Viele falsche Informationen in Tiktok-Videos zu ADHS

Influencer informieren ihre Follower nicht nur über die neuesten Trends, sondern auch über Gesundheitsthemen – häufig allerdings fachlich nicht korrekt. (Foto: © StockPhotoPro – stock.adobe.com)

Soziale Medien können helfen, psychischen Erkrankungen zu entstigmatisieren. Allerdings zeigen populäre Tiktok-Videos zum Thema ADHS gravierende Defizite, was die inhaltliche Korrektheit zu Symptomen und Behandlungsansätzen angeht. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie, die im Fachjournal „Plos One“ veröffentlicht wurde.

Um sich über gesundheitsbezogene Themen zu informieren, werden zunehmend soziale Medien verwendet. Gerade psychologische Themen und Erkrankungen können über soziale Medien entstigmatisiert werden, allerdings ist die Qualität der Informationen sehr heterogen. Neben #autism gilt #ADHD als eines der zehn am häufigsten genutzten gesundheitsbezogenen Hashtags. In einer früheren Studie zur Autismus-Spektrum-Störung schnitt allerdings nur knapp ein Drittel der Informationen in den Videos als zutreffend ab.

In der aktuellen Studie hat nun ein anderes Forschungsteam die Qualität und die Wirkung von Tiktok-Videos zur Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Rahmen von zwei Untersuchungen analysiert:

In einer ersten Studie haben die Forschenden einen Tiktok-Account erstellt und sich darüber die beliebtesten Videos zum Thema ADHS vorschlagen lassen – mittels #ADHD. Im Schnitt waren diese 38,30 Sekunden lang, hatten rund 5,5 Mio. Klicks und knapp eine Million Likes. Diese Videos zeigten die Forschenden zwei klinischen Psychologen, die die Videos auf inhaltliche Korrektheit untersuchen sollten. Von den 98 beurteilten Videos thematisierten 92 ausschließlich Aussagen über ADHS-Symptome und nur wenige auch die Therapie. 51,3 Prozent der angegebenen Symptome bewerteten die Psychologen als Nicht-ADHS-Symptome. Die meisten (68,5 %) bildeten eher normale menschliche Erfahrungen ab, 42,0 Prozent könnten bei mehreren Störungen auftreten und 18,2 Prozent seien eher typisch für eine andere Störung. Von den Informationen zu den Behandlungen stimmen etwas über die Hälfte mit den empirisch belegten Empfehlungen überein. Viele der Empfehlungen basierten lediglich auf persönlichen Erfahrungen.

In einer zweiten Studie wurden 843 Teilnehmenden die fünf am besten und am schlechtesten bewerteten Videos aus der ersten Studie gezeigt. Unter den Teilnehmenden waren Personen mit einer offiziellen ADHS-Diagnose, mit einer selbstvergebenen Diagnose und ohne Diagnose. Allgemein wurden die besseren Videos auch als besser bewertet, wenn auch weniger deutlich als bei den klinischen Psychologen. Zudem zeigen die Analysen, dass allgemein die ADHS-Prävalenz überschätzt wird (33,82 %), vor allem aber von Personen mit selbstdiagnostiziertem ADHS: Diese schätzten das Vorkommen von ADHS auf 37,49 Prozent. Zudem bestärken die Videos gerade diese Personen in ihrer Annahme, tatsächlich ADHS zu haben.

„Wer bereits den Verdacht hat ADHS zu haben, nimmt durch die Videos verstärkt passende Symptome wahr und interpretiert sie als Bestätigung. Dadurch kann sich der Glaube an die eigene Diagnose verfestigen, ohne dass eine professionelle Abklärung erfolgt. Der ständige Konsum solcher Inhalte kann zur Überidentifikation führen: Alltägliche Schwierigkeiten werden dann möglicherweise vorschnell als Symptome interpretiert. Ich würde daher empfehlen, sich kritisch mit der Informationsquelle auseinanderzusetzen und eine professionelle Diagnostik in Betracht zu ziehen“, glaubt auch Dr. Kathrin Karsay, Assistenzprofessorin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, Österreich.

Prof. Sabine Trepte, Professorin für Medienpsychologie/Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim, rät davon ab, zu viel in die Studienergebnisse hinein zu interpretieren. „Es wurde schlicht und einfach gefunden, dass Menschen, die mit ADHS diagnostiziert werden, mehr Inhalte zum Thema rezipieren und diese auch eher weiterempfehlen. Das ist ein völlig normales und sinnvolles Verhalten. Alle Menschen rezipieren Inhalte, die in ihrem Leben eine Rolle spielen“, erklärte die Wissenschaftlerin.

„Ich möchte nicht den Usern, sondern den Berufs- und Fachverbänden etwas raten: Nicht nur auf Tiktok finden wir unglaublich viel Falschinformation zu ADHS. Auch der Buchmarkt und Youtube sind überschwemmt von Ratgebern, die von Life-Coaches oder Psychologiestudierenden mit ausgeprägten pekuniären Interessen verfasst sind. In der Mehrzahl Personen, die keinerlei Expertise oder Erfahrung haben. Fachverbände und Berufsverbände der Medizin und Psychologie dürfen nicht so schüchtern sein, die qualitativ vertretbaren oder sogar hochwertigen Inhalte zu empfehlen. Wir können nicht stillhalten und dann meckern, dass sich Betroffene ihre Inhalte auf Tiktok oder Amazon selbst suchen.“