Völlig losgelöst … wenn das Auge schwerelos wird

Matt Lyon vom MCG an der Augusta University (USA). © Michael Holahan/Augusta University

Viele Astronauten erleben während eines Weltraumfluges Augenveränderungen, die auch nach der Rückkehr zur Erde noch zu zahlreichen Symptomen führen können. Diese reichen von der Notwendigkeit einer neuen Brille bis hin zu erheblichen Sehkraftverlusten.

Die Ursachen dieser Veränderungen wollen Mediziner nun besser verstehen lernen. US-amerikanische Ärzte des Medical College of Georgia (MCG) an der Augusta University kooperieren zu diesem Zweck mit Polaris Dawn, der ersten von drei bemannten Raumfahrtmissionen des Polaris-Programms.
Mehr als 70 Prozent der Astronauten leiden nach Angaben der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA an einem Phänomen, das als Spaceflight Associated Neuro-Ocular Syndrome (SANS) bezeichnet wird. „Das Syndrom kann eine Vielzahl von Symptomen haben, einschließlich Veränderungen des Sehvermögens“, sagt Matt Lyon, MD, Direktor des MCG Center for Telehealth.

Verschiebung der Zerebrospinalflüssigkeit in der Sehnervenscheide

„Die Veränderungen beginnen am ersten Tag“, erklärt Lyon, der auch den J. Harold Harrison M.D. Distinguished Chair in Telehealth innehat. „Wir sind uns nicht ganz sicher, was diese Sehprobleme verursacht, aber wir vermuten, dass es mit einer Verschiebung der Zerebrospinalflüssigkeit in der Sehnervenscheide zu tun hat. Auf der Erde drückt die Schwerkraft diese Flüssigkeit nach unten und sie fließt ab, aber im Weltraum schwebt sie nach oben und drückt gegen den Sehnerv und die Netzhaut.“
Mithilfe von portablen, handgehaltenen Ultraschallgeräten hoffen Lyon und sein Team, nicht nur den Mechanismus, der den Veränderungen zugrunde liegt, herauszufinden, sondern sie wollen auch vorhersagen können, welche Astronauten von SANS am wahrscheinlichsten betroffen sein werden.

MCG hat hierzu ein Konzept patentiert, solche portablen Ultraschallgeräte zu verwenden, um Schäden durch Druck- und Flüssigkeitsveränderungen in den Sehnerv umhüllenden Schutzmembran schnell sichtbar zu machen. Lyon untersucht, wie sich ein erhöhter Schädeldruck und leichte Schädel-Hirn-Traumata auf diesen Bereich auswirken. Wird das Gehirn verletzt, schwillt es – wie viele andere Organe auch – an und füllt sich mit Flüssigkeit.

Die Forscher kooperieren mit Ursus Medical Designs LLC zusammen, einem in Pennsylvania ansässigen Biotech-Unternehmen, um ein 3-D-Ultraschallgerät für das Polaris-Programm zu entwickeln. Lyon und das MCG-Forschungsteam verwenden diese Ultraschallgeräte nun, um Astronauten zu untersuchen und festzustellen, wer von diesen bereits eine beschädigte Sehnervenscheide haben könnte. Sie vermuten, dass solche Astronauten anfälliger für die mit SANS verbundenen Sehstörungen sind.

„Wir glauben, dass, wenn Astronauten, die Gehirnerschütterungen oder leichte Schädel-Hirn-Verletzungen erlitten haben, in den Weltraum fliegen und die Flüssigkeitsverschiebungen in geringer Schwerkraft erleben, sich die Hülle durch die Volumenzunahme erweitert. Es ist wie bei einem Reifen – ein normaler Reifen behält seine normale Form, da er mit Luft gefüllt ist, und die Form ändert sich nicht. Wenn es beschädigt ist, wie zum Beispiel Beulen an der Seite eines Reifens, füllt die Flüssigkeit die Wölbungen auf und die Hülle dehnt sich aus. Dies kann zu Druck auf den Nerv und die Netzhaut führen“, erklärte Lyon.

Ultraschallmessungen während des Raumfluges in Echtzeit

Die Forscher wissen noch nicht, ob die Sehstörungen durch die Flüssigkeitsmenge an sich, durch den damit verbundenen Druck oder durch beides verursacht werden. Sie schulen die Besatzungsmitglieder von Polaris Dawn darin, diese Ultraschallgeräte zu verwenden, um während des Weltraumfluges sowohl Flüssigkeit als auch Druck in Echtzeit zu messen.

Zu den nächsten Schritten könnte die Entwicklung und Feinabstimmung von Gegenmaßnahmen gehören, die das Flüssigkeitsvolumen im Kopf während des Weltraumflugs verringern würden. Zum Beispiel verwenden das US-Raumfahrtprogramm und seine internationalen Raumfahrtpartner ein Hilfsmittel, das wie eine „Unterdruck-Hose“ funktioniert und Blut und andere Flüssigkeiten im Körper nach unten zieht.

Dieses Experiment wird Teil einer umfangreichen Reihe von wissenschaftlichen und Forschungsarbeiten sein, die während der gesamten Mission durchgeführt werden. Polaris Dawn wird bei den ausgewählten Experimenten mit 23 Institutionen, darunter das MCG, zusammenarbeiten.