Visuelle Wahrnehmung: Wenn Serotonin das Licht dimmt20. September 2024 Dirk Jancke und Ruxandra Barzan vom Bochumer Forschungsteam (v.l.).Foto.©RUB/Kramer Ein Forscherteam der Ruhr-Universität Bochum hat herausgefunden, dass der Serotonin-Rezeptor 5-HT2A eintreffende visuelle Informationen dämpft, sodass unser Gehirn mehr Raum für interne Prozesse und Interpretationen hat. In unserem Gehirn werden Signale nicht immer auf dieselbe Weise verarbeitet: Bestimmte Rezeptoren modulieren diese Verarbeitungsprozesse. Sie beeinflussen so unsere Stimmung, Wahrnehmung und unser Verhalten auf vielfältige Weise. Zu dieser Gruppe gehört auch der 5-HT2A-Rezeptor. Dieser hat eine Besonderheit: Er schwächt eintreffende visuelle Informationen ab und gibt so unserem Gehirn so mehr Raum für interne Prozesse und Interpretationen. Diese Erkenntnis liefert neue Einsichten für unser Verständnis von Wahrnehmung und psychischen Erkrankungen. Sie könnte auch die Wirkung von Drogen wie LSD erklären: Wird der Rezeptor dadurch überaktiviert, werden externe Sinneseindrücke unterdrückt und vermehrt eigene Bilder erzeugt. „Ein wenig so, als würde unser Gehirn mit sich selbst reden“, erklärt Prof. Dirk Jancke. Diese Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht. Im Dschungel der Serotonin-Rezeptoren Rezeptoren vermitteln die Übertragung von Information zwischen Nervenzellen. So bewirkt die Ausschüttung des Botenstoffs Serotonin über zahlreiche Rezeptortypen eine Veränderung von Nervenzellaktivitäten im gesamten Gehirn. Mindestens 14 Rezeptortypen können unterschieden werden. „Die Sache ist besonders knifflig, weil die Rezeptoren selbst sowohl hemmend als auch aktivierend sein können“, erläutert Jancke. „Zusätzlich werden sie auch noch in verschiedenen Zelltypen ausgeschüttet, die wiederum wechselseitig hemmenden oder erregenden Einfluss auf das gesamte Netzwerk haben.“ Mit Licht gegen die Dunkelheit im Gehirn Die Untersuchung der Wirkung von Rezeptoren im Gehirn ist laut der Wissenschaftler keine einfache Aufgabe. Herkömmliche pharmakologische Methoden zur Aufklärung neuronaler Netzwerkfunktion von Rezeptoren seien begrenzt. Sie seien meist nicht spezifisch genug und vor allem schlecht zu timen. Die Arbeitsgruppe um Prof. Stefan Herlitze hat deshalb eine alternative Untersuchungsmethoden entwickelt. Dabei werden Lichtrezeptor-Proteine mithilfe von Viren in Nervenzellen eingebracht. Die Lichtrezeptor-Proteine sind gentechnisch so modifiziert, dass sie Funktionen eines ausgewählten Rezeptortyps imitieren können. Der ausgewählte Rezeptortyp wird damit wie über einen Lichtschalter an- und abschaltbar, präzise innerhalb weniger Millisekunden. Mäusen werden dazu hauchdünne Lichtleiter implantiert, die – über LEDs gesteuert – Licht der gewünschten Wellenlänge an die entsprechende Stelle im Gehirn bringen und dort den Rezeptor aktivieren. 5-HT2A Rezeptoren regulieren die Empfindsamkeit für sensorische Eingänge Die Forscher fanden auf diese Weise heraus, dass der 5-HT2A Rezeptor selektiv die Stärke eintreffender Sehinformation unterdrückt. „Erstaunlicherweise geschieht dies, ohne andere, parallel ablaufende Prozesse zu hemmen“, berichtet Dr. Ruxandra Barzan, Erstautorin der Studie. Das Gehirn reduziert somit die Bedeutung aktueller sensorischer Eingänge zugunsten interner Kommunikation und Interpretationsprozesse. „Das heißt, wir haben einen Mechanismus entdeckt, der reguliert, wie wichtig eingehende Informationen genommen werden“, erörtert Barzan. Halluzinationen verstehen, Therapieansätze entwickeln Halluzinationen, die durch Drogen wie LSD ausgelöst werden, könne man daher als eine Art Selbstgespräch interpretieren, wie Jancke berichtet. „Durch die Überaktivierung unterdrückt der 5-HT2A-Rezeptor von außen kommende Sinneseindrücke, und das Gehirn ersetzt sie durch eigene Produktionen.“ Im gesunden Gehirn aktiviert Serotonin verschiedene Rezeptortypen gleichzeitig, was gewährleistet, dass Informationsflüsse in ihrer Gewichtung ausbalanciert sind. Bei psychischen Erkrankungen kann diese Balance gestört sein. Die Wissenschaftler hoffen, dass die Erkenntnisse aus der Studie dazu beitragen könnten, neue Therapien zu entwickeln, bei denen gezielt ausgewählte Rezeptoren aktiviert werden, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Psychedelische Drogen, die beispielsweise selektiv den 5-HT2A Rezeptor ansprechen, könnten unter fachärztlicher Aufsicht in geringer Dosierung und in definierten Lernkontexten zu Therapiezwecken genutzt werden, um Disbalancen in der Rezeptoraktivierung langfristig wieder auszugleichen. Künstliche Intelligenz trifft auf Neurobiologie Um die komplexen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Zelltypen und den Rezeptoren im Gehirn besser zu verstehen, setzten die Forscher Computermodelle ein, die wesentliche Merkmale neuronaler Schaltkreise vereinfacht darstellen. Sie prüften die Hypothese, dass der Rezeptor die gefundenen Effekte nur dann entfaltet, wenn er gleichzeitig in hemmenden und aktivierenden Nervenzellen aktiviert wird. Diese Hypothese konnte durch die Modelle gestützt werden. Die Arbeitsgruppe um Prof. Sen Cheng fand in ihren Simulationen heraus, dass nur die gleichzeitige Rezeptoraktivierung in hemmenden und erregenden Zellen zu Interaktionen im Netzwerk führen, die die experimentellen Befunde abbilden.
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