Vertragsärztlicher Bereitschaftsdienst in der Zukunft: Voraussetzungen nach dem Poolarzturteil des Bundessozialgerichts

Foto: MQ-Illustrations/stock.adobe.com

Poolärzte, die eigenständig am Bereitschaftsdienst teilnehmen, sollen die Abgabe von Diensten erleichtern. Das Poolarzturteil des Bundessozialgerichts (BSG) hatte erhebliche Auswirkungen. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick und einen Ausblick.

Der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) umfasst auch den ärztlichen Bereitschaftsdienst (§ 75 Abs. 1b S. 1 SGB V). Die KVen erfüllen die Verpflichtung, indem sie ihre ärztlichen Mitglieder nach § 72 Abs. 1 SGB V heranziehen. Die Verpflichtung trifft alle Vertragsärztinnen und -ärzte, unabhängig von der Fach­gruppe. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (B 6 KA 13/06 R v. 6.2.2008): Nur dadurch, dass die gesamte Vertragsärzteschaft den Dienst organisiert, wird der einzelne Arzt von seiner andernfalls bestehenden Verpflichtung zur Dienstbereitschaft rund um die Uhr entlastet; als Gegenleistung hierfür muss jeder Vertragsarzt den Bereitschaftsdienst als gemeinsame Aufgabe gleichwertig mittragen. Die KVen müssen die Einhaltung vertragsärztlicher Pflichten überwachen (§ 75 Abs. 2 S. 2 SGB V) und – wenn notwendig – unter Anwendung disziplinarischer Maßnahmen durchsetzen (§ 81 Abs. 5 SGB V). Nach dem BSG-Streikrecht-Urteil (B 6 KA 38/15 R) vom 30.11.2016 dürfen sich Vertragsärzte der Mitwirkung an der Versorgung auch nicht in Teilbereichen entziehen. Gefordert wird im Dienst jedoch keine vollumfäng­liche Behandlung, sondern nur eine Überbrückungsbehandlung, bis der Patient abschließend in der Regelversorgung behandelt werden kann. Nur für ­wenige Facharztgruppen wie Kinder- oder Augenärzte wurden fachgebiets­spezifische Dienste eingerichtet.

Auch wenn eine spezielle Fortbildungsverpflichtung des Arztes für den Bereitschaftsdienst besteht, wundert es nicht, dass für den Bereitschaftsdienst der Wunsch nach komfortablen Vertretungsmöglichkeiten besteht – allein schon wegen fehlender Routine. Unabhängig von der individuellen Qualifikation können auch hohe Auslastung in der Regelversorgung, ­persönliche Lebenssituation und gesundheitliche Verhältnisse für Vertretungswünsche ausschlaggebend sein.

Grundsätzlich kann sich jeder Arzt auch im Bereitschaftsdienst durch persönliche Vertreter vertreten lassen. Um die Auswahl des Vertreters und die Abgabe von Diensten zu erleichtern, hatten viele KVen in den letzten Jahren zusätzlich sogenannte Poolärzte zur eigenständigen Teilnahme am Bereitschaftsdienst gewonnen. Die Einbindungsmodelle waren dabei von KV zu KV unterschiedlich. Auch wenn die KVen schon in der Vergangenheit Fragen der „Scheinselbstständigkeit“ und Sozialversicherungspflicht zu berücksichtigen versucht haben, sorgte das Poolarzturteil des BSG (B 12 R 9/21 R) am 24.10.2023 für erhebliche Veränderungen in der Vertretungslandschaft: Ein Zahnarzt hatte gegen die Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) auf das Bestehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung geklagt, obwohl zuvor im arbeits­gerichtlichen Verfahren (ArbG Mannheim, 12 Sa 13/20 v. 7.8.2020) fest­gestellt worden war, dass kein Arbeitsverhältnis vorliegt. Er bekam Recht. In den KVen, die für ihre Poolärzte ähnliche Modelle gewählt hatten, wurden daraufhin bestehende Poolarztvereinbarungen beendet und die Vertragsärzte wieder selbst zum Dienst verpflichtet.

Um ihren Mitgliedern rasch wieder zu komfortablen Vertretungsmöglichkeiten zu verhelfen, wurden von KVen Online-Börsen für die Vermittlung persönlicher Vertreter geschaffen, für die sich allerdings ebenfalls die Frage der Sozialversicherungspflicht auftat. Zusätzlich reagierten die KVen auf einen Hinweis in der Urteilsbegründung, dass Anstellung und sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auch auseinanderfallen können: KVen wie die KVBW schufen, um rechtssicher und mitgliederorientiert agieren zu können, den „Kooperationsarzt“, der selbstständig und sozial­versicherungspflichtig tätig wird, aber nicht bei der KV angestellt ist. Nachteilig sind dabei der hohe Verwaltungsaufwand und die Notwendigkeit, aus der in der KV-Welt üblichen Quartalslogik und EBM-Abrechnung auszuscheren und mit Stundenlöhnen abzurechnen, um der Verpflichtung zur monatlichen Abführung von Sozial­abgaben nachzukommen. Diese Lösung bietet Ärztinnen und Ärzten derzeit einen ständig anwachsenden Vertreterpool, der wie die früheren Poolärzte im eingesetzten Online-Dienstplanungstool direkt und komfortabel zur Abgabe markierte Bereitschaftsdienste übernehmen kann.

Trotz massiver Forderungen der KVen nach einer Befreiung von Poolärzten von der Sozialversicherungspflicht analog zu den Ärzten im Rettungsdienst (§ 23c SGB IV) konnte sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nicht mit einer analogen Regelung anfreunden. In einem langwierigen Dialogprozess zwischen BMAS, Bundesministerium für Gesundheit, Deutscher Renten­versicherung, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und KVen konnten nun jedoch die Voraussetzungen geklärt werden, unter denen – wenn sie kumulativ erfüllt sind – auch künftig Poolärzte wieder sozialversicherungsfrei tätig werden können: Sie

  • rechnen Leistungen nach Einheitlichem Bewertungsmaßstab (EBM) mit eigener Lebenslanger Arztnummer (LANR) ab und werden entsprechend der erbrachten Leistungen vergütet,
  • zahlen für die Nutzung der zur Verfügung gestellten Ressourcen ein angemessenes, nichtumsatzbezogenes, nicht zwingend kosten­deckendes, aber auch nicht nur symbolisches Nutzungsentgelt, auch wenn keine oder nur wenige Versicherte behandelt wurden und
  • können sich durch selbst gewählte Personen vertreten lassen.

Bis dieser „Poolarzt 3.0“ wieder tätig werden kann, dürfte allerdings noch einige Zeit vergehen. Zuvor muss gesetzlich noch klargestellt werden, dass zur Förderung des Bereitschaftsdienstes – regional unterschiedliche – Sicherstellungsgelder gezahlt werden dürfen. Um verläss­liche Kalkulationsgrundlagen für Nutzungsentgelt und Sicherstellungsgeld zu haben, werden KVen ihre laufenden Reformen der Bereitschaftsdienststrukturen abwarten und auswerten. Erfreulicherweise wurde im Konsenspapier auch dargestellt, dass der ­Einsatz von Vertragsärzten im ­Bereitschaftsdienst immer sozialver­sicherungsfrei erfolgt.

Autor: Dr. med. Karsten Braun, LL. M.
Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
Vorsitzender des Vorstandes der Kassen­ärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg
Albstadtweg 11, 70567 Stuttgart

➤ Donnerstag 24.10. / 17:30–18:30 Uhr
Helsinki 2