Viel Fehlinformation auf TikTok, YouTube & Co.

Besser mit Arzt: Gesundheits-Videos im Internet. Foto: Studio Romantic – stock.adobe.com

Mehrere Studien, die beim Jahreskongress der American Urological Association (AUA) vom 28. April bis 1. Mai in Chicago (USA) vorgestellt wurden, zeigen auf, wie falsche Informationen zu urologischen Themen im Internet, insbesondere in den sogenannten „sozialen Medien“ verbreitet werden. Beiträge mit Fehlinformationen wurden zudem besonders oft geteilt.

„Wenn wir als Ärzte eine gute Versorgung bieten wollen, müssen wir verstehen, wie Patienten ihre Gesundheitsinformationen erhalten, und lernen, wie man die Probleme angeht, die mit medizinischen Fehlinformationen im Internet einhergehen, fasste Justin Dubin, vom Memorial Healthcare System in Süd-Florida (USA) bei einer Pressekonferenz zum AUA-Kongress das Problem zusammen.

Fehlinformationen sind beliebter

Beispiel Überaktive Blase (OAB): Arshia Sandozi vom Maimonides Medical Center in New York (USA) und ihre Kollegen beurteilten 95 OAB-Videos mit median 1727 Aufrufen auf der Plattform „TikTok“ mithilfe des validierten Instruments „Medical Quality Video Evaluation Tool“ (MQ-VET, Score 15–75). Der mittlere zusammengesetzte MQ-VET-Score betrug 29 (Interquartile Range 25,7–39) Die Mediziner identifizierten Fehlinformationen in 40% aller Videos und in 74% der duplizierten Videos. Die häufigste Art von Fehlinformationen war die falsche Kennzeichnung von Belastungsharninkontinenz als OAB. Videos mit Fehlinformationen wurden häufiger geteilt. „Informationen über OAB auf TikTok sind leicht zugänglich, aber die Videobeiträge enthalten erhebliche Fehlinformationen und sind von schlechter Qualität“, resümieren die Wissenschaftler und ergänzen: „Es ist besorgniserregend, dass Videos mit Fehlinformationen häufiger geteilt und vervielfältigt werden, wodurch falsche Informationen weit verbreitet werden können.“

COVID-19 und männliche Infertilität

Auch in Bezug auf mögliche Infertilität im Zusammenhang mit SARS-CoV2 schneidet TikTok nicht gut ab, wie Meher Pandher von der New Jersey Medical School in Newark (USA) und ihre Kollegen herausstellten. Studien haben ergeben, dass COVID-19 zwar mit einer verminderten Spermienzahl und -qualität in Verbindung gebracht werden kann, der Impfstoff jedoch nicht. „Trotz Beweisen für den fehlenden Zusammenhang zwischen dem COVID-19-Impfstoff und der männlichen Fruchtbarkeit verbreiten Social-Media-Plattformen, einschließlich TikTok, weiterhin irreführende Informationen“, stellen die Mediziner fest – sehen aber auch einen Lichtblick: die Anwesenheit eines Mediziners.

Für ihre Studie identifizierten Pandher et al. 58 TikTok-Videos mit den Begriffen #covidvaccine und #malefertility und ließen sie von fünf unabhängigen Forschern überprüfen. In den meisten Videos wurde die Meinung geäußert, dass die COVID-19-Infektion bei Männern zu Unfruchtbarkeit führt (48,3%), aber nicht der Impfstoff (37,9%). Nur wenige Videos gaben an, dass der Impfstoff für die männliche Unfruchtbarkeit verantwortlich sei (6,9%). Die durchschnittliche Punktzahl im modifizierten DISCERN-Score für die Zuverlässigkeitsbewertung (1 = schlecht bis 5 = ausgezeichnet) für die 58 Videos betrug 2,93, die Verständlichkeitsbewertung mit dem PEMAT-Instrument 76,1% und die Anwendbarkeit der Informationen nach PEMAT 25,7%. Bei Anwesenheit eines zertifizierten US-amerikanischen Mediziners im TikTok-Video waren der durchschnittliche DISCERN-Score (2,00 vs. 3,38; p=0,001), der PEMAT-Verständlichkeits-Score (67,68 vs. 80,26; p=0,015) und der PEMAT-Anwendbarkeits-Score (13,16 vs. 31,82, p=0,024) signifikant höher. Videos, in denen medizinisches Fachpersonal anwesend war, hatten allerdings eine geringere durchschnittliche Anzahl von Aufrufen, weniger Likes und weniger Kommentare, jedoch war keiner dieser Unterschiede statistisch signifikant. „Diese Studie zeigt, dass TikTok-Videos, die Fehlinformationen unterstützen, allgemein angesehen werden“, fassen die Autoren zusammen, es sei jedoch “beruhigend zu sehen, dass es Mediziner gibt, die daran interessiert sind, medizinisch korrekte Informationen zu verbreiten“.

Nierensteine: Gibt es hier einen Arzt?

Einen ähnlichen Befund konnten Wissenschaftler in Bezug auf die Prävention von Nierensteinen bei TikTok erheben: Generell ist die Informationsqualität schlecht, aber besser, wenn ein Fachmann dabei ist. Bassel Salka von der University of Michigan in Ann Arbor (USA) und Kollegen überprüften 87 TikTok-Videos mit insgesamt 8,75 Millionen Aufrufen. Nur 8 Videos wurden von Ärzten veröffentlicht, bei denen der durchschnittliche DISCERN-Score signifikant höher war als bei Videos von Nichtmedizinern (p<0,05). Die häufigste Empfehlung war eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme (38,0%), gefolgt von der Überwachung des Kalziumspiegels (9,02%) und der Verringerung von oxalatreichen Lebensmitteln (9,2%). Die am häufigsten empfohlene Nahrungsergänzung war Zitronenwasser (8,0%). „Inhalte zur Nierensteinprävention auf TikTok haben eine große Reichweite bei Millionen von Verbrauchern. Die Mehrheit der Videos entspricht nicht den AUA-Empfehlungen in Bezug auf Diättherapien zur Steinprävention“, stellen Salka et al. fest.

Zwei Studien widmeten sich den Informationsangeboten im Internet zu rezidivierenden Harnwegsinfektionen (HWI). „Das öffentliche Interesse an Online-Informationen zu rezidivierenden HWI ist am größten für Informationen mit der schlechtesten Veröffentlichungsqualität“, lautet das Ergebnis einer Untersuchung von Sapna Thaker (University of California in Los Angeles, USA) und ihren Kollegen. Die Internet-User suchten vor allem nach allgemeinen Informationen zu HWI sowie zu Behandlung, Ursachen und pflanzlichen Heilmittel. Der DISCERN-Score zeigte insgesamt eine mäßige Zuverlässigkeit, aber die am meisten aufgerufene Kategorie „pflanzliche Heilmittel“ hatte die niedrigsten Zuverlässigkeitswerte. „Dies unterstreicht die Notwendigkeit für Urologen, sich unzuverlässiger Inhalte bewusst zu sein, die möglicherweise auf Patienten abzielen und ihre Fähigkeit zur effektiven Behandlung rezidivierender HWI erschweren“, geben die Autoren zu bedenken.

Harnwegsinfektionen: Bedenkliche Hygieneempfehlungen

Mostafa Bondok von der University of British Columbia in Vancouver (Kanada) und seine Kollegen konzentrierten sich auf HWI-Informationen beim Video-Kanal „YouTube“. Das Grundproblem, so die Forscher: Obwohl Fall-Kontroll-Studien zeigen, dass allgemein empfohlene Hygienepraktiken die HWI-Inzidenz bei Frauen nicht verringern, fördern viele Patientenaufklärungsquellen dieses Missverständnis und riskieren damit, Frauen mit HWI als „schmutzig“ oder „unrein“ zu stigmatisieren.

In 45 Videos, die von fünf unabhängigen Gutachtern beurteilt wurden, stellten Bondok et al. eine hohe Variabilität und Inkongruenz mit den AUA-Leitlinien zu HWI fest. Die am häufigsten diskutierte prophylaktische Strategie war der Verzehr von Cranberrys; nur 55% sprachen über eine Erhöhung der Flüssigkeitsaufnahme. Häufig wurde als Hygienepraktik das Wischen von vorne nach hinten empfohlen (25%); 33% der Videos befürworteten andere nicht evidenzbasierte Hygienepraktiken und warfen betroffenen Frauen Unsauberkeit vor. „Irreführende Informationen für Frauen, die sich über YouTube über HWI informieren möchten, sind weit verbreitet“, schließen die Autoren. „Fehlinformationen über Hygienepraktiken sind unproduktiv, und mehrere Videos zeigten Angehörige von Gesundheitsberufen, die behaupteten, dass rezidivierende HWI auf schlechte weibliche Hygienepraktiken zurückzuführen seien.“

BPH: Mehr ärztliches Online-Engagement gefordert

Doch auch die Männer können sich nur eingeschränkt auf YouTube verlassen. Annie Chen vom Stony Brook University Hospital (USA) und ihre Kollegen analysierten die 50 meistgesehenen Videos zur Behandlung der Benignen Prostatahyperplasie (BPH) mit insgesamt 37.135.760 Aufrufen. 94% der Videos waren von nichtmedizinischen Einrichtungen produziert worden, nur 22% zeigten einen Arzt und 18% einen Urologen. Der durchschnittliche DISCERN-Score betrug 2,9, wobei 68% der Videos als mäßig bis schlecht bewertet wurden (DISCERN=3). Wie auch in den oben berichteten Studien, hatten auch hier Videos mit einem Arzt einen höheren DISCERN-Qualitätswert (2,7 vs. 3,3; p=0,003). 48% der Videos zeigten Operationen. „Videos zu Hausmitteln ermutigten die Patienten eher zum Handeln und enthielten oft einen Link zum Kauf eines vorgestellten Produkts“, berichten Chen et al. weiter. „Letztendlich ist mit dem zunehmenden Zugang zu Informationen über YouTube und andere Social-Media-Plattformen (Reddit, TikTok) eine stärkere Präsenz von Ärzten erforderlich, um genaue und schnelle Informationen an die Öffentlichkeit zu verbreiten“, fordern die Autoren abschließend.

(ms)