Visuelle Wahrnehmung: Wenn das Auge unbewusste Bewegungen nicht mehr herausfiltern kann6. Mai 2025 „Visuelle Stabilität“: Das Gehirn filtert bei einer schnellen Augenbewegung die Eindrücke zwischen den beiden Fokuspunkten unterbewusst aus.Foto.© KI-generiertes Bild: HHU/Paul Schwaderer/Midjourney Der Blick bleibt klar, auch wenn ein Mensch schnell seine Blickrichtung verändert. Forscher der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) beschreiben in zwei aktuellen Studien die Mechanismen, die im Gehirn bei dieser als „visuelle Stabilität“ bezeichneten unbewussten Fähigkeit ablaufen. Dabei erläutern sie, dass es bei Menschen mit Autismus-artigen Merkmalen anders funktionieren kann. Wird die Aufmerksamkeit plötzlich von einem Punkt auf einen anderen gezogen – etwa wenn ein Freund ruft, während man gerade telefoniert –, so bewegen sich die Augen in Sekundenbruchteilen von einem zum anderen Fokus. Trotzdem verschwimmt der Hintergrund nicht. Zum Glück, denn andernfalls wären Schwindelgefühle oder eine kurzzeitige Verwirrung möglich. Tatsächlich bewegen sich die Augen ständig. Dennoch nimmt der Mensch die Welt als stabil wahr. Während frühere Arbeiten annahmen, dass bei einer schnellen Augenbewegung das Sehsystem kurzzeitig blockiert, kommt nun ein Forschungsteam vom Institut für Experimentelle Psychologie der HHU zu einem anderen Ergebnis. Ihre Erkenntnisse haben die Wissenschaftler in zwei Studien in den Fachzeitschriften „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“ und „Current Biology“ veröffentlicht. Gehirn filtert Unschärfe heraus Dr. Antonella Pomè, Erstautorin beider Arbeiten: „Das Gehirn scheint sich an erwartete Bewegungen zu gewöhnen. Dies ähnelt dem Phänomen, dass wir irgendwann aufhören, das Ticken einer Uhr zu hören. Im Endeffekt nehmen wir nur noch die relevanten visuellen Informationen wahr.“ Prof. Eckart Zimmermann, Leiter der Arbeitsgruppe Wahrnehmungspsychologie an der HHU und Korrespondenzautor der Studien: „Dies lässt sich einfach vor dem Spiegel beobachten, wenn wir den Blick von einem zum anderen Auge wandern lassen. Die Pupille scheint sich nicht kontinuierlich zu bewegen, sondern springt von einer in die andere Position. Das Gehirn filtert die Unschärfe, die durch schnelle Augenbewegungen entsteht, effektiv heraus.“ Versuchsaufbau (li): Die Teilnehmer führten eine Augenbewegung aus, währenddessen ein kurzer visueller Stimulus gezeigt wurde. Sie gaben dann an, ob dieser nach oben oder unten gerichtet war. Die Grafik (re) zeigt, wie die Sensibilität für den Stimulus mit zunehmendem Autistischen Quotienten (AQ) abnimmt. Personen mit höherem AQ zeigten eine geringere Sensibilität bei Augenbewegungen. Illustration.© HHU/Antonella Pomè Für die Studie in Current Biology führten die Probanden Hunderte von Augenbewegungen über dieselben Entfernungen aus. Allmählich verringerte sich die Empfindlichkeit für die mit den Augenbewegungen verbundenen Bewegungen – das sensomotorische System hat gelernt, den Bewegungsvektor mit einem vorhersehbaren Bewegungssignal zu verbinden. Pomé: „Sobald dieses Signal zur Routine wird, behandelte es das Gehirn als Hintergrundrauschen und filterte es heraus.“ Bei autistischen Menschen ist der Filterprozess gestört In der Veröffentlichung in PNAS beschreiben die Autorinnen und Autoren, dass nicht bei allen Menschen diese Filterung gleich gut funktioniert. Sie untersuchten 49 Personen mit unterschiedlich ausgeprägten autistischen Merkmalen: Sind diese besonders stark ausgeprägt, so erkennen die Betroffenen die visuellen Auswirkungen ihrer eigenen Augenbewegungen schlechter. Bei ihnen geht darüber hinaus allgemein die Wahrnehmung jeglicher Bewegung während der Augenbewegungen zurück. Das Gehirn vieler autistischer Menschen scheint, so die Autoren, die Befehle zur Augenbewegung nicht genau mit dem abzugleichen, was tatsächlich gesehen wird. Es filtert nicht nur irrelevante, durch Augenbewegungen verursachte Bewegungen heraus, sondern unterdrückt ein breiteres Spektrum von Bewegungssignalen. Pomé: „So werden möglicherweise wichtige visuelle Hinweise übersehen, was die alltäglichen sensorischen Herausforderungen verstärkt und zu der sogenannten sensorischen Überlastung der Betroffenen beiträgt.“ Zimmermann weist auf die übergeordnete Bedeutung der Studienergebnisse hin: „Die visuelle Stabilität ist für viele Alltagssituationen unerlässlich, zum Beispiel, wenn wir im Seitenspiegel die Verkehrslage überprüfen. Nur wenn das Gehirn ein stabiles inneres Bild der Umgebung aufrechterhält, werden wir nicht ständig desorientiert. Klappt das aber nicht, rutschen wichtige Informationen unbemerkt durch.“ Sind die entsprechenden Vorgänge im Gehirn verstanden, kann auch Menschen mit entsprechenden Beeinträchtigungen geholfen werden. „Indem wir feststellen, wo der Filterprozess zu weit geht, hoffen wir für Menschen mit Reizüberflutungen neue Ansätze zu finden, um ihren Stress und ihre Müdigkeit zu verringern“, so Pomé.
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