Visuelle Wahrnehmung: Wie schätzt unser Gehirn Strecken ab?20. Januar 2023 Probanden mit EEG-Kappe helfen der Neurophysik, Hirnaktivitäten zu studieren.Foto.© CMBB/ Rolf Wegst Ein Team aus der Marburger Neurowissenschaft hat untersucht, wie unser Gehirn abschätzt, welchen Anteil einer Strecke wir bereits zurückgelegt haben. Die Forschungsgruppe um den Physiker Prof. Frank Bremmer berichtet im Fachblatt „eNeuro“ über seine Ergebnisse. Verhaltensexperimente zeigen, dass Menschen in der Lage sind, eine zuvor beobachtete Wegstrecke allein auf der Grundlage visueller Informationen aktiv zu reproduzieren. Wie geht das? „Wir bewegen uns täglich scheinbar mühelos durch den Raum“, sagt Bremmer. „Wir weichen dabei Hindernissen aus und können zuverlässig abschätzen, wie viel unserer Strecke auf dem Weg zu einem Ziel wir bereits zurückgelegt haben“. Neurowissenschaftlich betrachtet ist diese Aufgabe aber alles andere als einfach. Zwar weiß die Wissenschaft inzwischen recht gut, in welchen Gehirngebieten die Richtung einer Eigenbewegung verarbeitet und kodiert wird. „Zur Distanz lagen bislang jedoch deutlich weniger Studien vor“, erklärt der Physiker. „Insbesondere zur Frage, ob es neuronale Korrelate des Erreichens von Zieldistanzen gibt, und wenn ja, ob diese ein objektives oder subjektives Maß repräsentieren.“ Dieser Frage widmete sich eine aktuelle Studie der Arbeitsgruppe Neurophysik an der Philipps-Universität Marburg. Die Hauptautorin der Studie, Dr. Constanze Schmitt, testete dazu Versuchspersonen in einer Wahrnehmungsaufgabe, während sie mittels EEG deren Gehirnaktivität maß. Die Versuchspersonen sahen zunächst auf einem Bildschirm eine simulierte Vorwärtsfahrt über eine Ebene. Dann sollten sie mittels eines Computer-Joysticks ihre Bewegung selber steuern, und zwar genau das Doppelte der zuvor gesehenen Distanz. „Ziel unserer Studie war es, herauszufinden, ob der Zeitpunkt, zu dem die Probanden die erste Hälfte ihrer selbst gesteuerten Fahrt zurückgelegt haben, also die ursprünglich gezeigte Distanz, von spezifischer Gehirnaktivität begleitet wird“, erläutert Schmitt. „Zudem wollten wir unsere Vorhersage testen, die für die eigeninduzierte Bewegung generell geringere Gehirnaktivität vorhersagt als für die vom Computer induzierte Bewegung“, ergänzt Bremmer. Beide Hypothesen konnten bestätigt werden. Beim Beginn der eigeninduzierten Bewegung fand das Team kleinere Amplituden der sogenannten ereigniskorrelierten Potentiale. „Dieser Befund war erwartet“, legt Schmitt dar. „Er entspricht der Idee, dass Reize, die man selber erzeugt und damit vorhersagen kann, weniger stark im Gehirn verarbeitet werden als unerwartete Reize.“ Zum anderen zeigte sich zum Zeitpunkt des Erreichens der einfachen Distanz eine kurzzeitige Erhöhung der im EEG gemessenen Gehirnaktivität. Bemerkenswerterweise trat diese Aktivitätserhöhung jedoch nur beim Erreichen der subjektiven, nicht der objektiven einfachen Distanz auf. „Dieses Ergebnis war unerwartet“, führt Bremmer aus. „Die gefundene Aktivierung war zeitlich sehr präzise. Allerdings können wir bislang noch nicht sagen, welche Gebiete im Gehirn für sie verantwortlich sind.“ Die Gruppe will in kommenden Studien, auch in Zusammenarbeit mit den hiesigen Kliniken für Neurologie und Neurochirurgie, dieser Frage weiter nachgehen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Hessische Wissenschaftsministerium förderten die Forschungsarbeit finanziell.
Mehr erfahren zu: "ERC Consolidator Grant: PhotonSignaling untersucht Lichtproduktion in Neuronen" ERC Consolidator Grant: PhotonSignaling untersucht Lichtproduktion in Neuronen Dr. Jian Cui, Principal Investigator am Helmholtz Pioneer Campus, wurde für sein Projekt PhotonSignaling mit einem ERC Consolidator Grant ausgezeichnet.
Mehr erfahren zu: "AMD: Neues genetisches Risiko für schwere Verlaufsformen identifiziert" AMD: Neues genetisches Risiko für schwere Verlaufsformen identifiziert Australische Forscher haben spezifische genetische Veränderungen identifiziert, die das Risiko für schwere Formen der Altersbedingten Makuladegeneration (AMD) erhöhen.
Mehr erfahren zu: "Von Feuerwerk zu Sprengkörpern: Verletzungsmuster gehen weit über das Übliche hinaus" Von Feuerwerk zu Sprengkörpern: Verletzungsmuster gehen weit über das Übliche hinaus Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) warnt im Hinblick auf die Erfahrungen der Silversternacht 2024/2025 vor einer gefährlichen Entwicklung der Verletzungen durch Sprengkörper und kritisiert Versäumnisse bei Politik […]