Visuelle Wahrnehmung: Auf das Timing kommt es an

Strukturelle und funktionelle Kartierung fovealer retinaler Ganglienzellen (RGCs) und Axone. Bildquelle: IOB, 2025

Die visuelle Wahrnehmung hängt nicht nur davon ab, was wir sehen, sondern auch davon, wann wir etwas sehen. Signale, die von lichtempfindlichen Zellen in der Netzhaut initiiert wurden, reisen durch Nervenfasern unterschiedlicher Länge, bevor sie am Sehnerv zusammenkommen und weiter zum Gehirn gelangen. Selbst benachbarte Zellen in der zentralen Netzhaut können Signale über sehr unterschiedliche Entfernungen übertragen.

Wie vermeidet es das Gehirn, ein verzögertes oder gar verfälschtes Bild der Welt zu erhalten? Dieser Frage ging eine Studie nach, die von Forschern des Institute of Molecular and Clinical Ophthalmology Basel (IOB) in „Nature Neuroscience“ veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Unterschiede in der Geschwindigkeit und Entfernung von Nervensignalen im menschlichen Auge selbst aktiv ausbalanciert werden, um ein einheitliches und zeitlich genaues visuelles Erlebnis zu unterstützen.

Wichtige Ergebnisse der Studie

  • axonales Tuning in der menschlichen Netzhaut: Längere Axone von Netzhautgangalienzellen haben größere Durchmesser und schnellere Leitungsgeschwindigkeiten. Dies hilft, die Ankunftszeiten des Signals auszurichten.
  • Präzision in Millisekunden: Dieser „Tuning“-Mechanismus hilft, das Timing von Signalen aus verschiedenen Teilen der Netzhaut auszurichten und die Unterschiede in der Ankunftszeit auf nur wenige Millisekunden zu reduzieren.
  • Mehrere Kompensationsschichten: Neben der Leitungsgeschwindigkeit tragen andere Faktoren wie die Erstreaktionszeit von Netzhautzellen und weitere Anpassungen im Gehirn zur Synchronisation bei.

Die IOB-Forscher konnten zeigen, dass die Feinabstimmung des visuellen Timings beim Menschen nicht erst im Gehirn, sondern schon in der Netzhaut beginnt und so frühere Annahmen infrage stellt. Sie zeigen, dass diese Kompensationsleistung dazu beiträgt, die Klarheit und Konsistenz dessen, was wir sehen, zu erhalten – trotz struktureller Unterschiede in der Art und Weise, wie Signale durch das Auge geleitet werden.

Grundlegende Prinzipien über das visuelle System hinaus

Diese Erkenntnisse werfen nach Einschätzung der Forscher wichtige Fragen darüber auf, wie Nervenfasern bei der Entwicklung angepasst werden – zum Beispiel, wie ihr Durchmesser reguliert wird und wie ihre Membranen die Geschwindigkeit der Signalübertragung steuern. Das Verständnis dieser Mechanismen könnte grundlegende Prinzipien der zeitlichen Koordination im Gehirn offenbaren, mit Relevanz weit über das visuelle System hinaus.

Link zur Studie: https://www.nature.com/articles/s41593-025-02011-3