiterhin anhaltende Niedrigzinsphase machen Investments im Healthcare-Sektor besonders attraktiv”, sagt Michael Burkhart, Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC. “Hinzu kommt, dass der Gesundheitsmarkt weitgehend unabhängig von konjunkturellen Schwankungen ist und noch ein großes Konsolidierungspotenzial bietet. Dadurch werden wir auch in diesem Jahr weiterhin ein sehr dynamisches Transaktionsumfeld erleben“, freut sich Burkhart.

Sorgen statt Freude bereitet diese Entwicklung etwa Dr. Andreas Köhler. Der langjährige Ärztefunktionär und SpiFa-Ehrenpräsident stellte beim SpiFa-Fachkongress besorgniserregende Zahlen vor und forderte von seinem Stand, das Heft selbst in die Hand zu nehmen, anstatt die ambulante Versorgung privaten Investoren zu überlassen, denen es gar nicht um die Versorgung geht.

Trend zum angestellten Arzt

Nach Angaben der Gewerkschaft ver.di, sind in Deutschland 50 PE-Gesellschaften, die in Gesundheitseinrichtungen investieren, aktiv. Im Jahr 2018 hat es laut Köhler 125 Übernahmen gegeben. Die Basis für diese Entwicklung ist ein starker Trend zur Anstellung in der Ärzteschaft, denn je weniger unabhängige Praxen es gibt und je mehr Ärzte in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) angestellt sind, desto mehr Aufkaufpotenzial gibt es für die Investoren. Köhler spricht von einer „akuten Dynamik seit 2015“; das MVZ sei inzwischen bevorzugte Kooperationsform. Einzelpraxen sind um 16 Prozent rückläufig, und es gibt auch 20 Prozent weniger fachgleiche Gemeinschaftspraxen. Stattdessen habe sich die Zahl der MVZ um 134 Prozent erhöht. Mit Stand 31.12.2017 arbeiteten über 33.000 (19,2%) der ambulant tätigen Ärzte in einem Angestelltenverhältnis. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der angestellten Ärzte um 380 Prozent gestiegen. Laut Berufsmonitoring Medizinstudierende streben 70,5 Prozent der Medizinstudierenden eine Stelle in der ambulanten Versorgung an. Nur noch 4,7 Prozent wollen in einer Einzelpraxis tätig sein. Dieser Entwicklung hinkt die Politik hinter, denn, so Köhler: „Alle unsere Normen sind auf die Einzelpraxis ausgerichtet.“ Berücksichtigt man dann, dass im Jahr 2016 etwa jedes dritte MVZ (32%) Verluste machte, dann versteht man das von PwC diagnostizierte „Konsolidierungspotenzial“.

„Ökonomie und Versorgung sind kein Widerspruch“

Leider war beim Termin in Berlin kein eigentlicher PE-Vertreter anwesend, der die Position seiner Branche hätte darstellen können. Diese Funktion übernahm stattdessen Evangelos Kotsopoulos, Geschäftsführer von Sonic Healthcare Germany, dem nach eigenen Angaben führenden Anbieter von labormedizinischen Leistungen in Deutschland. Seine Firma übernahm in den vergangenen 14 Jahren zahlreiche Labore in Deutschland. „Sonic Healthcare genießt im Finanzsektor den Ruf einer Wachstumsfirma, die ihren Mitarbeitern und Aktionären Mehrwert und Stabilität bietet“, heißt es auf der Website. Kotsopoulos bezweifelte, dass das PE-Problem so groß ist, wie von Köhler dargestellt. „Ökonomie und Versorgung sind kein Widerspruch“, sagte der Firmenchef in Berlin, „denn wer keine Qualität liefert, ist bald weg vom Fenster“. Er bezweifelte, dass es durch die Investition von Privatkapital tatsächlich zu Monopolisierung und Versorgungsproblemen käme. Köhler entgegnete, dass man bereits jetzt die Entwicklung bedenken müsse, die sich vielleicht in zehn bis 20 Jahren ergibt.

Doch warum nehmen die Ärzte das Heft nicht selbst in die Hand? „Es wäre eigentlich in der ambulanten Versorgungsstruktur ausreichend Eigenkapital vorhanden, um neue Strukturen aufzubauen“, sagte Köhler, „aber es nicht gebündelt und strukturiert.“ Im Gedenken an den ehemaligen Ärztepräsident Prof. Jörg-Dietrich Hoppe, der solche Ideen bereits vertrat, fragte er: „Warum sind wir als Ärzteschaft nicht in der Lage, über Fonds solche ambulanten Versorgungsstrukturen selbst zu finanzieren und aufzustellen, in denen angestellte Ärzte dann tätig werden? Dann hätten wir neben dem Aspekt der Freiberuflichkeit auch die wirtschaftliche Selbstständigkeit wieder in unserer Versorgungsstruktur selbst realisiert und wären in Fragen unseres Selbstverständnisses weitaus besser aufgestellt.“

SpiFa will mit Joint Venture Ärzte selbst zu Investoren machen

Wo das Problem liegt, schilderte Dirk Bohsem von der MLP Finanzberatung: „Die Banken tun sich schwer, die Werthaltigkeit solcher Vorhaben mit dem vorhandenen Datenmaterial so zu bewerten, dass sie die Finanzierung eingehen und auch weiterhin begleiten können.“ Die verfügbaren Analysen basieren derzeit auf rein arztbezogenen Kennzahlen, welche die Nachfrage nach medizinischen Leistungen lediglich in aggregierter Form abbilden (z. B. anhand des GKV- und PKV-Umsatzes einer Praxis) und somit nur eine eingeschränkte Aussagekraft haben. Um dies zu ändern, hat das zum SpiFa gehörende Deutsche Institut für Fachärztliche Versorgungsforschung (DIFA) mit MLP vor Kurzem ein Joint Venture gegründet. Mithilfe von Versorgungsanalysen sollen Finanzierungsalternativen aufgestellt werden, um auch größere Versorgungsstrukturen aufzubauen und zu erhalten. Die Analysen und Prognosen der neuen DIFA Research GmbH sollen Fragen zum Standort und Umfang der ärztlichen Tätigkeit, zu Versorgungsinhalten oder zur künftigen Organisationsstruktur berücksichtigen. Dabei setzen die Experten nach eigenen Angaben ein Analyse- und Prognosemodell ein, das pseudonymisierte patientenbezogene Daten verwendet. Auf den gewonnenen validen und detaillierten Erkenntnissen soll dann eine professionelle wirtschaftliche Beratung aufsetzen.

Doch auch wenn SpiFa und MLP jetzt dagegenhalten, werden die PE-Firmen nicht schlafen. Damit das Kapital- aber nicht über das Versorgungsinteresse überwiegt, hat der SpiFa eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen. Dazu zählt etwa ein Transparenzregister, an dem zu erkennen ist, wem ein MVZ gehört. Wenn das MVZ zu schnell wieder veräußert wird, dann solle der Arztsitz verfallen. Sinn ist, so der SpiFa in seiner diesbezüglichen Stellungnahme vom 15.01.2019, „die Nachhaltigkeit von Investitionen in Versorgungsstrukturen im Sinne einer langfristigen Orientierung an Versorgungs- und Gemeinwohlinteressen von Investoren zu erreichen“. Zwar ist das Terminservice- und Versorgungsgesetz jetzt beschlossen, doch die SpiFa-Stellungnahme soll ausdrücklich als Beitrag zu einer weiter zu führenden Debatte verstanden werden – möglichst bevor, wie es manche befürchten, der ambulante Sektor Stück für Stück aufgekauft wird.

(ms)